Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis. Walter G. Pfaus
zu bitten, aber ich habe schließlich darauf verzichtet. Ich wollte vermeiden, dass sie einen mitleidigen Blick auf meinen Buckel wirft“, schloss er grimmig.
Bount überließ ihm das Geld.
„Wie lange war sie im Haus?“, fragte er.
Dwyer rieb die Banknote zwischen den Fingern, als müsste er ihre Echtheit überprüfen.
„Etwa eine halbe Stunde“, erwiderte er. „Dann fuhr sie mit ihrem Schlitten davon. Ein weißer Porsche mit grünen Zierstreifen. Super!“
„War sie bei Dark?“
„Woher soll ich das wissen?“
„Danke“, sagte Bount, ließ Dwyer stehen, und kehrte zurück in das Haus 97 und klingelte erneut an allen Wohnungstüren. Der Name Lorraine Banter war bei vier von sechs Befragten bekannt, aber niemand wollte am Vortag den Besuch der Schauspielerin gehabt haben.
Daraus ließ sich mühelos folgern, dass Lorraine Banter den Mann aufgesucht hatte, der einmal der Henker des Bundesstaates Louisiana gewesen war.
5
„Was Neues?“, fragte Toby Rogers verdrossen, als Bount erneut die Dark’sche Wohnung betrat.
In der Küche saßen Missis Shriever und ein Beamter, der sie vernahm und das Gehörte gleich in die mitgebrachte Reiseschreibmaschine tippte.
Der Captain lehnte an der offenen Wohnzimmertür und kaute auf einem Streichholz herum. Die Techniker waren damit beschäftigt, Spuren zu sichern, und der Arzt, ein bebrillter Glatzkopf namens Harper, saß am Wohnzimmertisch und schrieb mit einem Kugelschreiber ebenso rasch wie routiniert, seinen Befund auf ein vorgedruckten Formular.
„Ich denke schon“, sagte Bount und zündete sich eine PALL MALL an.
„Spuck’s aus!“, sagte Toby Rogers, ohne gespannt oder neugierig zu wirken. Er sah müde aus, erschöpft. Das war für ihn nichts Ungewöhnliches. Überstunden im täglichen Umgang mit Tod und Gewalt zu leisten, war keine Kleinigkeit. Sie zehrten an der Substanz, wenn auch nicht an der seines Bauches. Der war prominent. Toby Rogers war ein genussvoller Esser, ein Gourmet. Er behauptete zuweilen, dass der Kummer ihn dazu gemacht habe, was möglicherweise sogar zutraf. Jedenfalls war der Kontrast zwischen seiner blassen, kummervollen Miene und seinem prallen Bauch nicht zu übersehen.
„Kennst du Lorraine Banter?“
„Muss ich sie kennen?“
„Ich habe vorhin das erste Mal von ihr gehört. Sie tritt in ,Hot Drops‘ auf.“
„Ein Scheißstück. Ich bin mit ’ner Freikarte hingegangen, weil jemand mir anriet, mal auszuspannen, aber das war'n Reinfall. Ich bin strapaziert worden. Billige Witze, schäbiger Klamauk. Ich wäre schon in der Pause abgehauen, wenn es diese Mandy nicht gegeben hätte.“
„Das ist sie.“
„Wer?“
„Lorraine Banter.“
Captain Rogers nahm das Streichholz aus dem Mund. Seine Augen verrieten plötzliches Interesse.
„Tatsächlich? Was ist mit ihr? Was hat sie mit dieser Geschichte zu tun?“
Bount berichtete, was er erfahren hatte. Toby Rogers hörte interessiert zu. „Was kann sie von ihm gewollt haben?“ fragte er schließlich. „Sie ist jung, sexy, aufregend. Eine Klassepuppe. Und er war’n alter Mann. Nicht sehr alt, aber keiner, der zu ihr gepasst haben würde. Ein Ex-Henker! Ob sie das gewusst hat?“
„Frag sie!“
„Das werde ich tun, verlass dich darauf. Auf diese Verhör freue ich mich. Ich bin gespannt, ob sie aus der Nähe so schön wirkt und ob sie so viel Ausstrahlung hat, wie sie sie auf der Bühne entwickelt.“
„Hast du hier noch zu tun?“
„Das siehst du doch.“
„Dann fahre ich schon mal voraus.“
„Wohin?“
„Ins Theater. Ehe ich dort bin, ist’s Sieben. Um Acht beginnt die Vorstellung. Mir bleibt also genug Zeit, ein paar Worte mit Mandy Lorraine zu sprechen.“
„He, das ist meine Sache!“
Bount grinste.
„Bist du eifersüchtig? Hast du Angst, dass ich ihr Herz verwirren und immun machen könnte gegen dein männliches Flair?“
Bount lachte. „Ich bin neugierig auf sie geworden, nicht zuletzt durch deine Schilderung ihrer Qualitäten. Du kannst mir nicht verwehren, sie zu kontaktieren. Schließlich verdankst du es meiner Vorarbeit, dass du von ihrem Besuch in diesem Hause Kenntnis nehmen durftest.“
„Hau schon ab!“, sagte der Captain.
Kurz vor Sieben betrat Bount das Theater in der 46ten Straße durch den Bühneneingang. Es bedurfte eines saftigen Trinkgeldes und der Vorlage seines Ausweises, um den Portier dazu bewegen, ihn passieren zu lassen.
Lorraine Banter hatte eine Einzelgarderobe. Ihre Visitenkarte war mit einer Reißzwecke an der Tür befestigt, von der grüne Farbe abblätterte. Bount klopfte. Das „Herein“, das prompt ertönte, klang unwirsch und nervös.
Bount betrat die Garderobe. Die Frau, die in einem Straßenkostüm vor dem beleuchteten Frisierspiegel saß und rauchte, wandte den Kopf und sah ihn an. Bount war es zumute, als erhielte er einen milden Elektroschock. Weder Dwyer noch Toby Rogers hatten übertrieben. Im Gegenteil. Lorraine Banter gehörte zur absoluten Extraklasse.
Sie hatte ein schmales Gesicht, das von riesigen, hungrig wirkenden Augen und einem schwellenden, leuchtend roten Lippenpaar beherrscht wurde. Das Haar war rotgefärbt - in einem Rot, das bei künstlichem Licht kupferfarbig schimmerte und von metallischem Glanz war. Die Augen waren grün. Sie dämmerten im Schatten langer, seidiger Wimpern.
„Wer hat Sie hereingelassen?“, fragte Lorraine Banter ungnädig. „Ich gebe, wenn überhaupt, erst nach der Vorstellung Autogramme.“
Bount zog die Tür hinter sich ins Schloss.
„Es geht nicht um ein Autogramm“, sagte er. „Es geht um Mord.“
6
Lorraine Banters hellgrüne Augen weiteten sich, sie wurden noch größer, als sie schon waren. „Wer sind Sie?“ Die Worte waren kaum zu verstehen. Lorraine Banters Gesicht drückte jähe Furcht aus.
„Bount Reiniger, Privatdetektiv. Ich habe ein paar Fragen an Sie.“
„Aber doch nicht jetzt! Ich muss mich umziehen.“
„Sie haben noch Zeit, und das Ganze lässt sich, wie ich hoffe, in wenigen Minuten erledigen.“
„Sie sprechen von Mord“, murmelte Lorraine Banter. Sie hatte sich ihm voll zugekehrt. Die übereinandergeschlagenen Beine mit ihren silbrig schimmernden Nylonstrümpfen, den schlanken Fesseln und den modischen Pumps hatten Rasse und Klasse, aber noch auffälliger war die Linie des Halses. Sie war edel, graziös, zerbrechlich. „Was habe ich damit zu tun? Um was geht es Ihnen überhaupt?“
„Es geht um Derek Dark.“
Lorraine Banter schluckte.
„Wer ist das?“
„Der Tote. Sie haben ihn besucht. Gestern. Da lebte er noch, versteht sich.“
„Derek Dark? Wer soll das sein? Ich höre den Namen zum ersten Male“, sagte Lorraine Banter. Es war offenkundig, dass sie sich gefangen hatte und anfing, sich auf ihre schauspielerischen Qualitäten zu besinnen.
„Sie sind gesehen worden.“
„Von wem?“
„Genügt