Kontern - aber wie?. Dagmar Kohlmann-Scheerer
Neandertalerstamm, der Berglöwe und der Ast Gelegenheit, in aller Ruhe die Attacke vorzubereiten.
Dieses Fiasko konnte sich der liebe Gott nicht länger anschauen, denn auf die beschriebene Weise hätte sich die Menschheit schneller verringert als vermehrt. Somit musste er einen Riegel vor die endlosen Diskussionen schieben: das limbische System.
Limbisches System
Das limbische System reagiert ganz anders als das Denkhirn. Kaum hat das System die drohende Gefahr erkannt, wird blitzschnell (das viel zu langsame) intelligente Denkhirn abgeschaltet, und die Hormonproduktion kann starten.
Das System des Gehirns heißt: Entweder Intelligenz oder (Kampf-)Hormone!
Zurück zu unserem historischen Beispiel. Entscheidend für die Reaktion der angegriffenen Gruppe ist, welches Hormon freigemacht wird. Adrenalin sorgt für die schnelle Flucht – es können blitzschnell „die Beine in die Hand“ genommen werden … und Noradrenalin veranlasst den Angegriffenen, „die Keule in die Hand“ zu nehmen und zurückzuschlagen.
Intuitive Reaktion
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Kaum erreicht unser limbisches System der Impuls eines Angriffs, ziehen wir uns beleidigt zurück oder wir schlagen (verbal) zurück.
Der Körper ist seiner Verpflichtung nachgekommen und hat (aus seiner Sicht) unser Überleben gesichert. Nicht ahnend, dass unser Überleben heute von etwas ganz anderem abhängt, nämlich oft: von der richtigen Antwort zur richtigen Zeit.
Bei einem großen Schreck halten wir sofort die Luft an.
Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie stehen kurz vor einer Präsentation. Sie arbeiten noch am letzten Schliff, ein Kollege kommt in die Nähe Ihres Arbeitsplatzes und wirft im Vorübergehen die lapidare Bemerkung in Ihre Richtung: „Ja, ja, strengen Sie sich ruhig ein wenig an, damit die Präsentation wenigstens diesmal ein richtiger Erfolg wird.“
Da stockt einem doch der Atem, oder? Sie sitzen da wie ein Kaninchen vor der Schlange – paralysiert! Folgende „Erste-Hilfe-Maßnahmen“ helfen Ihnen in einer solchen Situation:
Sofortmaßnahmen bei einem Angriff
1. Atmen Sie tief ein!
Gehirn und Stimme brauchen Sauerstoff. Zudem wird der Zwerchfellmuskel bedient, was ein kraftvolleres Ausatmen zur Folge hat. Somit bleibt Ihre Stimme fest. Halten Sie hingegen die Luft an, werden Sie zum „Hochatmer“. Die Gefahr ist hier, dass die Brust sich aufpumpt und Sie einen Druck im Kehlkopfbereich spüren. So fühlt sich der „Kloß im Hals“ an. Sie können sich lebhaft vorstellen, dass sich Ihr Körper damit im Stress befindet und nicht auch noch Hirnanstrengungen leisten kann. Zudem wird oft (durch den fehlenden Atem) die Stimme brüchig oder sie bleibt ganz weg. Noch schlimmer: Sie wird piepsig!
Den Lachmuskel aktivieren
2. Lächeln Sie!
Egal, wie Ihnen zumute ist, Lächeln stimuliert den „Zygomaticus major“, den Lachmuskel. Dieser wiederum sendet an das limbische System positive Signale, die Produktion von Kampfhormonen wird gestoppt und die Thymusdrüse bekommt die Information, sofort „Freudehormone“ auszuschütten. Ein Freudehormon frisst ungefähr 1000 Kampfhormone. Das heißt – Sie werden nicht durch unnötige Kampfhormon-Massenproduktion gedanklich blockiert.
3. Verschaffen Sie sich Bewegungsfreiheit!
Stehen Sie auf, damit Sie mit Ihrem Kontrahenten auf gleiche Höhe kommen. Wenn Sie vorher beide saßen, können Sie in der stehenden Position auf ihn herunterblicken (wenn es die Situation erlaubt). Sonst rücken Sie in aller Ruhe mit dem Stuhl ein wenig zurück. Falls Sie beide standen, gehen Sie ein paar Schritte zurück, um sich klare Gedanken zu verschaffen. Sie brauchen Freiraum um sich herum, damit Sie alle oben genannten Tipps anwenden können. Im Stehen können sie auch viel besser atmen. Außerdem verbrauchen Sie, während Sie sich bewegen, Adrenalin.
Ruhe bewahren
4. Bleiben Sie ruhig und lassen Sie sich Zeit!
Das tiefe Ein- und Ausatmen unterstützt die innere Ruhe. Der Anspruch, sofort und wie aus der Pistole geschossen antworten zu müssen, ist viel zu hoch und erzeugt Druck. Unter Druck schließen sich sofort wieder die Synapsen und Sie können nicht klar denken. Der Angreifer wartet gern auf Ihre Reaktion, denn er will beobachten, wie Sie reagieren. Lassen Sie ihn schmoren. Dabei atmen Sie tief, bewegen sich einen kleinen Schritt zurück und lächeln tiefgründig …
5. Verschwenden Sie keine unnötige Geisteskraft!
Der ganz alltäglich Angriff ist dumm, dreist und unhöflich. Selten finden Sie Zeichen hoher Intelligenz in einem Angriff. Deshalb können Sie getrost zu einem „schlichten“ Konter greifen – und dieser fällt Ihnen leichter ein. Weiterer Vorteil: Sie ersparen sich die zwecklose und dennoch verzweifelte Mühe, nach der „Megaantwort“ zu suchen.
2. Wie können Sie eine Schutzhülle aktivieren?
Stellen Sie sich vor, Ihr lieber Kollege begrüßt Sie (weiblich) vor versammelter Mannschaft mit folgendem Satz: „So wie du aussiehst, könntest du auch mal wieder eine aufregende Nacht vertragen.“ Alles feixt und schaut, wie Sie reagieren. Das Schauspiel will sich keiner entgehen lassen.
Den Airbag aufblasen
Wie schützen Sie sich in einer solchen Situation? Stellen Sie sich vor, dieser Satz wäre ein Tritt. Und dieser Tritt ginge direkt in Ihren Airbag. Schließlich braucht jeder Airbag den Aufprall, damit er sich entfalten kann. Es kann Ihnen nichts geschehen, Sie sind geschützt. Ihr Airbag hat sich wohlig um Sie ausgebreitet. Dabei schauen Sie dem „Dummschwätzer“ direkt in die Augen und beobachten Ihrerseits ihn. Jetzt umspielt noch ein zartes Lächeln Ihre Lippen (Sie wissen – die hormonelle Wirkung des Zygomatikus major). Das programmieren Sie jetzt! Es muss automatisch funktionieren:
Angriff ➔ Airbag ➔ Schutzgefühl ➔ Gegner fixieren ➔ Lächeln!
Dann klappt es auch mit der Antwort, zum Beispiel: „Sag mir, was du denkst, und ich sag dir, wer du bist.“
Negative Situationen
Jetzt werden Sie fragen: „Und was mache ich in ganz ‚normalen Situationen?‘ Zum Beispiel, wenn Sie gut gelaunt ins Geschäft kommen und ein missgelaunter Kunde an Ihnen seinen Frust auslässt? Sie merken, wie Ihnen allmählich die Laune verdorben wird. Oder zu Hause – die Familie ist genervt und gereizt und Ihre Stimmung wandelt sich auch allmählich ins Negative. Hier tritt Ihnen keiner den Airbag frei. Der Unterschied zur „klassischen Airbag-Situation“ ist der, dass diese Attacke ganz schleichend geschieht und Sie es erst merken, wenn Sie sich bereits haben herunterziehen lassen und sich nun ebenfalls in schlechter Stimmung befinden.
Stellen Sie sich vor, es ist Ihr freier Tag, Sie haben etwas Muße und möchten sich ein paar Stunden in einer Buchhandlung gönnen – Zeit zum Stöbern und einige Titel von der Bücherliste abhaken. Sie fragen den Verkäufer nach einem Werk, an dessen Titel Sie sich nicht mehr genau erinnern, in der Hoffnung, dass Ihnen geholfen wird. Der Buchhändler gibt Ihnen mürrisch die Antwort: „Schauen Sie da drüben im Regal, da stehen alle Bücher, die mit diesem Thema zu tun haben.“
Da kann es Ihnen leicht passieren, dass Ihnen das Messer in der Tasche aufgeht. Ab sofort nicht mehr! Beziehungsweise nur noch dann, wenn Sie sich bewusst dafür entscheiden, sich ärgern zu wollen.
Der Willkür anderer begegnen
Was haben alle Beispiele gemeinsam? Dass Sie der Willkür anderer Menschen ausgesetzt sind. Dass Fremde, die Familie oder Kollegen darüber entscheiden können, wie es Ihnen geht. Wahrscheinlich fallen Ihnen noch weitere Situationen ein, in denen es anderen Menschen gelang, Sie herunterzuziehen. Und oft sind es immer wieder die gleichen Situationen.
Bestimmen Sie ab sofort selbst, in welcher Gemütsverfassung Sie sich befinden.
Damit bricht eine neue Zeit für Sie an. Sie reagieren auf den schleichenden Ärger wie folgt: Sie schlüpfen in Ihren Airbag wie in einen unsichtbaren Schutzballon. Dazu brauchen Sie eine Vorbereitungszeit zu Hause. Die Idee stammt