Die Illusion der Unbesiegbarkeit. Paul Williams

Die Illusion der Unbesiegbarkeit - Paul  Williams


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Fachleute in Peru, den USA und Deutschland herangezogen haben, maßen wir uns nicht an, ein erschöpfendes, historisch vollständiges Bild zu zeichnen. Dazu gibt es andere wunderbare Bücher. Zum Einstieg empfohlen seien etwa der prachtvolle Katalog und weitere Begleitpublikationen der großen Inca-Ausstellung von 2013 im Lindenmuseum Stuttgart (»Inka. Könige der Anden«). Unser Blick auf die Incas ist der selektive Blick heutiger Führungskräfte. Uns selbst hat dieser Blick tiefere Einsichten in unser eigenes Denken und Handeln im Unternehmenskontext ermöglicht als zahllose gut gemeinte PowerPoint-Präsentationen und Führungsworkshops zuvor. Wir hoffen, dass es diesem Buch gelingt, einen Teil unserer Faszination weiterzugeben. Und wir freuen uns, wenn unsere manchmal überraschenden Einsichten Sie bis zur letzten Seite auch gut unterhalten. Langweilige Bücher gibt es schließlich schon genug! Und wer weiß: Vielleicht sehen wir uns ja auf einer gemeinsamen Unternehmerreise nach Peru? Sprechen Sie uns an!

      Monheim am Rhein, im Juni 2017

      Andreas Krebs und Paul Williams

       www.inca-inc.com

      PS: Eigentlich sollte es sich von selbst verstehen: Wenn wir von »Managern« oder »Führungskräften« sprechen, schließen wir damit beide Geschlechter mit ein. Auf Doppelkonstruktionen wie »Manager/in« verzichten wir dennoch aus Gründen der Lesbarkeit.

       Und noch eine Anmerkung: Bei dem Andenvolk, das uns so beeindruckt hat, haben wir uns für die internationale Schreibweise entschieden – also »Inca« statt »Inka«. Schließlich dachten auch die Incas schon vor 500 Jahren über nationale Grenzen hinweg …

      »Jahrelange Erfolgsgeschichten können zu einem nicht zu rechtfertigenden Selbstvertrauen führen, zur irrigen Annahme, ›Wir kriegen das schon hin‹.«

      PROF. DR. IRIS LÖW-FRIEDRICH, TOPMANAGERIN UND MULTI-AUFSICHTSRÄTIN

       Kein Aufstieg ohne Fall? Ein Blick auf die Fortune 500

      Alljährlich veröffentlicht das Magazin Fortune die Liste der Top 500. Hier sind sie versammelt: die Big Player, die umsatzstärksten Unternehmen der Welt. Doch kaum eine Organisation schafft es, ihren Spitzenplatz im Wirtschaftsolymp dauerhaft zu halten. Ist der Moment des größten Triumphs womöglich auch der der größten Verwundbarkeit? Trägt jeder außergewöhnliche Erfolg schon den Keim des Scheiterns in sich? Anders gefragt: Gibt es keinen Aufstieg ohne Fall? Wenn Weltreiche zusammenbrechen, Hochkulturen wie die der Incas innerhalb weniger Jahre in der Bedeutungslosigkeit versinken, woher nehmen Unternehmensführer und Manager unserer Zeit die Zuversicht, dass ihr Erfolg von heute auch morgen und übermorgen noch andauern wird? Und wichtiger noch: Gibt es Warnsignale für den drohenden Untergang? Diese Frage betrifft selbstverständlich nicht nur Großunternehmen. Wir alle kennen schließlich Start-ups, die nach einem kometenhaften Aufstieg ebenso spektakulär scheiterten, und traditionsreiche Mittelständler, deren Erfolgskurve nach vielen Jahrzehnten scheinbar urplötzlich zu Ende war.

      Wer spricht heute noch von Nokia?

      Wenn Sie heute einen Smartphone-gewieften Dreizehnjährigen fragen, was er von Nokia hält, wird er Sie wahrscheinlich verständnislos anblicken: »Hä – Nokia?« Dabei war das finnische Unternehmen noch vor wenigen Jahren ein echtes Schwergewicht: Von 1998 bis 2011 dominierte es den weltweiten Markt für Mobiltelefone, als weltgrößter Handy-Hersteller und Marktführer. 2004 belegte Nokia in der Fortune-Liste der 500 größten Unternehmen der Welt einen stolzen Platz im vorderen Drittel (Rang 122). Ein kleines Land mit rund fünf Millionen Einwohnern beherrschte souverän eine Zukunftsbranche.

      Die Geschichte von Nokia könnte Stoff für ein Hollywood-Drama liefern: 1865 baut der Ingenieur Fredrik Idestam am Fluss Nokianvirta im Süden Finnlands eine Zellstoffmühle und Papierfabrik und nennt sie »Nokia«. Gut drei Jahrzehnte später, 1898, gründet Eduard Polón eine Fabrik, die Gummistiefel und Radmäntel produziert, die Finnish Rubber Works. Und noch einmal knapp 15 Jahre später entstehen die Finnish Cable Works, gegründet von Arvid Wickström. Ab 1963 produzieren die Cable Works auch kabellose Telefone für die Armee. Die drei Unternehmen kooperieren bereits 45 Jahre miteinander, als sie 1967 zum Technologiekonzern Nokia verschmelzen. Forstwirtschaft, Gummi, Kabel, Elektronik und Stromproduktion bleiben Geschäftsbereiche, bis die Deregulierung des europäischen Telekommunikationsmarktes Anfang der Achtzigerjahre die Weichen neu stellt. Als das skandinavische Mobilfunknetz NMT (Nordic Mobile Telephone) entsteht, produziert Nokia 1981 das weltweit erste mobile Autotelefon und ab 1987 auch Mobilfunktelefone.1 Ab da geht es Schlag auf Schlag: Nokia konzentriert sich auf Mobiltelefone und wächst und wächst und wächst. Andere Geschäftsbereiche wie Gummi, Kabel oder Stromerzeugung werden abgestoßen. Das Unternehmen begeistert mit technischen Neuerungen wie dem Smartphone-Vorläufer »Communicator« (1996); vor allem aber überschwemmt es den Markt mit günstigen und robusten Handys für jedermann. 2002 stammt jedes dritte auf der Welt verkaufte Mobiltelefon von Nokia (Marktanteil 35,8 Prozent), nur jedes sechste von Motorola (15,3 Prozent) und nicht einmal jedes zehnte von Samsung (9,8 Prozent). Das bestverkaufte Handy aller Zeiten ist das Nokia 1100, das sich bis 2013 mehr als 250 Millionen Mal verkauft haben wird:2

      Das Unternehmen aus dem finnischen Espoo scheint unbesiegbar. Und leider fühlt man sich auch so. Denn auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Macht bringen sich neue Wettbewerber in Stellung. Als 2004 die ersten Klapphandys erscheinen, setzt Nokia weiter auf »bewährte« Modelle, und als Apple 2007 das erste Smartphone mit Touchscreen herausbringt, hält CEO Olli-Pekka Kallasvuo das iPhone wörtlich für ein »Nischenprodukt«. Obwohl die Nokia-Techniker immer wieder neue Ideen liefern und nicht selten Vorreiter sind – etwa beim ersten Kamera-Handy (Nokia 7650) oder beim Internet Tablet 770 –, reagiert das Unternehmen zu langsam und schwerfällig. Zu allem Überfluss bricht in der Führungsetage ein Streit aus: Soll man die Smartphone-Entwicklung forcieren oder weiter besonders günstige Handys bauen? Der langjährige Leiter des Deutschland-Geschäfts, Razvan Olosu, zeichnet »das Bild einer riesigen Behörde, voller Handy-Beamter auf Lebenszeit«.3 Die Mitarbeiter am deutschen Standort Ratingen benennen zu Beginn der Krise die eigenen Meeting-Räume vielsagend um: Aus »Helsinki«, »Berlin« oder »London« werden die Räume »Funktioniert hier nicht«, »Wird nie approved« und »Global will das«.4 Mit »Global« ist übrigens die zögerliche Zentrale gemeint. Das nennt man wohl Galgenhumor.

      Genauso rasant, wie es zehn Jahre zuvor aufwärts ging, geht es nun bergab. Ab 2008 sinkt der Marktanteil von Nokia drastisch, ab 2011 schreibt das Unternehmen Verluste. Im gleichen Jahr einigt man sich mit Microsoft auf eine Kooperation: Das eigene Betriebssystem wird aufgegeben, stattdessen wird nun MS Windows auf Nokia-Handys installiert. Die Branche spottet derweil über zwei rostige Schlachtschiffe, die gemeinsam Fahrt aufnehmen wollen. Gegen Apples iPhone und das auf Geräten von Samsung, LG und anderen Unternehmen genutzte Android-System bleibt man erfolglos. Zwei Jahre später übernimmt Microsoft die Mobiltelefonsparte von Nokia. »Das finnische Handywunder ist zu Ende«, urteilt das Branchenmagazin connect. Heute definiert sich Nokia als führender Anbieter von Netzwerktechnologie. Der Aktienkurs seit 1999 gleicht einem Hochgebirge mit Schwindel erregenden Höhen um die Jahrtausendwende, das ab 2009 in eine konstant flache Ebene übergeht. Wer 2000 über 60 Euro für eine Nokia-Aktie bezahlte, bekam Anfang 2016 weniger als 5 Euro dafür.

      Wenn man sich mit der Geschichte der Incas beschäftigt, hat man bei der Lektüre der Nokia-Firmengeschichte gleich mehrere Déjà-vus. In beiden Fällen verändert ein kleines Volk die Welt, weil es findiger, konsequenter und damit zunächst erfolgreicher ist als potenzielle Konkurrenten. Dabei nutzen beide die Gunst der Stunde. Der Aufstieg der Incas vom unbedeutenden Andenvolk zur Großmacht begann circa 1100. Was für Nokia die Deregulierung des Mobilfunkmarktes und das Know-how in Sachen drahtloser Telekommunikation, waren für die Incas ungewöhnliche Kälteperioden in den Anden und entlang der Pazifikküste, in denen sich ihre Kenntnisse in Agrarwirtschaft, Bewässerungswesen und Anbautechniken als überlegen erwiesen. Während andere Völker die kalten Hochebenen verließen, Dürre am Pazifik und extreme Niederschläge andernorts zu


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