Indienfahrt. Waldemar Bonsels

Indienfahrt - Waldemar Bonsels


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Zimmer für die Nacht einzurichten, wobei mir mein Diener Panja und der Koch zur Hand gingen. Panja warnte mich oft und eindringlich, kannte mich damals aber schon gut genug, um zu wissen, daß gerade seine Befürchtungen nur zu häufig auf dasselbe hinausliefen, wie meine Hoffnungen. Der Koch, ein Sohn aus den Bergen von Südmaratta, der in Bombay an den Umgang mit Europäern gewöhnt worden war, widerstand längst nicht mehr dem Bösen in mir. Allerdings war ich ihm gleichgültig; er tat verschlossen und in stoischer Ruhe seine Pflicht, bestahl mich, wo er konnte, und erwartete mit matt gesenkten Lidern meinen Untergang, den er jedesmal voraussagte, wenn ich ihn über einer Ungehörigkeit ertappte. Trotzdem habe ich immer eine Neigung für diesen eigensinnigen und auf seine Art stolzen Mann empfunden, der es nicht über sich brachte, sich vor den Europäern zu beugen, und der seinen Haß gegen die Fremden um der Liebe zu seiner Heimat willen nährte. Gegen Panjas gefügige Unterwürfigkeit, die übrigens keiner niedrigen Gesinnung entsprang, sondern einer kindlichen Bewunderung für den Glanz alles Fremden, hob sich der schweigsame Widerstand dieses Mannes seltsam würdig ab. Ich nannte ihn Pascha, weil ich seinen Namen nicht behalten konnte. Das hätte übrigens niemand gekonnt.

      Als ich auf die Veranda hinaustrat, um mich davon zu überzeugen, daß im Hause keine Scheibe heil war, hockte Panja auf einer Bücherkiste, rauchte und zog meine Hängematte über die Knie.

      „Sie ist überall zerrissen“, sagte er, ohne aufzustehen, und ohne, wie er es anfangs getan hatte, bei meinem Herannahen in größere Arbeitseile zu verfallen. „Sahib, das kommt davon, wenn du eine Hängematte zum Fischen im Fluß verwendest.“

      „Es war ein ausgezeichneter Gedanke“, entschuldigte ich mich. Aber Panja antwortete nur: „Du hast nichts gefangen.“

      Ich untersuchte die Fußböden, die überall von den Ameisen untergraben waren; die Steinfliesen und Bretter schaukelten fast alle, oder sanken tief ein, wenn man darauf trat, ein Sodom und Gomorra dieses Volks vernichtend.

      „Wenn du sehen willst, was diese Tiere tun,“ sagte Panja spöttisch, „so darfst du sie nicht stören. Übrigens sind Ratten im Haus,“ fügte er hinzu, „und vor dem Tor von Cannanore ist die Pest.“

      „So müssen wir Katzen halten“, entschloß ich mich. „Morgen wirst du in die Stadt gehen, um welche zu kaufen.“

      Panja sah mich mitleidig an: „Wer wird eine Katze bezahlen?“ fragte er, „überall laufen sie herum. Auch in diesem Hause werden Katzen wohnen.“ Er meinte die Moschuskatzen, eine kleinere Art, die mir in Malabar viel begegnet ist, und die in fast keinem älteren Gebäude fehlt. So beschloß ich zu warten. Aber da die Ratte als Trägerin der Pest gilt und diese furchtbare Seuche immer noch nicht erlosch, obgleich die eigentliche Regenzeit längst vorüber war, handelte es sich darum, vorsichtig zu sein. Meistens erlischt die Pest mit dem letzten Regen, zu Beginn des indischen Frühlings, da ihr Bazillus nur im Feuchten fortkommt. Mit dem ersten Regen, nach der heißen Zeit, taucht sie aufs neue auf.

      Übrigens könnte die Darstellung unseres Gesprächs ein falsches Bild meiner Stellung zu Panja geben und der Stellung der Europäer zu den dienenden Klassen der Hindus überhaupt. Es ist wahr, daß ich Panja, wie überhaupt allen Leuten, die mir dienten, viel persönliche Freiheit ließ, aber meine Opfer an Autorität oder gar an Selbständigkeit wurden durch eine Gegengabe bedankt, die ich immer höher eingeschätzt habe, als jede andere Darbietung, und dieses Geschenk bestand in der freimütigen Offenheit des Menschenwesens. Die Verwendbarkeit eines Menschen ist der geringste Teil seiner Anlagen, die mir Interesse abnötigen, und alle Unterwürfigkeit verbindet sich mit Verstellung. Die Art, wie die Engländer die Hindus behandeln, verschließt ihre Charaktere und unterdrückt ihr wahres Wesen, wenngleich ich ohne Einwand zugebe, daß solche Stellungnahme, wie die ihre, das unerläßliche Erfordernis zur Beherrschung des Landes ist. Aber ich bin nicht nach Indien gereist, um es zu beherrschen.

      Übrigens gab es auch zwischen Panja und mir erregte Szenen im Ringen um die Oberhand des Einflusses. Für gewöhnlich endete solch ein Auftritt damit, daß ich diesen Sklaven niederschlug. Nun waren allerdings mein Schlag und sein Niedersinken zwei Erscheinungen, die in keinerlei Beziehung zueinander standen, denn häufig brach er schon zusammen, bevor meine Hand ihn erreicht hatte, und im schlimmsten Falle wußte er sich für gewöhnlich immer noch auf eine Art zu wenden oder zu schützen, die kaum mehr als eine Deformierung seines Turbans oder seiner geölten Haarfrisur zuließ. Trotzdem brach er jedesmal zusammen, wälzte sich von einer Ecke des Zimmers in die andere, beklagte heulend meine Undankbarkeit und die Folgen seiner Treue. Aber ehe der Abend hereinbrach, sorgte er doch dafür, daß die Last solcher Verschuldung gegen ihn mir nicht die Nachtruhe raubte.

      „Sahib“, sagte er und pflanzte sich kerzengerade vor mir auf, wobei ein Stolz und eine Menschenwürde seine Züge verklärten, die in der Tat mein Herz mit Dankbarkeit erfüllten. Aber er schien nicht zu wissen, wem er beide verdankte. „Sahib, wie konntest du dich so vergessen?“ Sein Gesicht trug einen Ausdruck so ehrlicher Traurigkeit, daß ich alles eher vermocht hätte, als an ihr zu zweifeln. Ich erklärte ihm bescheiden den Umfang seines Vergehens und die Bedeutung der Folgen, aber in solchen Fällen verstand er nicht genügend englisch, um mich zu verstehen.

      „Deine Studien in Hindustani machen keine Fortschritte“, meinte er dann etwa betrübt, und wir beide waren froh, ein Gebiet gefunden zu haben, das uns wieder auf die Straße unseres gewöhnlichen Verkehrs brachte. Es kamen dann Zeiten eines glücklichen Wandels und schönster Gemeinschaft, in denen Panjas Selbstentäußerung so weit ging, daß er sogar meinen Whisky unverdünnt auf den Tisch brachte, und ich daher genau nachprüfen konnte, wieviel er aus der Flasche gestohlen hatte.

      Ich war damals im zehnten Monat in Indien, und außer Panja und Pascha war noch ein prächtiger Hund die ganze Zeit hindurch mein treuer Begleiter gewesen. Er hieß Elias und hatte eben sein erstes Lebensjahr vollendet, so daß mir vergönnt gewesen war, seine Erziehung selbst zu leiten und seine Entwicklung zu überwachen. Leider ist es bei den Hunden so bestellt, daß man bei einem zwei Monate alten Tierchen sehr schwer in der Lage ist, über seine Abstammung und seine endgültige Ausgestaltung irgend etwas mit Bestimmtheit auszusagen. Aber ich habe immer eine besondere Neigung für solche Menschen empfunden, die allen Erscheinungen und Personen die besten Seiten abzugewinnen wissen und ihre eigenen Tugenden in andere so lange hineinlegen, bis sie eines Schlechteren belehrt werden. Und in der Nacheiferung solcher Charaktere ist es mir gelungen, in Elias das Muster eines vortrefflichen Tieres zu erblicken. Ich möchte bei der Aufzählung seiner Vorzüge nicht in Dingen seiner äußeren Erscheinung steckenbleiben, zumal nicht abzusehen ist, ob sich im Laufe der Zeit nicht noch das eine oder andere bei ihm verändern wird, aber sicher ist, daß er einen gesunden Appetit und einen gesunden Schlaf hat. Er ist außerordentlich vorsichtig und begibt sich niemals in Gefahr, auch fällt er keine Fremden an und unterdrückt seine Wachsamkeit aufs äußerste, was mir um so willkommener ist, als ich oft in aufreibende geistige Arbeit verstrickt bin, bei der jedes Gebell mich stören würde. Seine Anhänglichkeit ist so groß, daß er sie auf alle Menschen erstreckt, die ihm begegnen, und besonders muß man, ohne das Vorurteil einer selbstsüchtigen Hoffnung, den außerordentlichen Eigensinn seines Willens rühmen, der die Grundlage des echten Charakters ist. Elias läßt sich weder durch Drohungen noch durch Versprechungen dazu bringen, die Wünsche anderer, oder die meinen, zu beachten. Er verunreinigt weder den Garten noch die Straße und nimmt uns auch, was seine Fütterung betrifft, jede Mühe ab, die durch Herzutragen von Nahrung entsteht.

      Leider ist es mir bisher nicht gelungen, zwischen ihm und Panja ein erträgliches Verhältnis herzustellen. Wahrscheinlich läßt Panja sich als Orientale in seinen herkömmlichen Begriffen vom Wesen des Hundes gehen, sicher ist, daß ihm jedes tiefere Verständnis für Rasse abgeht.

      „Sahib, was ziehst du für ein Schwein ins Haus?“ rief er, als ich damals den eben erworbenen Elias heimbrachte.

      „Er ist bestaubt, und die Schnur hat sich am Hals zugezogen,“ sagte ich, „warte, bis er gewaschen ist.“

      „Willst du ihn waschen?“ fragte Panja und verschlang abwechselnd mich und Elias mit übergroßen Augen.

      „Es ist ein vorzüglich veranlagtes Tier, das uns gute Dienste leisten wird“, versicherte ich etwas enttäuscht von dem Empfang,


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