Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus. Alexandre Dumas
war zwei Jahre vorher von den Tschetschenen gefangengenommen worden. Auf die Bitte eines schönen Mädchens im Gebirge hatte man ihm das Leben geschenkt. Nachdem er auf Ehrenwort und auf die Bürgschaft des Bruders seiner Befreierin freigelassen worden war, hatte er mit dieser ein Liebesverhältnis angeknüpft. Eines Tages erfuhr der Kosak zu seinem größten Bedauern, dass zwischen den Gebirgsvölkern und den Russen Unterhandlungen angeknüpft worden waren und dass er mit anderen Gefangenen ausgewechselt werden sollte. Diese Nachricht, die von den anderen mit Freude begrüßt wurde, machte ihn untröstlich. Er kehrte indes in die Stanitza zurück und bezog sein Haus wieder. Aber er konnte sich an das Leben in der Ebene nicht mehr gewöhnen, er dachte an seine schöne Hochländerin. Er verließ Tscherwelonaja, ging wieder ins Gebirge, trat zum Islam über, heiratete seine Tschetschenin und wurde bald berüchtigt durch seine Kühnheit und seinen Fanatismus. Er versprach seinen neuen Gefährten sogar, ihnen Tscherwelonaja auszuliefern.
Er bahnte sich abends einen Weg durch die Hecken, nachdem er seinen Genossen versprochen hatte, ihnen ein Tor der Stanitza zu öffnen.
Als er in der Stanitza war, trieb ihn die Neugierde nach seinem Haus. Er sprang über eine Mauer und befand sich im Hof. Durch ein Fenster sah er seine Frau auf den Knien liegen und andächtig beten. Dieser Anblick machte einen so tiefen Eindruck auf ihn, dass er selbst auf die Knie fiel und betete.
Die Reue trieb ihn ins Haus. Seine Frau empfing ihn mit inniger Freude und sank in seine Arme. Er drückte sie zärtlich an sein Herz und verlangte, seine Kinder zu sehen.
Die Kinder waren im Nebenzimmer; die Mutter weckte sie und führte sie zu ihrem Vater.
»Jetzt lass mich allein mit ihnen«, sagte er, »und hole den Sotzky.«
Der Sotzky ist der Hauptmann des aktiven Kontingents. Die Frau gehorchte und brachte den Offizier, der ein Freund ihres Mannes war. Der Hauptmann war sehr erstaunt. Der Kosak teilte ihm mit, dass die Stanitza in der Nacht angegriffen werden sollte, und forderte ihn auf, sich zur Abwehr zu rüsten. Dann erklärte er, Gott habe sein Herz mit Reue erfüllt, und stellte sich als Gefangener.
Der Prozess dauerte nicht lange. Der Angeklagte gestand alles und verlangte den Tod. Das Kriegsgericht verurteilte ihn zum Tode durch Pulver und Blei. Wir kamen gerade am Tag der Hinrichtung. Deshalb war die Stanitza menschenleer, deshalb waren alle Einwohner auf einem Platz versammelt.
Der Posten am Tor erzählte uns alles und fügte hinzu, wir möchten uns beeilen, wenn wir noch rechtzeitig ankommen wollten. Die Hinrichtung habe um zwölf Uhr stattfinden sollen; es sei schon eine Viertelstunde auf eins, aber man habe noch keine Schüsse gehört.
Wir ritten im scharfen Trab durch die Stanitza, die durch Gräben, Hecken und Palisaden geschützt war, aber ein wohnlicheres, freundlicheres Aussehen hatte als andere Kosakendörfer, die ich bisher gesehen hatte. Endlich erreichten wir den Richtplatz, der vor dem Tor neben dem Friedhof lag.
Der Delinquent, ein Mann von dreißig bis vierzig Jahren, kniete an einem offenen Grab. Seine Hände waren frei, seine Augen nicht verbunden. Von der Uniform trug er nur die Beinkleider. Die Brust war von den Schultern bis zum Gürtel entblößt. Ein Priester nahm ihm die Beichte ab. Als wir ankamen, war die Beichte zu Ende, und der Priester schickte sich an, dem Verurteilten die Absolution zu erteilen.
Vier Schritte vor ihm standen neun Mann mit geladenen Gewehren.
Wir blieben außerhalb des Kreises; aber da wir zu Pferde saßen, so konnten wir die ganze Szene übersehen.
Als die Absolution erteilt war, trat der Vorsteher der Stanitza auf ihn zu und sagte: »Gregor Gregorewitsch, du hast als Renegat und Räuber gelebt, stirb als Christ und mutiger Mann, dann wird dir von Gott dein Abfall vom Glauben, von deinen Brüdern dein Verrat verziehen werden.«
Der Kosak hörte die Worte mit Ergebung an; dann sagte er zu seinen Kameraden: »Brüder, ich habe Gott um Verzeihung gebeten, und Gott hat mir verziehen; jetzt bitte ich auch euch um Verzeihung.«
Wie er vorher niedergekniet war, um Gottes Gnade zu erflehen, so kniete er jetzt nieder, um die Verzeihung der Menschen zu erlangen.
Es begann nun eine Szene, die in ihrer erhabenen Einfachheit einen erschütternden Eindruck auf mich machte. Zuerst trat ein alter Mann vor und sagte: »Gregor Gregorewitsch, du hast meinen einzigen Sohn, die Stütze meines Alters, getötet; aber Gott hat dir verziehen, ich verzeihe dir auch. Stirb also in Frieden.«
Er beugte sich zu ihm und küsste ihn.
Dann kam eine junge Frau und sagte: »Du hast meinen Mann getötet, Gregor Gregorewitsch, du hast mich zur Witwe, meine Kinder zu Waisen gemacht. Aber da dir Gott verziehen hat, so verzeihe ich dir auch. Stirb also in Frieden.«
Sie reichte ihm die Hand und trat zurück.
Ein Kosak trat nun aus dem Kreis und sagte zu ihm: »Du hast meinen Bruder getötet, mein Pferd geraubt und mein Haus angezündet; aber Gott hat dir verziehen, ich verzeihe dir auch. Stirb also in Frieden, Gregor Gregorewitsch.«
So machten es nacheinander alle, die ihm ein Verbrechen oder eine Beleidigung vorzuwerfen hatten.
Zuletzt kam seine Frau mit den beiden Kindern, um ihm Lebewohl zu sagen. Das eine Kind, das kaum zwei Jahre alt war, spielte mit den aus der Grube aufgeworfenen Kieselsteinen.
Schließlich trat der Dorfrichter vor und sagte: »Gregor Gregorewitsch, es ist Zeit.«
Ich gestehe, dass ich nichts weiter von der Schreckensszene sah. Ich wandte mein Pferd und ritt in die Stanitza zurück.
Zehn Minuten später hörte ich die Schüsse – Gregor Gregorewitsch hatte aufgehört zu leben, und die Einwohner gingen schweigend nach Hause.
Unsere Rückkehr fand ohne Unfall statt. Der Führer unserer Eskorte hatte recht gehabt: Der Leichnam des Tschetschenen war in der Nacht fortgeschleppt worden.
RUSSEN UND GEBIRGSVÖLKER
Am anderen Morgen ließ ich, gleich nach unserer Rückkehr von Tscherwelonaja unsere Lohnkutscher rufen. Sie sagten, der Frost sei stärker geworden, und verlangten daher dreißig Rubel.
Ich nahm meinen Papak, schnallte meinen Dolch um und ging zum Oberst Schatikow.
Er hatte mich seit gestern früh erwartet und deshalb bis Mitternacht gewacht. Der Oberst vermutete, dass ich ein Anliegen hätte, und wollte mir helfen. Ich erklärte ihm, dass ich sechs Pferde nach Kasafiurte brauchte; dort würde der Fürst Mirsky, an den ich empfohlen war, für mein Fortkommen sorgen, und in Theriurt könne ich Postpferde bekommen.
Ich hatte mich in meiner Erwartung nicht getäuscht, der Oberst bot mir seine Pferde an, behauptete aber, sie wären erst nach dem Frühstück reisefertig.
Während des Frühstücks hatte der Oberst die sechs Pferde vor unsere Fuhrwerke spannen lassen und eine aus fünf Don- und zehn Linienkosaken bestehende Eskorte zur Verfügung gestellt. Wir fanden die Tarantasse, die Telege und die Eskorte vor dem Haus. Ich nahm mit aufrichtigem Dank Abschied. Die russische Gastfreundschaft schien immer herzlicher zu werden, je näher ich dem Kaukasus kam.
So fuhren wir ab; die fünf Donkosaken ritten voraus, die zehn Linienkosaken auf beiden Seiten unserer Wagen.
Die beiden Mietkutscher schauten uns verblüfft nach: Sie wollten uns für achtzehn, ja für sechzehn Rubel fahren, aber Kalino hatte ihnen im reinsten Russisch wiederholt, was ich ihnen bereits im allerschlechtesten Kauderwelsch gesagt hatte, und damit mussten sie zufrieden sein. Und da sie fürchteten, der nach Derbent reisende junge Offizier werde ihnen ebenfalls entgehen, so blieben sie bei dem ursprünglich geforderten Preis von zwölf Rubeln. Der Offizier fuhr daher in seiner Kibitke zwischen unserer Tarantasse und unserer Telege, und so war die Reisegesellschaft nicht nur durch einen mutigen Offizier, sondern auch durch einen angenehmen Gefährten vermehrt.
Fünfhundert Schritte vor Schukowaja stießen wir wieder auf den Terek, der uns zum letzten Mal den Weg versperrte und die Grenze der völlig unterworfenen russischen Provinzen bezeichnete. Am jenseitigen Ufer kamen wir in Feindesland; nicht in ein erobertes, sondern