Indienfahrt. Waldemar Bonsels

Indienfahrt - Waldemar Bonsels


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hoch am Himmel stand, daß seine Strahlen durch die Palmenwipfel den Weg ins Haus fanden, aber die Lichtflecke am Boden und die blassen Streifen in der Luft verwirrten mein Auge anfänglich, bis ich erkannte, daß der Fußboden von einer erregten Schar großer Ratten wimmelte, die sich wie zu einem Angriff an der einen Seite des Raums gesammelt hatten. Ihnen gegenüber kauerte in der Ecke eine Katzenfamilie, kleinere, langhaarige Tiere mit ihren Jungen, und zwischen den beiden Parteien lagen getötete Ratten, einige verwundete schleiften sich mühsam unter kläglichem Piepen voran, einen Blutstreifen hinter sich zurücklassend. Es war deutlich erkennbar, daß die Katzen – ich zählte derer ohne die Jungen etwa vier oder fünf – sich im Zustande höchster Angst und äußerster Bedrängtheit befanden. Sie kämpften einen Verzweiflungskampf gegen die Übermacht der Ratten. Ihr drohendes Fauchen und Miauen hatte etwas, selbst überlegene Gegner, außerordentlich Einschüchterndes, und ihre Gebärden erinnerten mich an die eines gereizten Panthers. Es schien eine alte Feindschaft zu sein, die seit langem im Bereich dieses Hauses herrschte, und die in dieser Nacht vielleicht zum soundsovielten Male blutig ausbrach. Es mag einmal anders gewesen sein, vielleicht herrschte vorzeiten das Geschlecht der Katzen ohne Einschränkung und als tyrannischer Unterdrücker der Ratten, bis diese zu jener Überlegenheit gelangt waren, die mir jetzt über jeden Zweifel erhaben schien.

      Die Ratten rückten langsam und mit widerwärtigen Lauten des Zorns und der Blutgier heran. Das magische Licht und der fast leere Raum, dessen Ecken in Dämmerung gehüllt waren, verschob meinen Sinnen auf eigenartige Weise die Verhältnisse von Größe und Weite, es kam mir vor, als rückten dunkle Ungeheuer zum Kampfe gegeneinander heran, ich selber war kleiner als sie, auf einem weit entfernten Berg.

      Als die erste Katze, wie es mir erschien, ein alter und erfahrener Kater, zur Verteidigung mit einem langen, flachen Satz vorsprang, erschreckte und begeisterte mich die Wildheit seiner Bewegung. Der Kater verließ sich im Kampfe weniger auf sein Gebiß, als vielmehr auf seine Pranken, die mit zäher Geschmeidigkeit und tödlicher Sicherheit dreinhieben. Die Ratten stoben anfangs auseinander, als er mitten unter sie sprang, nur eine, die von seiner Tatze getroffen worden war, wand sich schreiend neben ihm am Boden, ohne daß er sie vollends tötete, oder auch nur noch beachtete. Seine glühenden Augen, dicht über dem Boden, waren auf die aufs neue heranrückenden Gegner gerichtet. Sie kamen langsam und mit häßlichem Kreischen näher, aus welchem sowohl Todesangst als auch äußerste Kampfeswut klangen, aber ein erneuter Sprung des Katers mitten unter sie hatte nicht mehr die gleiche Wirkung, wie der erste. Die diesmal getroffene Ratte hatte sich offenbar an seiner Lippe festgebissen, jedenfalls schlug das Tier, von seinen Schmerzen wie von Sinnen, mit ungeheurer Wut planlos um sich, sprang hoch empor und wälzte sich am Boden, während immer die eine Ratte, schon fast zerfleischt und in Strömen blutend, an seinem Maule festgebissen hing und hin und her geschlenkert wurde, hinauf und hinab. Und während ich, von Grauen fast atemlos, sah, daß die unheimlichen schattenhaften Gefährten der geopferten ersten sich von allen Seiten in der kämpfenden Katze festbissen, beobachtete ich sogleich, wie hart an der Wand eine andere Rattenschar gegen die in der Ecke zusammengedrängten Katzen vorrückte. Sie glitten, eng aneinandergedrängt, wie ein langsamer Schatten dahin, und das furchtbare Geschrei des sterbenden Katers mitten im Zimmer begleitete ihren gespenstigen Zug wie eine greuliche, herausfordernde Kampfesmusik.

      Plötzlich, wie auf einen heimlichen Zuruf hin, stürzte der herannahende Schatten blitzschnell auf die zusammengekauerten Katzen, und es entspann sich ein zweiter, nicht weniger erhitzter Kampf im Dunkel, der mich um so mehr entsetzte, als ich keine Einzelheiten zu erkennen vermochte.

      Ein winziges, junges Kätzchen von zärtlichster Anmut flüchtete betroffen, und scheinbar die Gefahr kaum ahnend, mit zierlichen Sätzen ins Licht. Zwei rasche Schatten folgten ihm, man sah keine Bewegungen an ihnen als einzig die des Dahingleitens, und in wenig Augenblicken war das Tierchen zerfetzt. Auf den kurzen, jammervollen Angstschrei arbeitete sich die Mutter mit verzweifelten Anstrengungen zur Hilfe heran, und zu meinem Entsetzen sah ich die schauerlichen Nachtgesellen in ihren Leib verbissen, und sie schleppte, vor Schmerzen heulend, wie ich niemals eine Katze habe klagen hören, ihre blutdürstigen Mörder mit sich, ohne ihrem Kinde Hilfe bringen zu können.

      Wäre dieser Kampf nicht gleich darauf auf eine entscheidende Art unterbrochen worden, so hätte ich sicher eingegriffen, um ihn endlich zu beenden. Ich habe mich später oft gefragt, was mich daran gehindert haben mochte, es gleich zu tun. Dem Menschengemüt haftet ein sonderbarer Hang an, kämpfenden Tieren zuzuschauen, und der wollüstige Genuß an solch erregenden Schauspielen ist nicht nur verwerflicher Art, sondern er muß auch eine Achtung vor den selbsttätigen Bewegungen der Natur zur Grundlage haben und ein heimliches Bewußtsein für die Wahrheit, daß der Mensch ihrem Walten weder etwas nehmen noch hinzufügen kann. Ich entsinne mich, daß ich schon als Kind einem Hahnenkampf mit Freude und Genugtuung zuschaute, und daß ich sein Ende mit dem erhebenden Gefühl einer Bewunderung und ohne Beschämung erwartete. So habe ich als Knabe auch nur schwer begreifen können, daß die Menschen Hunde zu trennen suchten, die in eine Beißerei geraten waren, und obgleich einem reizenden Affenpinscher, den ich mein eigen nannte und dem ich aufrichtig zugetan war, von einem Wolfshund die Kehle durchbissen wurde, weiß ich doch gut, daß ich trotz meines Schmerzes dem bösen Sieger mit einer Ergriffenheit nachschaute, die geradezu an Anbetung grenzte und die mit heftigem Neid auf seinen Lorbeer gemischt war.

      In jenem Augenblick nun, als ich, von Entsetzen und Mitleid gepeinigt, in den blutigen Kampf der Tiere einzugreifen beschloß und vorsichtig nach meiner Schußwaffe tastete, im voraus mit heimlicher Genugtuung die furchtbare Wirkung ermessend, die das Krachen eines Schusses auf dem nächtlichen Schlachtfeld hervorrufen würde, erklang aus dem dunklen Winkel des Raumes, hinter mir, ein Laut, dessen gebieterische Macht stärker war, als der feurige Donner aus dem eisernen Mund meiner Waffe. Es war ein leises Zischen, das man auch ein trübes Fauchen hätte nennen können und das den seltsamen und etwas lächerlichen Lauten zu vergleichen war, mit denen bisweilen Gänse mit gesenktem Kopf gegen einen Gegner vorzugehen pflegen. Aber die Wirkung dieser klanglosen und widerlich eindringlichen Stimme war alles andere als lächerlich, sie war von einer geradezu grauenhaften Macht. Ich fühlte mein Blut in den Adern gerinnen, und die Totenstille, die im Raume eingetreten war, erhöhte den Schauer meines Entsetzens zu einer todesartigen Erstarrung. Es war so still, daß ich mein gehemmtes Blut in den Ohren sausen hörte, bis langsam, ganz langsam mein Herz jenes furchtbare, dumpfe Hämmern begann, unter dem der Atem stockt und ein schmerzhaftes Gefühl des Erstickens einsetzt. Ich sah die Tiere wie dunkle, reglose Flecke am Boden, selbst das Todesgeschrei der Verwundeten verstummte für eine Weile, nur eine große Ratte, deren Leib völlig aufgerissen war, kreiste in einer Lache ihres Blutes am Boden, in ihr Eingeweide verwickelt, mitten im Mond, und ihr heiseres Piepen hatte in Gemeinschaft mit ihrem scheußlichen Reigen eine fast komische Wirkung unbeteiligten und ahnungslosen Eifers.

      „Die Schlange hat gesprochen, unter den heißen Steinen,

       ihr tauber Gesang schüttet das Herz in Schnee,

       aus ihrer Stimme brechen die Augen des Todes

       wie aus den Berggefilden des ewigen Schnees.“

      Ich hatte diese Verse in Maratta von einem Fakir gehört und sie mir später geben lassen, wobei ich erfuhr, daß sie alter Herkunft sind und einem viel gesungenen Liede der Bergvölker der West-Gates entstammen. Nun dachte ich in diesem Augenblick zwar nicht an sie, sondern die Verse schienen an mich zu denken, sie bemächtigten sich meiner in dieser schrecklichen Lage, und mir geschah aufs neue das ergreifende Wunder jener erhabenen Gelassenheit, die, in Augenblicken der Angst, wie eine höhere und unbeteiligte Gewalt über uns hereinbrechen kann.

      Darüber sah ich eine große Schlange herangleiten, ihr schmaler Kopf war wohl eine Handbreit über dem Erdboden erhoben, und als er ins Licht kam, sah ich die feine Zunge eifrig spielen. Es erschien mir, als lächelte das Tier.

      Unter meinen Augen begann nun das grausame Spiel der Schlange, das alle Völker auf Erden kennen und rühmen oder verfluchen. Keinem anderen Tiere ist die geheimnisvolle Macht dieser Wirkung verliehen, die lautlos, unerklärbar, und wie aus einer unterirdischen Welt des Bösen stammend, daherkommt. Kraft und Mut, oder gute Waffen und kühner Sinn bringen ihrer Herrschaft nur selten Gefahr, denn sie hat neben vielen magischen Mitteln jenes furchtbare in ihrer Begleitschaft, das auch den Helden wehrlos macht,


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