Dem Kunden verpflichtet. Ingrid Gerstbach
ist es an der Zeit, dass Unternehmen ihre traditionellen Wege verlassen und damit beginnen, ihren Blick und ihre Entscheidungsfindungsfähigkeiten zu erweitern. Es geht darum, neue Perspektiven zu entwickeln. Dabei hilft es, sich bewusst zu werden, in welchem Kontext das Problem steht, das bearbeitet wird.
Das Cynefin-Framework
Das Cynefin-Framework ist ein Modell, das Probleme, Situationen und Systeme beschreibt. Dieses Framework differenziert zwischen fünf Kontexten: einfach, kompliziert, komplex, chaotisch und verwirrt. Diese Unterscheidung liefert einen Ansatzpunkt dafür, welche Typologie von Erklärungen und / oder Lösungen hilfreich sein kann. Jeder Kontext bzw. Bereich fordert unterschiedliche Aktionen.
Das Wesen der fünf Kontexte macht es besonders schwierig, zu erkennen, wann man sich in welchem Bereich befindet. Das Cynefin-Framework soll Führungskräften als Instrument dienen, um die Dinge aus neuen Blickwinkeln zu betrachten, komplexe Konzepte zu assimilieren und Probleme und Chancen zu identifizieren. Mit diesem Ansatz bekommen Manager ein Modell an die Hand, das ihnen hilft, die interne Kommunikation zu verbessern, indem sie den jeweiligen Kontext, in dem sie und ihr Unternehmen sich gerade befinden, besser erkennen und verstehen können.
Der Begriff »Cynefin«, ausgesprochen ku-nev-in, stammt aus dem Walisischen. Dieses Wort wird »üblicherweise im Deutschen mit ›Lebensraum‹ oder ›Platz‹ übersetzt […], obwohl diese Übersetzung nicht seine volle Bedeutung vermitteln kann. Eine vollständige Übersetzung des Wortes würde aussagen, dass wir alle mehrere Vergangenheiten haben, derer wir nur teilweise bewusst sein können: kulturelle, religiöse, geographische, stammesgeschichtliche usw.«, heißt es auf Wikipedia. »Der Begriff wurde von dem walisischen Gelehrten Dave Snowden gewählt, um die evolutionäre Natur komplexer Systeme zu veranschaulichen, einschließlich ihrer inhärenten Unsicherheit. Der Name ist eine Erinnerung daran, dass alle menschlichen Interaktionen stark von unseren Erfahrungen beeinflusst und häufig ganz davon bestimmt sind, sowohl durch den direkten Einfluss der persönlichen Erfahrung als auch durch kollektive Erfahrung wie Geschichten oder Musik.«
Differenzierung verschiedener Kontexte
Im Laufe der Zeit hat Snowden das Framework aufgrund von unzähligen verschiedenen Anwendungen weiterentwickelt. So hat beispielsweise die Unterstützung eines Pharmaunternehmens bei der Erarbeitung einer neuen Produktstrategie genauso zur Entwicklung beigetragen wie die Unterstützung einer Regierung bei ihren Bemühungen, Mitarbeiter in die Politikgestaltung miteinzubeziehen.
Das Cynefin-Framework sortiert die Probleme, denen sich die Manager gegenübersehen, in fünf verschiedene Kontexte. Diese sind durch die Art der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung definiert. Vier von diesen Kontexten – der offensichtliche, komplizierte, komplexe und chaotische – geben Leitplanken vor, wie sich Manager in diesen Situationen verhalten und wie sie diese Situation als solche erkennen können. Der fünfte Bereich ist äußerst schwierig zu identifizieren. In diesem regiert die Unordnung. Sie tritt dann ein, wenn alle anderen vier Kontexte nicht passen.
Die Verwendung des Cynefin-Frameworks hilft aber nicht nur, bessere Entscheidungen zu treffen, sondern auch Probleme zu vermeiden, die entstehen, wenn innerhalb eines dieser Kontexte – auch »Domänen« genannt – Fehler entstehen.
Die komplexe Domäne ist in der Geschäftswelt viel verbreiteter, als den meisten Unternehmen bewusst ist. Sie erfordert unterschiedliche und kontraintuitive Antworten. Die Welt ist nun mal die meiste Zeit irrational und vor allem unvorhersehbar. Deswegen braucht es neue Denkweisen, um darauf zu reagieren.
Einfache Kontexte: Die Domäne der Best Practice
Einfache Kontexte zeichnen sich durch Stabilität und klare Ursache-Wirkungs-Beziehungen aus. Sie sind für jeden leicht zu identifizieren, denn die Antworten liegen auf der Hand und müssen in den seltensten Fällen hinterfragt werden. Es ist der Bereich des Altbekannten. Entscheidungen sind klar und können schnell getroffen werden, weil alle Beteiligten ein gleiches Verständnis haben. Es sind Bereiche, die sich wenig bis gar nicht ändern. Typische Probleme sind solche, die Unternehmen beispielsweise bei der Abwicklung eines Auftrags bei einem bestehenden Kunden haben können.
Wenn es sich um einfache Kontexte handelt, gilt es, die Dinge einfach zu handhaben und lediglich deren Umsetzung zu überwachen. Manager sind dann gefordert, die Probleme schnell einzuordnen und darauf zu reagieren. Das heißt, sie bewerten die Fakten der Situation, kategorisieren sie und reagieren aufgrund bewährter und etablierter Praktiken. Stark prozessorientierte Abläufe sind meistens in dieser einfachen Domäne zu finden. Geht etwas schief, kann ein Mitarbeiter ganz einfach das Problem als solches identifizieren, es kategorisieren und entsprechend reagieren.
Sowohl Manager als auch Mitarbeiter haben bei solchen Abläufen zumeist Zugriff auf die notwendigen Informationen. Diese braucht es, um mit der Situation gut umzugehen und die Bewältigung des Problems zu überwachen. Die Richtlinien sind einfach, Entscheidungen können leicht delegiert werden und gewisse Ausführungen sind im Regelfall bereits automatisiert. Die Einhaltung von Best Practices ist in dieser Domäne am sinnvollsten. Es bedarf nicht viel Kommunikation zwischen Managern und Mitarbeitern, da Meinungsverschiedenheiten darüber, was zu tun ist, nur ganz selten sind.
Eine Gefahr bei einfachen Kontexten: Führungskräfte, die unabhängig von der Komplexität der Situation ständig nach Informationen fragen, laufen Gefahr, einen falschen Eindruck von der Problematik zu bekommen. Außerdem kann es passieren, dass eine gewisse Selbstgefälligkeit auftritt, wenn die Dinge scheinbar wie von selbst laufen. Ändert sich nun der Kontext zu einem Zeitpunkt, reagiert der Manager meist zu spät.
Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass Snowden deswegen die Kategorie der einfachen Domäne direkt neben der des Chaos platziert. Sein Gedanke dabei ist, dass die häufigsten Einbrüche ins Chaos dann stattfinden, wenn der Erfolg Selbstzufriedenheit erzeugt hat. Diese Verschiebung kann zu einem katastrophalen Scheitern führen, wie es zum Beispiel zu beobachten ist, wenn einst dominante Technologien scheinbar aus dem Nichts durch dynamischere Alternativen ersetzt werden.
Die Lösung liegt darin, dass die Führungskräfte das große Ganze im Blick behalten und so eine Veränderung im Kontext erkennen können. Die meisten Probleme, die in der einfachen Domäne auftreten, können von Mitarbeitern eigenständig gelöst werden. Sie haben dank langjähriger Erfahrung einen tiefen Einblick in die Art und Weise, wie die Arbeit ausgeführt werden sollte. Die Aufgabe der Führungskräfte liegt darin, einen Kommunikationskanal zu schaffen, der frühzeitig warnt und auffällige Entwicklungen anzeigt.
Eine Sache, die es dabei vor allem zu bedenken gilt, ist, dass Best Practice definitionsgemäß bereits in der Vergangenheit praktiziert wurde. Die Verwendung von Best Practices ist in einfachen Kontexten zwar oft die beste Lösung, weil so auch am schnellsten und effektivsten Probleme gelöst werden. Aber dennoch ergeben sich Schwierigkeiten, zum Beispiel wenn die Mitarbeiter keine Möglichkeit haben, den Prozess zu hinterfragen, zu kommunizieren und vor Lösungen zu warnen, die nicht mehr funktionieren. Rückschau in einer komplizierten Welt führt nicht zur Vorschau, deswegen ist eine entsprechende Veränderung des Führungsstils erforderlich.
Komplizierte Kontexte: Die Domäne der Experten
Bei komplizierten Kontexten kann es im Gegensatz zu einfachen Kontexten mehrere richtige Antworten geben. Die Krux liegt darin, dass nicht jeder die klare Beziehung zwischen Ursache und Wirkung sehen kann. Snowden definiert diesen Bereich als den der »bekannten Unbekannten«.
Während Manager in einem einfachen Kontext eine Situation wahrnehmen, kategorisieren und darauf reagieren sollten, müssen sie in einem komplizierten Kontext wahrnehmen, analysieren und reagieren. Dieser Ansatz ist nicht einfach und erfordert oft einiges an Fachwissen: Ein Autofahrer weiß vielleicht, dass mit seinem Auto etwas nicht stimmt, weil die Anzeige