Führen ohne Psychotricks. Frank Hagenow
vielen Sendungen, die ich bis dahin verpasst hatte, während meine Eltern sich schamlos und unentdeckt vor dem Fernseher vergnügt hatten. Viel schwerer aber wog der Vertrauensverlust, der für mich mit dieser Entdeckung einherging. Ich habe mich regelrecht betrogen gefühlt. Und das von den Personen, die mir am nächsten standen und denen ich am meisten vertraute. Ich hätte sicher viel besser damit leben können, wenn man mir klar gesagt hätte, dass es eine Zeit gibt, zu der Kinder ins Bett gehören, während Erwachsene Filme anschauen, die für Erwachsene gemacht sind. Und die zu einer Uhrzeit laufen, zu der auch andere Kinder bereits schlafen. Das wäre klar, unmissverständlich und vor allem ehrlich gewesen, weil es der Wahrheit bzw. der Realität entsprochen hätte.
Gut, ich habe von dieser Episode elterlicher Flunkerei wohl keinen, zumindest keinen bleibenden Schaden davongetragen und bin auch später nicht aufgrund meiner unglücklichen Fernseh-Kindheit zum TV-Junkie geworden. Vielmehr habe ich vor vielen Jahren meinen Fernseher sogar verkauft und lebe heute sehr gut ohne Fernsehprogramm. Ich habe also den Abschied vom allabendlichen »Daumen-breit-Zappen« und dem »Für-dumm-verkauft-Werden« durch sinnfreie Werbung für unnötige Produkte als enormen Zugewinn an Lebenszeit und -qualität erlebt. Dennoch zeigt allein der Umstand, dass ich diese Begebenheit aus meiner Kindheit sogar hier niederschreibe, wie eindrücklich sie in meiner Erinnerung geblieben ist.
Bestimmt kennen Sie ähnliche Geschichten aus Ihrer eigenen Erinnerung. Genau genommen sind dies unsere ersten eigenen Erfahrungen mit Psychotricks, weil wir schon im zarten Kindesalter durch unsere Eltern manipuliert wurden. Manchmal erzählt man uns mit voller Absicht Dinge, die überhaupt nicht stimmen, nur um uns ruhig zu stellen oder um die eigenen Interessen durchzusetzen. Die harmlose Variante der Traumgestalten ist da noch der Osterhase, während Knecht Ruprecht mit der Rute schon gelegentlich zur Unterstützung elterlicher Autorität herangezogen wird (»Wenn du nicht brav bist, dann kommt der mit der Rute …«). Da werden Horrorszenarien von finsteren Gestalten kreiert, um uns zu gegebener Zeit möglichst ohne große Widerrede auf Spur zu bringen oder dort zu halten. Auf die Spitze getrieben wird dies etwa im Ostalpenraum und in Österreich. Das Pendant zum Knecht Ruprecht ist dort der »Krampus«; er begleitet alljährlich Anfang Dezember den Heiligen Nikolaus auf seiner Tour durch die Städte und Dörfer. Während die Lichtgestalt des Heiligen Nikolaus die braven Kinder beschenkt, ist der Krampus ein finsterer Geselle und für deren Bestrafung zuständig. Und wer schon einmal bei einem der zahlreichen Krampus-Umzüge dabei sein durfte – oder dabei sein musste –, fühlt sich in den finsteren Teil der »Herr der Ringe«-Trilogie versetzt, wenn eine Horde wild gewordener Krampusse in Fellkostümen mit großen Glocken und rasselnden Ketten behängt durch sie Straßen berserkert.
Zugegeben, wir sind inzwischen aus dem Alter raus, in dem man uns mit fragwürdigen Schauergeschichten oder Flunkereien bei der Stange halten konnte. Wenn wir ehrlich sind, hat das auch schon im Kindesalter nur kurz funktioniert. Denn wenn der Schwindel erst einmal aufgeflogen war, waren wir augenblicklich für immer aus dem Paradies der Gutgläubigkeit vertrieben. Dennoch begegnen wir auch in unserer heutigen Erwachsenenwelt immer wieder den Manipulationsversuchen unseres Umfelds.
In den allermeisten Fällen wiegt der kurzfristige vermeintliche Erfolg, den wir uns durch den Manipulationsversuch erkaufen, den damit einhergehenden späteren Vertrauensverlust nicht auf. Und in vielen Fällen gilt: Einmal enttäuscht – für immer verloren.
Doch der Bumerang kommt zurück, denn der Einsatz von Psychotricks hat seinen Preis. Wer sich als Mitarbeiter von seinem Chef über den Tisch gezogen, ausgenutzt oder manipuliert fühlt, ist in der Regel nicht begeistert oder von großer Dankbarkeit erfüllt. Ganz im Gegenteil. Der Management- und Unternehmensberater Reinhard K. Sprenger bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: »Menschen kommen zu Unternehmen, aber sie verlassen Vorgesetzte.« (Sprenger 2012, S. 122). Wir werden noch näher betrachten, mit welchen Sturmschäden und Nebenwirkungen Sie bei der Anwendung von Psychotricks rechnen müssen, denn es gibt eine Vielzahl von denkbaren Reaktionen, die in ihren Auswirkungen alle nicht besonders attraktiv für Führungskräfte bzw. Unternehmen sind.
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