Die Große Fälschung. P. M.
sich unser erstklassiger Cognac befindet (offiziell ein simpler Weinbrand). Ich verteile die fingerhutgroßen Tonnäpfchen, die japanischen Sake-Tässchen gleichen, und schenke ein.
»Ah!«, stöhnt Gerd, der es in einem Zug geleert hat.
Die Frauen und ich nippen zierlicher.
»Sei nicht so barbarisch«, tadelt Hilda ihren Mann.
Dabei lächelt sie ihn liebevoll an. Ich gieße ihm nach.
Reinhart ist in den Raum geschlichen, die Mandoline unter dem rechten Arm. Er hat sich umgezogen und trägt jetzt ein goldbesticktes grünes Samtwams, weiche braune Saffianstiefel, rote Beinkleider, einen breiten, glasperlenbestickten Gürtel und ein grünrotes Béret mit einer wippenden Fasanenfeder. Er sieht wirklich sehr elegant aus. Er stellt sich zwanglos neben dem Cheminee in Pose. Ohne Einleitung schlägt er ein paar Akkorde an. Das Instrument ist schon gestimmt. Die Lichter flackern, das Feuer knistert, eine fremdländische Melodie erklingt, und ich glaube, in einer Gondel durch Venedig zu gleiten. Wir sind alle still – sogar Gerd, der seinen weichen Kern nicht mehr verleugnen will. Seine Runzeln stehen ihm gut. Ich selbst habe dunkles, fast schwarzes Haar und trage einen gestutzten Bart, der spitz ausläuft, und einen gezwirbelten Schnurrbart. Er wirkt fast so elegant wie der von Dali oder Napoleon dem Dritten. Verspielt-männlich, aber nicht patriarchalisch. So bin ich eben.
Das Lied ist italienisch, sagen wir: altitalienisch, mit einem starken altprovenzalischen Einschlag. In dieser vokalreichen Kunstsprache gibt es zurzeit viele Lieder. Rhythmus und Melodie haben dieses arabisch Ausufernde, Schwankende. Uns ist sofort klar, dass Reinhart Weltspitze ist. Er ist viel zu gut für einen kleinen Ritter auf dem Land. Und der Text macht alles klar: Er ist von der Firma geschickt. Das Management hat ihn zur moralischen Aufrüstung herumgesandt. Sehr aufmerksam, danke. Er gehört offenbar mehr zum kreativ-utopischen Flügel, singt von sonnendurchfluteten Palästen auf schönen Inseln, von putzigen Dörfern an Südhängen, von fröhlichen, geschäftigen Burgfrauen und wackeren Rittern, die sich mit täglichem Training fit halten. So riskiert er nicht viel. Wir applaudieren begeistert, sind froh über die leichte Kost, sehen die Welt rosiger. Dann kommt das übliche Liedchen vom Hirtenmädchen und dem vorbeikommenden geilen Ritter. Das gibt immer leichte Spannungen. Er löst sie elegant auf, die konventionellen Formeln benützend. Es ist nicht so gemeint, sondern gar nicht gemeint. Aber doch irgendwie gemeint. Gerd räuspert sich verlegen. Kein Grund, uns zu schämen: Die Damen flirten schon mit dem Sänger. Eine Runde Cognac ist fällig, diesmal auch für Reinhart. Nun redet er endlich:
»Meine Damen und Herren, für das nächste Lied bitte ich im Voraus um Verzeihung. Es wird nicht so lustig sein, dafür umso realistischer.«
Er singt in der Volkssprache, in unserem althochfranko-sächsischen Dialekt. Gut gereimt höre ich mein eigenes Elend. Das Leben des kleinen Landadels, zerrieben zwischen dem passiven und manchmal auch aktiven Widerstand der unfreien Bauern, den Erpressungen durch Grafen und Herzöge, den neuen Reichssteuern für Ottos Italien- und Ungarnfeldzüge, den mächtiger werdenden Klöstern und Städten. Die ungemütlichste Position in diesem System. Depressionen und Selbstmorde häufen sich. Ritter desertieren und werden zu Banditen. Andere geben auf und flüchten in den Wald, wo sie als Einsiedler verkümmern. Das Lied erzählt die Geschichte eines jungen Familienvaters, der sich aufhängt, weil sein Oberherr ihn samt Land, Burg und Leuten an ein Kloster verkauft hat. Die Frauen sind schon dem Weinen nahe, und da erinnere ich mich, dass auch ich mich nicht zurückzuhalten brauche. Das Weinverbot für Männer ist erst einige Jahrhunderte später fällig. So schluchzen wir alle. Der Sänger fragt leise:
»Wollen wir uns das noch länger gefallen lassen?«
»Verdammt noch mal, nein!«, ruft Gerd aus und ballt die Fäuste.
»Worauf willst du hinaus?«, frage ich und wische meine letzten Tränen weg.
»Auf einen Teufelspakt«, antwortet Reinhart wie selbstverständlich.
Und dann setzt er noch so ein Lächeln auf, dass wir alle zurückzucken. Das grünrote Béret, das grüngoldene Wams: Ist er es selbst? Blödsinn.
»So nennen wir unsere Organisation«, erklärt Reinhart. »Eine Art Netzwerk frustrierter Landadeliger. Wir erkennen uns am kleinen goldenen Ohrring.«
Er hält sein linkes Ohr an eine Lampe, so dass wir das Ringlein glänzen sehen können.
»Aber das ist nicht obligatorisch. Die Idee ist folgende: Nur verbündet mit den Bauern können wir Hochadel und Städte, Klöster und Klerus schlagen.«
»Mit den Bauern?«, stöhnt Gerd. »Weißt du überhaupt, was du da redest? Mit diesen strohdummen, sackfaulen Lümmeln, diesem stinkenden, unzivilisierten Pack …«
»Immerhin sind sie klug genug, um euch übers Ohr zu hauen«, fällt Reinhart ihm ins Wort. »Sie sind nicht so dumm. Was ihr seht, ist nur ihre Maske. Ich kenne sie. Sie sind zum Aufstand bereit. Was ihnen fehlt, ist ein militärischer Arm.«
Ein echter Subversiver! Und das an einem heiligen Donarstag, mitten in Krautfeldern und Hirseäckern.
»Ich seh schon«, sage ich, »eine Allianz von Bauernschläue, herumstreifenden Intellektuellen und rauflustigen Rittern.«
»Genau«, bestätigt Reinhart, »ein explosives Gemisch dreier Elemente. Die subversive Wendung der drei Stände: die drei Gegen-Stände.«
»Das Gegenreich. Die Welt steht kopf. Mundus inversus. Passt gut zur Zeitenwende.«
Ich gebe mir Mühe, begeistert zu sein.
»Und die Frauen?«, fragt Hilda kühl-distanziert.
Die Frage, die immer kommt, die uns immer auf den Boden der Realität zurückholt.
»Die Frauen sind voll dabei«, versichert Reinhart.
»Als was?«, fragt Hilda weiter.
»Als Mitkämpferinnen an allen Fronten.«
»Wir wollen Garantien: eigene Pferde, los vom Spinnrad und vom Herd, gemeinsame Hausarbeit und Kinderbetreuung, eigene Klublokale, Waffen, Kettenhemden, anständige Kleider.«
Typisch Hilda. Immer noch das Gandersheimer Programm von 983. Wenn das die Mägde aufschnappen, ist der Teufel los, aber wirklich. Das geht dann über den Pfaffen zum Bischof, von dort zum Herzog und dann aufs Schaffott in Targau. Zum Glück sind wir unter uns. Sind wir das? Und wenn dieser Reinhart ein agent provocateur ist? Man wird ihm nicht glauben. Ich knüpfe ihn eigenhändig auf.
Gerd ist verstummt. Große politische Konstruktionen behagen ihm nicht.
»Und wann passiert was?«, fragt er leicht gereizt.
»Am 26. Dezember auf dem Pappelberg bei Geroldsreut. Um Mitternacht, auf einer Lichtung. Ohne Fackeln, ohne Feuer.«
»Und wer kommt?«, fragt Gerd.
»Alle unsere Kontakte. Wir sind zwölf fahrende Händler und Sänger. Es kommen Bauern, freie und unfreie, Bäuerinnen, Ritter, Damen, Burgherren, einzelne Pfaffen …«
»Schach dem König!«, rufe ich aus.
»Das mit den Bauern gefällt mir gar nicht«, brummt Gerd. »Können wir uns nicht vorher unter uns treffen?«
»Könnt ihr schon. Es ist genug Zeit bis dahin. Aber auf dem Pappelberg werden alle dabei sein.«
»Ich finde«, wendet Birgit ein, »dass es besser wäre, gemeinsam auszuwandern, statt sinnlose Aufstände zu planen. Es kommt doch nichts dabei heraus, nur Gerede. Wir müssen ganz einfach hier weg. Das Wetter stört mich mehr als alle Herzöge, Bischöfe und Handelsherren zusammen. Wir müssen an die Sonne.«
Statt zu antworten stimmt Reinhart ein Lied an. Es geht um die Sonne der Freiheit, die Wärme der Freundschaft, das Glück des einfachen Lebens,