Der Schatz im Flaschenhals. Andreas Arz

Der Schatz im Flaschenhals - Andreas Arz


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komm´ Bub´, jetzt mach´ Paus´ und komm´ mit nübber bei misch. Do ziehe mir en´ schee Flasch´ Lorcher Woi uff und babbele en bissje.«

      Obwohl Arnold gerade voll in seinem Element war und seine Energie jetzt gern für seinen Hof genutzt hätte, nahm er die Einladung dankend an. Ein Nachbarschaftsverhältnis sollte nicht damit starten, dass eine nett gemeinte Einladung auf ein Glas Wein ausgeschlagen wurde.

      »Aber gerne. So ganz weiß ich eh noch nicht, wo ich anfangen, geschweige denn weitermachen soll. Da können wir auch zuerst eine gute Grundlage mit einem Glas Wein schaffen«, sagte Arnold und lächelte.

      »So muss des sein … aber ein Glas is´ gut, zwei sin´ besser - uff einem Bein kann mer schließlich auch nit stehe«, sagte Wille und grinste dabei übers ganze Gesicht.

      »Auf geht´s!«, rief er, drehte sich um und bog nach rechts zu seinem Haus ab. Arnold folgte den schnellen Schritten seines neuen Nachbarn.

      Ein neuer Freund

      Am Haus angekommen, zog Willi die alte, rostige Tür zum Vorgarten auf und bat seinen Gast hinein. Im Garten blieb er kurz stehen.

      »So, do sind mir, willkommen auf Laggei´s Hof«, sagte er schmunzelnd.

      »Schön habt ihr es hier«, erwiderte Arnold und blickte sich um. Der Garten war sehr geschmackvoll angelegt. Überall blühten Blumen und es roch nach frisch gemähtem Gras. In der Mitte des Gartens stand eine alte, stilvoll bepflanzte Weinkelter. Strauchgewächse rankten aus der alten Weinmacher Gerätschaft heraus, die ihren ursprünglichen Dienst wohl schon lange hinter sich gelassen hatte. Willis Haus war im Fachwerkstil gebaut und musste mehrere hundert Jahre alt sein. An der Hauswand drängten sich dezent zugeschnittene Sträucher. Es war ein richtiger Ort zum Wohlfühlen. Arnold spürte, dass hier jemand sehr viel Liebe in die Gestaltung seines Heims gesteckt hatte.

      »Schee´ habe mir es hier?«

      »Auf jeden Fall, ich bin beeindruckt. Steckt viel Liebe drin.«

      »Jo, und vor allem Schweiß. Das ganze Kraut hier ringsrumm wächst wie blöd und will fast jed´ Woch´ geschnitte´ werde«, flachste Willi. »Auf komm´, ab in die Stub´, ich hab´ was Feines für uns!«

      Arnold nickte. »Na dann, auf geht´s!«

      Willi schritt wieder voran rechts am Haus vorbei in einen Hinterhof. Der Vorgarten hatte es Arnold schon richtig angetan und der Hinterhof stand dem in nichts nach, stellte er überrascht fest. Willi hatte hier eine kleine Weinlaube errichtet, an der sich Reben an verschiedenen Gestängen nach oben rankten. Der Anblick traf voll und ganz Arnolds romantische Ader. Hier konnte man viele schöne Stunden verbringen.

      Willi zog eine Holztür auf, die offensichtlich in seinen Weinkeller führte. Sowie der Gang nach unten offenstand, drang der unverwechselbare Kellergeruch in Arnolds Nase. Wie sehr liebte er dieses Aroma. Diesen Duft gab es wirklich nur hier, wo der Wein tatsächlich wuchs und Keller in die Felsen geschlagen wurden.

      »Auf, komm´ mit. Mir gugge mo´, was mir im Keller finde´!«, forderte Willi Arnold auf.

      Er schaltete das Licht ein. Es war gedimmt und leuchtete den Treppengang gerade eben aus. Unten angekommen, bot sich Arnold ein wahres Mekka für Weinliebhaber. An allen Wänden waren Holzregale montiert und boten eine große Auswahl verschiedenster Weine. Man konnte Willi ansehen, dass er sehr stolz auf seine Sammlung war. Er schritt am Regal entlang und musterte die Flaschen mit seinem geschulten Blick. Er wollte seinem neuen Nachbarn schließlich ein besonderes Tröpfchen anbieten. Ein echter Lorcher wollte sich schließlich nicht lumpen lassen.

      Willi blieb am Ende des Regals stehen und zog eine Flasche heraus. Wieder musterte er das Etikett.

      »Hier hab´ ich was für uns zwei Hübsche´.« Dabei grinste er bis über beide Ohren. »Ein feine´ Riesling von ´88.«

      »Das hört sich gut an, kannst du diesen Jahrgang demnach empfehlen?«

      »Lorcher Jahrgäng sin´ alle zu empfehlen«, scherzte Willi, »aber ich such´ immer gern´ ein Jahrgang aus, zu dem es ein bissje was zu erzähle´ gibt.«

      »Okay, dann scheint es wohl zu dem Jahrgang einiges zu erzählen zu geben. Wie ich sehe, liegen hier jede Menge Flaschen aus dem Jahr?«

      »Ei jo, musste so sehe´, das ist ein bissje sinnbildlich. 1988 hatte unser Vadder Rhein es rischtisch gut mit uns gemeint und ein schönes Hochwasser nach Lorch geschickt. Da hab´ ich mir gedenkt, leg´ ich mir auch bissje mehr Brüh´ in de Keller, kann nix schade.«

      Arnold musste laut lachen, denn den sinnbildlichen Vergleich von Hochwasser zu Wein empfand er als urkomisch. Diese lustige Ader passte sehr zu Willi. Irgendwie hatte alles mit Wein, Lorch und dem Rhein zu tun. Aus allem konnte Willi entweder einen guten Scherz oder schöne Geschichte entstehen lassen. Arnold fühlte sich in seiner Gesellschaft immer wohler und eine große Erleichterung machte sich in ihm breit. Noch vor einer viertel Stunde hatte er allein vor seinem Weingut gestanden und versucht, seine Nervosität mit Fegen zu vertreiben. Jetzt war er bereits in netter Gesellschaft und die erste gute Freundschaft schien unter Dach und Fach zu sein.

      Willi griff unterdessen in einen alten Holzschrank, der an die Kellerwand geschraubt war. Zum Vorschein kamen zwei Weinrömer aus schönem, grün schimmerndem Glas, verziert mit der Lorcher St.-Martins-Kirche.

      »Auf, Bub´, mir werden nit jünger.« Mit diesen Worten ging Willi zügig wieder nach oben. Arnold nahm noch einen tiefen Zug von der Kellerluft, bevor er ihm folgte. Die beiden nahmen in der Weinlaube auf einer schweren Holzbank Platz. Willi entkorkte die Weinflasche, schnupperte prüfend am Korken, schenkte einen kleinen Schluck in den Römer und trank vorweg, damit er sichergehen konnte, dass der Wein gut war und nicht nach Kork schmeckte. Der Wein bestand den Test und Willi goss großzügig ein.

      »Auf unser Wohl!«

      »Prosit!«

      Die beiden stießen an und nippten genüsslich an ihren Römern.

      Arnold berichtete Willi von seiner Heimat Mecklenburg und den Motiven seines Umzuges. Willi hörte aufmerksam zu, denn es kam nicht häufig vor, dass ein Norddeutscher sich in Lorch niederließ, um ein Weingut wieder aufblühen zu lassen. Normalerweise gaben sich die Generationen die Klinke in die Hand und die Weingüter wurden über viele Jahre im Familienbetrieb bewirtschaftet.

      Während sie sich unterhielten, entging ihnen, dass die Sonne langsam unterging. Willi präsentierte seinem Gast einen Jahrgang nach dem anderen. Was mit dem 88er-Jahrgang begann, ging über 1990, 1995 bis 2002. Je jünger die Weine wurden, desto redseliger wurde Willi - oder es lag einfach nur am steigenden Alkoholpegel. Jeden Jahrgang kredenzte er mit einer spannenden Lorcher Geschichte. Besonders 1990 war ein erhellendes Thema für beide. Willi erzählte, wie nach der Wende viele DDR-Bürger nach Lorch kamen und hier ein neues Zuhause gefunden hatten. Vorurteile gegen die »Ossis« waren immer präsent, doch nachdem sie sich eingelebt und als tüchtige neue Mitbürger erwiesen hatten, die ebenfalls gern einen Schoppen tranken, war eine neue Gemeinschaft entstanden. Arnold erinnerte sich ebenfalls gut an diese Zeit. Viele seiner Nachbarn und Freunde waren in dieser Zeit in den Westen gegangen, um neues Glück zu finden. Einige kehrten enttäuscht zurück und andere fanden irgendwo irgendetwas und wurden nicht mehr gesehen.

      Als sie den 2002er-Riesling ausgetrunken hatten und Willi bereits in den Startlöchern für das nächste gute Tröpfchen mit passender Geschichte stand, winkte Arnold ab und sagte: »Oh Willi, ich brauche eine kulturelle Pause. Wenn wir noch eine Flasche aufziehen, habe ich morgen vergessen, was in der ersten war.«

      »Kein Problem, mir müsse´ schließlich nit de´ ganze Keller leer mache«, erwiderte Willi ganz entspannt. »Schließlich wohnst du jetzt nebe´ an und wir werde´ noch sicher das ein oder andere Tröpfche´ aus ´ em Keller hole.«

      »Auf jeden Fall, vielen Dank für den munteren Abend«, sagte Arnold lächelnd.

      »Gern´, hat mir auch Spaß gemacht. Mit meiner Frau kann ich das nit mache´. Spätestens nach de´ zweit´ Flasch´ Riesling geht das Gemecker los, ich soll nit so viel saufe.« Dabei zwinkerte Wille


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