Die Turbo-Studenten. Robert Grünwald

Die Turbo-Studenten - Robert Grünwald


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nach daher wohl in erster Linie ein Beitrag zu dem gesellschaftlichen Phänomen zunehmender Anerkennung solcher Grenzüberschreitungen. Sie enthält im Kern eine Gebrauchsanleitung zum effizienten und außerordentlich zügigen Studieren und damit zu einem besonders motivierten und zielorientierten Lernen, das die geistige Höchstleistung auf das praktische Ziel eines möglichst raschen Studienabschlusses bezieht. »Maximaler Input, maximaler Output«, lautete unsere Formel, mit der wir uns zugleich klarmachten, dass sich die Zeit der großen Bewährung auf Entbehrung reimt …

       »Maximaler Input, maximaler Output«, lautete unsere Formel.

      Solche selbst gesetzten Zielformulierungen stehen quer zu Studienmodellen, die an der Einhaltung der Regelstudienzeit orientiert sind und viel Energie darauf verwenden, die eigene Frustration über ein verschultes, überbürokratisiertes, mit Anforderungen überfrachtetes, qualitativ unzureichendes Studium abzuarbeiten. Wir leben in einer Zeit, die durch die teils schleichende, teils demonstrative Entwertung des tradierten Humboldt’schen Bildungsideals gekennzeichnet ist. Als Turbo-Studenten haben wir keinen Nachteil darin sehen können, unser Studieren beschäftigungsorientiert an ökonomischen Interessen auszurichten, strategisch an potenziellen Arbeitsmarktqualifikationen zu arbeiten, uns als studentische Unternehmer mit eigener Zeit- und Aufgabenverantwortung zu verstehen.

      Das Entscheidende blieb, bereit zu sein hierfür. Unsere überdurchschnittliche Erwartungshaltung an uns selbst und unsere eigene Belastbarkeit sollte uns im Studienverlauf immer mehr zum eigenen Antrieb werden.

      Es ist so einfach: Schneller zu studieren, besonders gemeinsam schneller zu studieren, hat den Mehrwert eines beflügelnden Elans. Allein durch den Entschluss, die Studiergeschwindigkeit überproportional schneller als der durchschnittlich Studierende anzukurbeln, kann Energien erzeugen, wie sie jeder aus dem Gefühl der Begeisterung kennt. Doch Begeisterung ist normalweise kein Bestandteil des Studienalltags. Aber sie kann Doping für Geist und Hirn sein. Und sie zur Studienbeschleunigung zu nutzen, scheint gleichermaßen der einfachste wie der schwierigste Trick zu sein.

       Wer den Sprint schafft, fühlt sich besser.

      Vor diesem Hintergrund dürfte vielleicht bereits an dieser Stelle deutlich sein: Die hier thematisierten zeit- und aufwandsökonomischen Strategien eines High-Speed-Studiums zielen im Kern nicht einfach auf Verkürzung oder gar Verflachung in der Auseinandersetzung mit den Bildungsinhalten. Ebenso wenig bedeutet Effizienzorientierung und Beschleunigung des Studiums, dass Schnellstudieren und gute Noten sich ausschließen. Das mit einem Schnellstudium verbundene Fähigkeitstraining bedeutet vielmehr, den Lernvorgang grundsätzlich praktisch auszurichten an den eigenen Stärken und mit gezieltem Blick auf die geplanten Berufsperspektiven. Die hierbei herausgeforderten Fähigkeiten der Selbstorganisation sind genau jene Fähigkeiten, die für das heutige Berufsleben mit flexiblen und temporären Beschäftigungsverhältnissen in besonderer Weise qualifizieren. Wer besonders schnell laufen oder gar sprinten will, muss methodisch genauer, inhaltlich gewissenhafter und effektiver an Ausrüstung und Fortbewegungstechnik arbeiten als ein Dauerläufer. Fehler rächen sich sonst stärker auf dieser kürzeren Strecke. Als ein solcher Härtetest für persönliche Grundkompetenzen ist das Schnellstudium stets zugleich ein wertvoller Persönlichkeitstest. Wer den Sprint schafft, fühlt sich besser. Und wer nicht, hat eine wichtige Erfahrung gewonnen, die ihm beim langsameren Studieren womöglich entgangen wäre. Wer sich unter den verschärften Bedingungen selbstbeschleunigten Studiums schließlich bewährt, gewinnt Zuversicht und Elan für alle nach dem Studium anstehenden Herausforderungen.

      »Über sich hinauswachsen, weil das Unmögliche immer möglich ist«, so lautet das Motto für die studentische Arbeit und Selbstorganisation. In einem Punkt kommt der klassische Einzellerner mit dem neuen Typus des Turbo-Studenten vollständig überein: Wer Leistung will, der kann auch. Und wer sich mit guten Leistungen immer wieder in seinem Können bestätigt, der will auch wieder und fühlt sich bereit für wachsende Herausforderungen.

       Beschleunigtes Studieren ist kein Betriebsunfall des Systems.

      Das Modell des Turbo-Studenten mag in seiner Erscheinung ein neues, sogar provozierendes Bild im hergebrachten Studiensystem sein. Als exemplarischer Ausdruck vorhandener Tendenzen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung bildet das beschleunigte Studieren jedoch nur einen dynamischen Vektor von vielen. Beschleunigung ist seit den neuen Medien des elektronischen Zeitalters keine Domäne mehr der Technik, sondern ein alle Lebensbereiche berührendes Phänomen postmodern entwickelter Industriegesellschaften. Es ist mit anderen Worten kein Betriebsunfall in dem durch die Bologna-Reform scheinbar schon reformierten europäischen Bildungssystem. Wir plädieren vielmehr dafür, im neuen Schnellstudenten einen Präzedenzfall zu erkennen, an dem sich etablierte Strukturen auf ihre Zeitgemäßheit hin bemessen lassen. Das zeit- und aufwandoptimierte Studium rückt in den Fokus alternativer, reformfreudiger und zukunftsorientierter Bildungsstrategien.

      Eine solche Sichtweise ist nicht ohne Folgen für das Gesamtsystem »Bildung«, das von Erziehung über die Ausbildung bis hin zur Hochschulbildung reicht. Wenn es die Aufgabe des Bildungswesens ist, den Einzelnen auf einen wirtschaftlich autarken Lebensweg und auf eine verantwortliche Rolle im gesellschaftlichen Leben vorzubereiten, kann man gerade dem Schnellstudierenden nicht absprechen, eben dieser Verantwortlichkeit gerecht zu werden. Indem das Turbo- Studium zu erhöhten Organisations- und Arbeitsleistungen (kraft des eigenen Entschlusses) zwingt, stellt es de facto eine Verfrühung der Berufsbefähigung da. Die damit geleistete Vorbereitung ist keine solche, die zu beruflicher Träumerei und überzogenen Erwartungshaltungen an das Erwerbsleben verführt. Sie ist im Gegenteil eine solche, die auf eine durchökonomisierte Lebens- und Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts vorbereitet und ein Fundament der persönlichen Lebensgestaltung bietet.

       Ohne Ehrgeiz, Neugier und Fleiß geht es nicht.

      Wissensanhäufung, Wissenskonsum mit dem einzigen Zweck gut benoteter Abschlüsse sind in diesem Modell nicht relevant. Es geht vielmehr um zunehmend schnelle Anpassungsfähigkeiten, Flexibilität und vielfältige Einsetzbarkeit unter sich verändernden, in der Regel unsicheren Entfaltungsbedingungen. Ehrgeiz, Neugier und Fleiß, ohne die ein Turbo-Studium nicht zu haben ist, stabilisieren diese Haltung. Man sollte sich diese Kompetenzen vor Augen führen, ehe man der viel zitierten Formel der (verschrienen) ökonomisierten Bildung – als vorgeblicher Überantwortung von akademischer Autonomie an den Bereich der Wirtschaft – pauschal zustimmt.

      Die im Turbo-Studium geleistete Arbeit des Wissenserwerbs stellt nicht nur (wie die Ausbildung) eine Berufsqualifikation dar, für die ein utilitaristischer Wissenserwerb mit fachspezifischen Verengungstendenzen charakteristisch ist. Sie leistet als motivierte Selbstorientierung im Studiensystem vielmehr einen wertvollen Beitrag zu jenem Kanon von Befähigungen, den auch die Verfechter altehrwürdiger humanistischer Bildungstradition als den Kern des Bildungsbegriffs betrachten: das Trainieren der Fähigkeit grundlegender Orientierung in der Wirklichkeit.

      Im zeit- und aufwandökonomischen Turbo-Studium also eine Verfehlung der alten hehren Bildungsziele erkennen zu wollen, verrät nach unserer Auffassung daher mehr über die persönliche ideologische Orientierung an einem überkommenen humanistischen Bildungskanon als die Einsicht in gesamtgesellschaftliche Entwicklungstendenzen.

      Mit dem hohen Grad der Selbstorganisation, den Turbo-Studierende sich abverlangen, übernehmen sie frühzeitig Verantwortung für ihr Handeln, gerade weil sie nicht von einem von ökonomischen Zwecken befreiten Bildungsbegriff ausgehen. Gelingt ihnen das nicht, scheitern sie. Im Wissen um diese Möglichkeit entwickeln sie ungeahnte Kräfte, entfalten sie – maßgeblich in der Teamarbeit – schier unglaubliche Motivationsreservoire. Sie trainieren also Fähigkeiten des »Überlebens« unter erschwerten, weil beschleunigten und beschleunigenden Bedingungen.

       Keine unüberbrückbaren Abstände zwischen Theorie und Praxis


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