Währenddessen und gleich danach. Bruno Gwelo

Währenddessen und gleich danach - Bruno Gwelo


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Mai Tungamirai in einer der strohgedeckten Hütten südlich der Hügelkette, die von oben putzig aussahen, wie Spielzeugfarmhäuschen? Zieht Zvagarisa dort ein, macht sich in ihrer Enge breit? Oder lebt die Mutter geräumiger im Dorf an der A 11, hinter der ausgepumpten Tankstelle, neben den Waisenhäusern der mildtätigen Heiligen Grace aus dem Buch Zim, vorletztes Kapitel?

      Wie findet er sich zurecht? Und: ja, sie hatten sich umarmt beim Abschied, über den geleerten Cappuccinotassen. Erst die zweite Umarmung war virtuell und definitiv keimfrei, another hug.

      Addis war die Hölle, eine Coronaparty der besonderen Art. Eine für das Virus selbst. Rastafarifarbene Jets entließen Tausende über Nabelschnüre aus Stahl in den Transitbereich und nuckelten sie eine Infektionszeit später über dieselben Gangways wieder ein. Für den Sicherheitsabstand, auf den er in den kommenden Tagen geeicht wurde, hätte man den Rest der Stadt gebraucht, ein Freilandterminal für Reisende, die nur weiter wollten. Assberger war froh, schlechtgewissenhaft froh über die OP-Maske, die ihm der Ehemann der Head of German beim Abschied in Harare zugesteckt hatte. Die Frankfurter Schlange kam auf hundertfünfzig Meter, dreimal fünfzig eng nebeneinander vor dem Gate. An den nächsten Schaltern fertigte Ethiopian Beijing und Tokyo-Narita ab, die Passagiere sahen aus wie Lackierer oder Forensiker, alle trugen weiße Einwegoveralls. In der Frankfurter Schlange hatte nur jeder dritte einen Mundschutz, und jeder zweite davon hatte ihn auf.

      Und dann schlug der Tag um. Die ersten vier Stunden des 21. März verschlief Assberger vor einem stockdunklen Waschmaschinenauge am Notausstieg. Bei der Passkontrolle am Boden begegnete ihm zum ersten Mal der Anderthalbmeter, als Streifen klebte das Maß gelbschwarzgelb auf dem Fußboden. Am Ticketautomat im leeren Fernbahnhof zog er sich die Fahrkarte, der ICE leistete sich eine Bummelfahrt nach Köln Hauptbahnhof, in der Nacht zuvor hatte jemand an den Gleisschrauben gefummelt, ein Attentat zur falschen Zeit. Das Virus duldete nichts und niemanden mehr neben sich.

      +++ Ein 38jähriger ‚Caucasian Man‘, verlautbart Obadiah Moyo, amtierender Minister of Health, kehrt am 15. März von einem Besuch in Großbritannien zurück in sein Domizil an den Vic Falls. Am 20. März, während Assberger im Flieger sitzt und Zvagarisas Schwestern, ein Schwager und seine Nichte Yemurai mit zwei Neffen und den Enkelkindern zusammenkommen, um ihn willkommen zu heißen, ein Bira zu Ehren seines verstorbenen Vaters zu veranstalten und ein Zicklein zu schlachten, wird der weiße Mann positiv getestet. Zimbabwe hat seinen ersten offiziellen Coronafall +++

      +++ 21. März. Im Wilkins Hospital in Harare wird ein junger Mann positiv getestet und umgehend in Quarantäne genommen. Der zimbabwische Staatsbürger war am 9. März aus New York City eingereist. „Thirty-year-old Zororo Makamba was ‚alone and scared‘, according to his older brother” (Shinai Nyoka, BBC News Harare) +++

      +++ 21. März, 21 Uhr, Applaus aus offenen Fenstern in den Städten in Deutschland. ‚Alles wird gut‘, schreiben, malen und heften Kinder an die Glasscheiben zur Straße hin. Morgen, am 22. März, begibt sich die Bundeskanzlerin in Quarantäne. Ein Arzt, der ihr eine Impfung verabreicht hatte, erwies sich als infiziert; ein erster, zweiter und am 30. März auch dritter Test fallen negativ aus. Angela Merkel hat nichts, geht aber auf Nummer Sicher und spielt die Rolle des Vorbilds. Roman Assberger geht nachmittags lange alleine spazieren. Er hat ausgeschlafen und ist ohnehin Single, zweieinhalb Stunden bei blauem Himmel, Sonnenschein und kaltem, strammem Wind regen ihn an. Abends setzt er sich an den Tätigkeitsbericht für den Förderer seiner Kurzzeitdozentur, den Deutschen Akademischen Austauschdienst. In Nordrhein-Westfalen wird eine Kontakt-, aber keine volle Ausgangssperre verhängt +++

      +++ 23. März. Assbergers neunzehnjährige Tochter zeigt sämtliche Symptome inklusive Atembeschwerden in der Nacht. In Assbergers Haus lebt sie in einer kleinen Wohnung, eigener Wasserhahn, separater Eingang, und erhält von ihrem Hausarzt ein Test Kit. Große Ausnahme, meint der Mediziner. Assberger selbst nimmt ihr den Abstrich, er trägt die Atemschutzmaske aus Zimbabwe, während Zvagarisa in das Rostrot eines reifen Morgens tritt, halb elf ist es, und die Wäsche von der Leine nimmt. Wenigstens das lässt er sich nicht nehmen, es sind schließlich seine T-Shirts und Unterhemden, Socken und Shorts, die seine Mutter eine Nacht lang eingeweicht und klopfsauber gewaschen hat (‚hapana anoramba‘, keine Widerrede). Zororo Makamba stirbt, und wird zum ersten Covid-19-Todesopfer in Zimbabwe. Makamba ist nicht irgendwer, sondern ein Broadcaster, dessen State of the Nation-Clips auf Youtube seit Jahren steil gehen. Makamba tritt (trat) in den Clips mit der Raute vor seine Follower, Daumen an Daumen und Zeigefingerspitze an Zeigefingerspitze. Dass dies eine Brücke zur deutschen Kanzlerin in ihrer Quarantäne schlägt, fällt nur Assberger auf +++

      Lieber Tunga, schreibt Assberger dienstags, das Ding nimmt uns in Einzelhaft. Selbst mir geht Homeoffice nach drei Tagen auf den Sender, und ich bin wie die meisten anderen Nichtsnützigkeitswissenschaftler, die ich kenne (wie vermutlich auch du), sehr gerne ein Schreibtischtäter. Die Unis in Deutschland haben zu, meine stellt hektisch um auf Online-Lehre mit Präsenzzeit, aber ohne –ort. Die Hörsäle werden auch nach Ostern, wenn die Vorlesungen wieder losgehen, leer bleiben. Skype boomt, aber der heißeste Scheiß ist Zoom, die Hochschulen kaufen Lizenzen wie bei euch die Leute Airtime und bei uns Klopapier und Nudeln.

      Du kennst den Campus bei euch oben in Mount Pleasant, die Hörsäle und die Bibliothek, das Stadion und die Tennisplätze, den Basketballcourt, die Unikapelle, Crop Sciences und das Confuzius Institute, die Studentenwohnheime, Gästehäuser, die weiten Wege und die Trampelpfade. Die Hochschulkatzen, das trockene Gras. Sich dort zu bewegen, zu grüßen, das Wimmeln von tausend Studierenden, das Geplausch und Geplapper, die offenen Horizonte, der Small Talk, das Lächeln und Lachen und das Einladende. You know what I mean. Meine letzte Runde über den Campus, spätnachmittags in den Sonnenuntergang, ist vier Tage her. Ich muss mir die Gedanken daran verbieten, sonst kommen die Phantomschmerzen. Denn die amputieren uns hier. Wir haben Kontaktsperre, dürfen nur zu zweit raus (ich alleine). Sie isolieren und rationieren und rationalisieren das Rationieren und Isolieren. Nicht dass ich Berührungen begehre ohne Latexhandschuhe und Mundschutz, aber die Möglichkeit … stattdessen der harte Anderthalbmeter.

      Du tust einem wirklich leid, schrieb Zvagarisa abends zurück. Seine Antwort hatte eine harte Kante. Really, I pity you. Wann kommt das Ergebnis für dein Kind?

      Ich wünschte, ich hätte auch eins, stand ungeschrieben dahinter. Dann wäre ich nicht alleine (anders alleine als Roman), wäre nicht das einzige Kind weit und breit, hauptamtlich und in Vollzeit unter dem Rockschoß meiner alten Mutter. Morgens Weißbrot, abends Sadza, nachmittags schiebt sie sich mit einer ausgeblichenen Jutetasche der Universität Bayreuth und einer Harke in den Pferch und gräbt Zwiebelknollen aus. Kaffee trinkt sie für ihr Leben gern, italienischen Espresso aus der Caffeteria am liebsten, und Kaffeetrinken heißt immer auch: reden. Man hört nichts Gutes aus Europa, sagt sie und will, dass ich ihr Rede und Antwort stehe. Wie viele Deutsche hat es hingerafft? Muchinguri sagt, es sei das Werk Gottes, punishing those that imposed sanctions on us. Nicht, dass man den Worten einer Verteidigungsministerin einfach so glauben sollte. Aber dennoch, warum so viele? Du verstehst, warum deine Schwestern sich Sorgen gemacht haben, Mwanangu. Es ist gut, dass du jetzt hier bist. In deinem Retreat warst du wirklich für dich allein? Und das Bett war wirklich frisch bezogen? Du hättest die Laken in Jik einweichen sollen. Ich habe mir eine Karte von Deutschland zeigen lassen von deiner Schwester Rundizai, mein Gott. So viele Meilen, Mai Tunga schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, von hier nach da und Frankfurt Airport. Du bleibst erst mal hier, wo du bist, bei mir.

      Zvagarisa hörte es sich ohne Widerworte an, griente und ärgerte sich im nächsten Moment darüber, als er merkte, dass er selbst fast Siebzig war. Nicht nur ihr Erstgeborener, der sich ans Papier verschrieben hatte und dem keine Frau schmackhaft zu machen war, sondern selber heute achtundsechzig Jahre und vierzig Tage alt. Gogo, ich bitte dich!

      Am Mittwoch danach nahm er es sich heraus, Mazowe für einen Abend gegen die Stadt einzutauschen, mit lauwarmer Erlaubnis der Alten. In der Gallery Delta traf sich ‚tout Salisbury‘, wie er französelnd meckerte und sich von einer Zimlit Celebrity seiner Generation mit dem Auto abholen ließ, vielleicht Chikere oder Chinodya, vielleicht – eher – jemand anderes. Vierzig Kilometer und eine Welt lagen zwischen der Hütte der Mutter und dem improvisierten Bohei zwischen den Avenues und Eastlea North.

      Die


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