Epistolare Narrationen. Margot Neger
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Margot Neger
Epistolare Narrationen
Studien zur Erzähltechnik des jüngeren Plinius
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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Umschlagabbildung: Marmorsphinx als Basis. Neapel, Museo Nazionale, Inv. 6882. Guida Ruesch 1789. H: 91 cm INR 67. 23. 57. Su concessione del Ministero dei Beni e delle Attività Culturali e del Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli.
© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8345-1 (Print)
ISBN 978-3-8233-0282-7 (ePub)
In memoriam Maria Neger
Vorwort
Bei der vorliegenden Monographie handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im November 2018 an der Paris Lodron Universität Salzburg eingereicht wurde. Mein erster Dank ergeht an (die Namen sind natürlich praemissis titulis zu verstehen) Dorothea Weber, die als meine Mentorin an der Universität Salzburg die Entstehung der Arbeit begleitet hat, sowie an die Gutachterin Claudia Klodt und die Gutachter Gernot Michael Müller und Christopher Whitton für wertvolle Hinweise und Anregungen. Die Fertigstellung der Arbeit wurde ermöglicht durch die Förderung eines Projekts mit dem Titel „Gedichteinlagen in antiken Prosabriefen“ durch den Austrian Science Fund (FWF): P 29721-G25. Die Kapitel II.2 („Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften“) sowie II.3 („Konstruieren einer Dichter-Biographie“) sind diesem Projekt zuzuordnen. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Classica Monacensia danke ich Claudia Wiener und Martin Hose. Den Mitarbeitern des Narr-Francke-Attempto Verlags, insbesondere Herrn Tillmann Bub und Herrn Arkin Keskin, sei für die Betreuung in der Phase der Drucklegung gedankt.
Meine intensivere Beschäftigung mit Plinius dem Jüngeren begann mit einem Proseminar, das ich Sommersemester 2011 an der Ludwig-Maximilians-Universität München abhalten durfte, und führte mich für mehrere Jahre an die Universität Salzburg sowie zuletzt an die University of Cyprus. Vielen Kolleginnen und Kollegen an diesen und anderen Institutionen gilt mein herzlicher Dank für zahlreiche anregende Diskussionen, Gespräche und wertvolle Hinweise: Margot Geelhaar, Gottfried Kreuz, Thomas Schirren, Wolfgang Speyer und Stephanie Schmerbauch vom Fachbereich Altertumswissenschaften in Salzburg sowie Niklas Holzberg, der die Phase meiner Habilitation mit wertvollen Ratschlägen begleitet und mir zweimal die Möglichkeit geboten hat, bei der Petronian Society Munich Section über Plinius vorzutragen. Darüber hinaus bin ich auch Roy Gibson, Spyridon Tzounakas, Thorsten Fögen, Markus Janka und Judith Hindermann sowie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Thementags „Plinius der Jüngere 2013“ (LMU München, 7.12.2013) und der Konferenz „Pliny’s Epistolary Intertextuality“ (University of Cyprus, 11. ‒12. Mai 2018) zu Dank verpflichtet für den produktiven Austausch über Plinius den Jüngeren und die antike Epistolographie.
Nicht zuletzt gilt mein herzlicher Dank meiner Familie und meinem Lebensgefährten für ihre Geduld und den kontinuierlichen Zuspruch während der Arbeit an dieser Studie. Gewidmet sei dieses Buch meiner 2016 verstorbenen Großmutter Maria Neger, die meine akademische Laufbahn stets mit großem Interesse verfolgt hat.
Nikosia, im Januar 2021 Margot Neger
Einleitung
Sed obsecro, da mi operam, ut narrem quae volo (Plaut. Truc. 722)
Das Briefkorpus des Jüngeren Plinius erfreut sich in der Forschung mittlerweile eines relativ breiten Interesses verschiedener Disziplinen, die neben philologischen Aspekten auch archäologischen und insbesondere historischen Fragestellungen nachgehen.1 Traditionell hat man dabei die zehn Briefbücher mehr oder weniger als Quellen betrachtet, aus denen sich Informationen über den Charakter des historischen Autors sowie sein soziales und politisches Umfeld gewinnen lassen. Trotz der intensiven Beschäftigung mit den Briefen, die sogar im Lektürekanon der Schule mehr oder weniger fest verankert sind,2 hat man mit einer literarischen Würdigung der Sammlung erst vergleichsweise spät begonnen, wie im Folgenden kurz ausgeführt werden soll. In einem der aktuellesten Forschungsüberblicke zum Jüngeren Plinius teilen Roy Gibson und Christopher Whitton3 in Anlehnung an Greg Woolf4 die verschiedenen Zugangsweisen zu den Episteln grob in drei Gruppen ein: Mit „realist approach“ sind Studien gemeint, die die Briefe als Dokumente für historische Fakten auswerten; der „instrumentalist approach“ wiederum sieht in den Briefen Mittel zum Zweck der Selbstdarstellung des Autors; eine weniger zentrale Rolle spielt die Autor-Instanz hingegen beim „literary/textual approach“, der die literarische Struktur der Briefe in den Vordergrund rückt. Freilich lassen sich die einzelnen Beiträge, wie Gibson und Whitton zu bedenken geben, nicht immer eindeutig einer dieser drei Kategorien zuordnen: „more commonly critics happily mix approaches…in differing quantities as suits their arguments and interests.“ Die vorliegende Studie ist den literarischen und insbesondere narrativen Strategien des Plinius gewidmet und verfolgt daher dem hier skizzierten Schema gemäß in erster Linie einen „literary/textual approach“, wobei auch der „instrumentalist approach“ bzw. mitunter sogar der „realist approach“ nicht ganz außer Acht gelassen werden sollen; schließlich geht es am Ende ja auch um die Frage, wie das literarische Projekt des Plinius in seinem historischen und sozialen Umfeld zu verorten ist.5
Hatte Norden (1898) in seiner Abhandlung zur antiken Kunstprosa noch ein wenig schmeichelhaftes Urteil über Plinius gefällt, indem er ihn als „Durchschnittsmaß“ für die Literatur der ersten Kaiserzeit bewertete und zudem weit abgeschlagen hinter seinem Zeitgenossen Tacitus einordnete,6 wurden erste Ansätze, die Plinius-Briefe als literarische Kunstwerke zu lesen, bereits von Peter (1901) in seiner Studie zum Brief in der römischen Literatur und ausführlicher von Guillemin (1929) in ihrer Plinius und seinem literarischen Umfeld gewidmeten Monographie unternommen. So weist schon Peter darauf hin, dass den Briefen zwar Fassungen zugrunde liegen mögen, die tatsächlich einmal verschickt wurden, die uns vorliegende Sammlung sich jedoch an „das ganze gebildete Lesepublikum“ richte und vom „Streben nach einer glänzenden Außenseite“ geprägt sei.7 Trotz dieser frühen Überlegungen zur Rolle des allgemeinen Lesers ließ eine systematische Untersuchung zu den literarischen Strategien relativ lange auf sich warten. Einen wichtigen Beitrag auf diesem Gebiet lieferte Traub (1955) mit seinem Aufsatz zu den narrativen Strategien des Plinius in Briefen mit historischen Inhalten. Es sollte jedoch noch etwas länger dauern, bis sich literarische Ansätze in der Plinius-Forschung etablierten. So berücksichtigt der bislang einzige moderne Gesamtkommentar, den Sherwin-White (1966) verfasste,8 in erster Linie historische Probleme und geht nur selten auf philologische Fragen ein. Zahlreiche Beiträge zu prosopographischen und sozialhistorischen Aspekten bei Plinius verfasste auch Sherwin-Whites Kollege (oder auch Rivale) in Oxford, Sir Ronald Syme.9 In den 1970er Jahren entstanden dann Studien, die aus den Briefen ein Charakterbild des historischen Plinius zu rekonstruieren versuchten, wie etwa die Monographien Bütlers (1970) und Trisoglios (1972).10 Etwa um dieselbe Zeit publizierte auch Thraede seine Abhandlung zur antiken Brieftopik (1970), die nach wie vor nicht nur für die Erforschung der Pliniusbriefe grundlegend ist.11 Der stilistischen Theorie und Praxis bei Plinius widmete Gamberini (1983) eine umfassende Arbeit.12 Sowohl sozialhistorische, geistesgeschichtliche als auch literarische Aspekte behandelt Lefèvre in seinen zwischen 1977 und 1996 entstandenen Studien zu mehreren Plinius-Briefen, die später in seinem Band Vom Römertum zum Ästhetizismus (2009) nochmals abgedruckt worden sind.13 Wichtige Überlegungen zu Chronologie und Anordnung der Plinius-Briefe sowie zu den intratextuellen Bezügen zwischen den Episteln stellt Murgia (1985) an. Einen