Projekt Phoenix. Kevin Behr
stehe auf und bleibe standhaft: »Nein, wirklich. Vielen Dank, dass Sie an mich gedacht haben, aber ich habe schon einen tollen Job. Ich wünsche viel Glück dabei, jemand anderen zu finden.«
Minuten später führt mich Laura zu Gebäude 2, dem höchsten auf unserem Gelände. Ich ärgere mich über mich selbst, dass ich mich in diesen Wahnsinn habe reinziehen lassen.
Wenn ich jetzt losrenne, wird sie mich bestimmt nicht einholen können, aber was dann? Steve würde mir einfach einen Trupp HR-Schläger hinterherschicken und mich wieder einfangen.
Ich sage nichts. Ich habe jetzt wirklich kein Interesse an Small Talk. Laura scheint das nicht zu stören, sie geht flott neben mir her, über ihr Smartphone gebeugt und ab und zu die Richtung angebend.
Sie findet Steves Büro, ohne einmal aufzusehen. Offensichtlich ist sie diesen Weg schon viele Male gegangen.
Dieser Flur ist warm und einladend, eingerichtet wie in den 1920ern, als dieses Gebäude erbaut wurde. Mit dem dunklen Holzboden und den Buntglasfenstern stammt es aus einer Ära, als im Büro noch jeder Anzüge trug und Zigarren rauchte. Damals florierte die Firma – Parts Unlimited schuf diverse Bauteile, die in so gut wie jedem Auto zu finden waren, als die Pferdekutschen gerade aus dem Alltag verschwanden.
Steve hat ein Eckbüro, vor dem eine Sekretärin Wache hält. Sie mag um die 40 sein, strahlt Freundlichkeit aus und scheint ausgesprochen organisiert zu sein. Ihr Schreibtisch ist aufgeräumt, die Wand hinter ihr übersät mit Klebezetteln. Neben ihrer Tastatur steht eine Kaffeetasse mit den Worten: »Don’t mess with Stacy«.
»Hi Laura«, sagt sie, als sie von ihrem Computer hochschaut. »Viel los heute, was? Das ist also Bill?«
»Jepp, höchstpersönlich«, antwortet Laura lächelnd.
Zu mir sagt sie: »Stacy sorgt dafür, dass bei Steve alles läuft. Sie werden sie bald gut kennenlernen, vermute ich. Wir beide können später weitermachen.« Dann geht sie.
Stacy lächelt mich an. »Schön, Sie kennenzulernen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Steve erwartet sie.« Sie zeigt auf seine Tür.
Ich mag sie auf Anhieb. Und ich denke darüber nach, was ich gerade erfahren habe. Laura hatte heute viel zu tun. Stacy und Laura kennen sich sehr gut. Steve hat also einen direkten Draht zu HR. Offensichtlich bleiben Leute, die für Steve arbeiten, nicht lange in der Firma.
Toll.
Als ich Steves Büro betrete, bin ich ein bisschen überrascht, dass es fast genauso aussieht wie das von Laura. Es hat die gleiche Größe wie das meines Chefs – okay, meines Exchefs – und wie vermutlich mein zukünftiges Büro, wenn ich mich dümmer anstelle, als ich bin.
Vielleicht habe ich persische Teppiche, Wasserspiele und große Skulpturen erwartet. Stattdessen gibt es Fotos eines kleinen Propellerflugzeugs, von seiner fröhlichen Familie und – zu meiner Überraschung – eines von ihm in einer Uniform der US Army auf einer Landebahn irgendwo in den Tropen. Mir fallen die Abzeichen an seinen Aufschlägen auf.
Steve war also ein Major.
Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und prüft irgendwelche Excel-Ausdrucke. Hinter ihm ist ein Laptop aufgeklappt, auf dem in einem Browser eine Reihe von Aktienkursen zu sehen ist.
»Bill, schön, Sie wiederzusehen«, sagt er, steht auf und schüttelt mir die Hand. »Es ist schon lange her. Etwa fünf Jahre, oder? Nachdem Sie dieses beeindruckende Projekt gestemmt haben, eine der eingekauften Firmen zu integrieren. Ich hoffe, es ist Ihnen seitdem gut ergangen?«
Ich bin überrascht und ein bisschen geschmeichelt, dass er sich an unser kurzes Zusammentreffen erinnert, insbesondere da es doch schon so lange her ist. Ich lächle und sage: »Ja, sehr gut, danke. Ich bin beeindruckt, dass Sie sich daran erinnern.«
»Sie glauben, wir geben solche Prämien an jeden?«, sagt er ernst. »Das war ein wichtiges Projekt. Damit sich der Zukauf bezahlt machte, mussten wir ihn gut in unsere Firma einbringen, was Sie und Ihr Team ausgezeichnet hinbekommen haben.
Ich bin sicher, Laura hat Ihnen ein bisschen was über die organisatorischen Änderungen erzählt, die ich vorgenommen habe. Sie wissen, dass Luke und Damon nicht mehr länger in der Firma arbeiten. Ich werde die Position des CIO noch neu besetzen, aber bis dahin wird die IT direkt an mich berichten.«
Geschäftig fährt er fort: »Wie auch immer, weil Damon jetzt weg ist, muss ich eine Position neu besetzen. Nach unseren Recherchen sind Sie deutlich der beste Kandidat für den VP of IT Operations.«
Als ob er sich gerade erinnert, sagt er: »Sie waren ein Marine. Wann und wo?«
Ich antworte automatisch: »22. Marine Expeditionary Unit. Seargent. Ich war sechs Jahre dabei, habe aber nie einen Kampf miterlebt.«
Als ich mich daran erinnere, wie ich damals als großspuriger 18-Jähriger zu den Marines ging, muss ich lächeln. »Die Armee hat mir in manchen Dingen den Kopf zurechtgerückt – ich verdanke ihr viel. Trotzdem hoffe ich, dass keiner meiner Söhne dort unter den Bedingungen beitreten würde, die ich damals erlebt habe.«
»Das glaube ich gerne.« Steve lacht. »Ich war selbst acht Jahre in der Armee, nur etwas länger, als ich musste. Aber es machte mir nichts aus. Das ROTC1 war die einzige Möglichkeit für mich, das College zu bezahlen, und es ist mir dort gut ergangen.«
Lächelnd fügt er hinzu: »Sie haben uns nicht so verhätschelt wie euch Marines, aber ich kann mich trotzdem nicht beschweren.«
Ich lache und stelle fest, dass ich ihn mag. Das ist das längste Gespräch, das wir je hatten. Ich frage mich plötzlich, ob es das ist, was Politiker ausmacht.
Ich versuche jedoch, mich darauf zu konzentrieren, warum er mich hat kommen lassen: Er will mich dazu bringen, irgendeine Kamikaze-Aufgabe zu übernehmen.
»So sieht es im Moment aus«, sagt er und lässt mich an seinem Konferenztisch Platz nehmen. »Wie Sie sicherlich wissen, müssen wir wieder profitabel werden. Dazu sind unser Marktanteil und die durchschnittliche Auftragsgröße zu erhöhen. Unsere Retail-Konkurrenz macht sich schon lustig über uns. Und weil das die ganze Welt weiß, sind unsere Aktien nur noch die Hälfte von dem wert, was sie vor drei Jahren waren.«
Er fährt fort: »Das Phoenix-Projekt ist von essenzieller Bedeutung, um wieder mit der Konkurrenz gleichzuziehen und endlich das zu tun, was dort schon seit Jahren geschieht. Die Kunden müssen bei uns überall einkaufen können – sei es im Internet oder in unseren Läden. Ansonsten werden wir bald keine Kunden mehr haben.«
Ich nicke. Vielleicht mag unser IT-Umfeld nicht auf dem neuesten Stand sein, aber mein Team ist mit Phoenix seit Jahren beschäftigt. Jeder weiß, wie wichtig es ist.
»Wir hängen dem Zeitplan Jahre hinterher«, fährt er fort. »Unsere Investoren und die Börse sind wirklich nicht erfreut. Und jetzt verliert der Aufsichtsrat das Vertrauen in unsere Fähigkeit, Zusagen einzuhalten.
Ich will direkt sein. Wenn es so weitergeht, bin ich in sechs Monaten weg vom Fenster. Seit letzter Woche ist Bob Strauss, mein alter Chef, der neue Vorstandsvorsitzende. Es gibt eine lautstarke Gruppe von Investoren, die die Firma aufteilen wollen, und ich weiß nicht, wie lange wir sie noch hinhalten können. Auf dem Spiel steht hier nicht nur mein Job, sondern der von fast 4.000 Mitarbeitern bei Parts Unlimited.«
Plötzlich sieht Steve viel älter aus als die Anfang fünfzig, auf die ich ihn schätze. Er sieht mich direkt an und sagt: »Als kommissarischer CIO wird Chris Allers, unser VP of Application Development, direkt an mich berichten. Und Sie auch.«
Er steht auf und geht in seinem Büro hin und her. »Ich brauche Sie, damit all die Dinge, die laufen sollen – nun ja, eben laufen. Ich brauche jemanden, der zuverlässig ist und der keine Angst hat, mir schlechte Nachrichten zu erzählen. Und vor allem brauche ich jemanden, dem ich vertraue und von dem ich glaube, dass er das Richtige tut. Bei diesem Integrationsprojekt gab es viele Herausforderungen, aber Sie haben immer einen kühlen Kopf bewahrt. Sie haben den Ruf, zuverlässig und pragmatisch zu sein und zu sagen,