Die Große Fälschung. P. M.
»Ich werde mit Leonhard reden. Er hat Einfluss auf den Bischof.«
Immer den Dienstweg benutzen. Die Kirchenleute haben es nicht gern, wenn man eigenmächtig eingreift. Ihr Rechtsdienst ist gut ausgebaut.
»Die Kinder sind schon ganz verängstigt.«
»Fahr mit ihnen zu Konrad – das wird sie aufheitern.«
»Bei diesem Wetter?«
Sie hat Recht. Kein lustiger Ausflug.
»Irgendwann muss der Regen aufhören.«
»Rupert erzählt schon herum, dass der Regen der Beginn einer neuen Sintflut sei. Die Kinder wagen kaum noch, zum Fenster hinauszuschauen. Jede Pfütze macht ihnen Angst. Sie basteln kleine Archen aus Föhrenrinde und lassen sie mit Käfern als Passagieren schwimmen.«
Ich muss lachen.
»Meine Söhne bauen Archen! Keine schlechte Idee. Bauen wir eine Arche statt den Anbau.«
»Es geht das Gerücht, dass sie im Grautalwald bei Fordau eine Arche bauen.«
»Die einen geißeln sich, die anderen bauen Archen. Es fehlt nicht an Spinnern. Vielleicht fällt uns auch noch etwas ein. Ein Helikopter mit Pedalantrieb.«
Wir hören die Kinder die Treppe hinaufpoltern. Manfred ruft mit lauter Stimme:
»Reinhart hat Spielzeug, Pferde, Kreisel, Elfentanten, Ritzerosse …«
»Elefanten, Rhinozerosse«, verbessere ich automatisch. Jetzt nur keine Volksetymologien aufkommen lassen.
»Bekomme ich einen Elefanten?«, fragt Manfred korrekt.
»Wir werden sehen«, brumme ich väterlich-abweisend.
»Dann kann ich ihn auf meiner Arche schwimmen lassen.«
Also doch: Endzeitspiele auf meiner Burg. Der kleinere Urs hat auch sein Anliegen:
»Reinhart hat Wagen mit Rädern. Und sie fahren, und man kann Pferde vorspannen. Und Kisten hineintun. Und abladen. Und aufladen. Und er hat Bären aus Fell, die sich bewegen.«
»Du hast doch schon Wagen«, wende ich ein.
»Nicht so schöne«, kommt es wie aus dem Rohr geschossen zurück.
Nichts ist so schön wie das, was fremde Händler bringen. Alles Schöne kommt von außen. Birgit ist auch Teil dieser Verschwörung. Nur ich stehe für das lokal Produzierte ein. Ein aussichtsloser Kampf.
»Wir werden sehen.«
Im Kopf zähle ich meine Schillinge.
»Vater, ich kann jetzt alle Verben der dritten Konjugation«, prahlt Manfred, wohl um seine Elefantenerwerbschancen zu erhöhen. Ich lasse ihn ‚maldicere’ aufsagen. Er kann’s. Ein Talent, mit neun Jahren.
Da sitzen wir, eine glückliche Familie im Jahr 994 (oder 996?). Fafa auf meinem Arm versucht’s noch einmal mit »Kaka«, Manfred sagt perfekt »dixi«, Urs zerrt an meinem Pullover, Birgit starrt ins Feuer. Auch Dorwald ist nun da mit seinem Holzschwert. Gestrandet am Rand der Zeit, im verrußten Loch, stinkend, haben wir uns im ‚Rittersaal’ (dass ich nicht lache!) gruppiert. Krimhild, unsere alte Magd, trägt den Suppentopf herein. Sie verteilt die hölzernen Schöpfkellen und gibt jedem von uns eine Ecke Brot. Die gleiche Suppe gibt’s in diesem Augenblick auch in den Quartieren über dem Stall.
Ich spreche ein Gebet, dann tauche ich als Erster die Kelle in die Suppe. Als neueste Zutat stelle ich etwas faseriges Hühnerfleisch fest. Ich füttere Fafa, die aber empört »Schuschu« sagt, der Oberbegriff für alles Unangenehme, Negative. Der Kandiszucker hat ihren Gaumen verdorben. Nun ja, die Kalorien hat sie. Ich freue mich nie auf die Suppe. Wenn ich sie esse, mag ich sie aber immer. Irgendwie bedeutet sie für mich Wirklichkeit, Vielfalt in der Einfalt, Heimat und Halt. Eines Tages werde ich sie vermissen.
»Weißt du noch, Birgit«, werde ich sagen, »die Suppenzeit? In der alten Burg? Als die Kinder noch klein waren?«
Ich bin so sentimental. Eine Berufskrankheit kleiner Unterdrücker.
Irgendwo tropft’s. Das Dach ist nicht dicht. Der Wind zieht durch Ritzen und Spalten. Die Kinder verlangen noch einmal Wagen, Elefanten, Murmeln und Zucker. Ich vertröste sie auf morgen. Birgit bringt sie hinauf ins Bett.
Der Burgturm hat drei Geschosse: die Küche im Parterre, wo auch die Mägde wohnen, die Stube dazwischen und das zugige Schlafzimmer oben, wo wir alle zusammen unter den Felldecken schlafen. Klar, dass die Kinder das toll finden. Nur Birgit und ich nicht immer. Wenn es ganz kalt wird, ziehen wir hinunter in die Stube und legen uns vor den Kamin. Das finden die Kinder noch lustiger. Doch jetzt ist es erst Anfang November. Warten wir bis Februar – da kann es bis 20 Grad unter null werden. Zum Glück weiß niemand, was das ist, denn sowohl Celsius als auch die Zahl Null sind hier unbekannt, geschweige denn etwas darunter. Aber gefroren wird trotzdem.
Ein Duft streicht an mir vorbei. Parfüm! Lavendel? Birgit hat sich etwas hinter die Ohren getupft!
»Du riechst gut.«
»Nur für dich. Aber du stinkst.«
»Männer müssen stinken«, sage ich.
»Du hast eine schlechte Meinung über dein Geschlecht«, erwidert sie.
»Nein. Das gehört zur Abschreckung. Männer müssen schrecklich sein.«
»Oh, ihr Armen. Wann hört ihr endlich auf? Wollt ihr noch jahrhundertelang so weitermachen? Genügen tausend Jahre nicht? Wann emanzipiert ihr euch endlich?«
»Red nicht so generell. Ich bin nicht für jedes Arschloch zuständig.«
»Wo ist der Unterschied?«
»Du wirst schon sehen. Konrad, Thiebald, Gottfried und ich, wir werden etwas auf die Beine stellen.«
»Ich meine nicht die Politik.«
»Politik oder auswandern. Willst du ins Morgenland?«
»Warum nicht? Dort ist es warm. Und hell. Es gibt Feigen, Trauben, Datteln, Orangen, Oliven, Rosen …«
»Oder nach Amerika?«
Ich provoziere immer gern. Amerika steht überhaupt nicht zur Diskussion. Da können erst ein paar Wikinger hin.
»Du wagst nichts. Du hockst hier in Mitteleuropa herum, bis wir versauern.«
Ich höre Gerd und Hilda kommen. Zur kleinen Burgparty. Birgit zündet noch zwei Lichter an, damit unsere Wohnhöhle nicht allzu finster wirkt. Gertrud, die andere Magd, eine junge Frau aus Bärach, bringt eine Schale mit gemischten Nüssen. Ich hole noch zwei Faltstühle und stelle sie hin. Wir tauschen mit Hilda und Gerd Wangenküsse aus. Hilda hat ein Körbchen voll Äpfel mitgebracht. Sie ist eine kleine, schwarzhaarige Frau, immer entschlossen und energisch, mit spitzem Kinn und glänzenden Knopfaugen. Gertrud fragt:
»Soll ich den Spielmann holen, Herr?«
»Ja, er soll sofort kommen.«
Sie saust ab – den Knicks gibt’s bei uns nicht. Gerd streckt seine verdreckten Stiefel dem Feuer entgegen. Er ist nicht größer als seine Frau, aber breit gebaut, mit eckigem Kopf, kantigem Kinn, buschigen Brauen über graugrünen Augen, angegrautem kurzem Haar. Manchmal erinnert er mich an einen missgelaunten Gorilla. Mit seiner starken Pranke zerquetscht er eine Walnuss und isst sie so unzivilisiert wie möglich. Schalenteile spuckt er wieder aus.
»Du übertreibst«, sag ich zu