Schöner Mist - Mein Leben als Landei. Irmgard Hochreither
IRMGARD HOCHREITHER
Schöner Mist
MEIN LEBEN ALS LANDEI
Inhalt
Land in Sicht
Es ist Februar. Ein schneidender Wind sorgt dafür, dass sich die Regentropfen auf der Haut wie Nadelstiche anfühlen.
»A bientôt!«, ruft mir meine Freundin Marie noch hinterher, als ich am Gare Montparnasse in den Airportbus klettere. Ein schmutziger Grauschleier liegt über der Skyline von Paris, als wolle mir die Stadt den Abschied ein wenig erleichtern. Wie immer ist das Wochenende an der Seine in atemlosem Tempo vorbeigerauscht. Eine hochkonzentrierte Abfolge schöner, anregender, genussvoller Momente. Freunde treffen, durch Galerien bummeln, Museen besuchen, ins Theater gehen, Restaurants testen, Geld ausgeben für Dinge, die man sich eigentlich nicht leisten kann und überhaupt nicht braucht. Oder doch? Sollte nicht jede Frau wenigstens eine Handtasche von Hermès besitzen?
Bereits als Teenager hatte ich mich in die französische Hauptstadt verliebt. Ich bin in einem Vorort von Saarbrücken, direkt an der Grenze zu Frankreich, aufgewachsen. Paris lag quasi vor der Haustür und ich fuhr damals lieber an die Seine statt an die Isar, die Elbe oder die Spree. So manche Partynacht, die in der südwestdeutschen Provinz begonnen hatte, endete bei Croissants und Café au lait in einer der Brasserien am Boulevard Saint-Germain. Noch heute fühle ich mich sofort wieder zuhause zwischen dem Jardin du Luxembourg und der Île Saint-Louis. Etwas Ähnliches ist mir mit anderen faszinierenden Metropolen nie passiert. Weder New York noch Kairo, Buenos Aires, Bangkok oder Sidney haben es bisher geschafft, Paris diese Erste-Liebe-Sonderstellung in meinem Herzen streitig zu machen. Und weil das so ist, verzeihe ich der Stadt und ihren Bewohnern auch alle ihnen nachgesagten – oder tatsächlichen – Macken, Schwächen und eitlen Attitüden.
Der Mann an meiner Seite ist selten zu einer Reise ins Nachbarland bereit. Auch diesmal hat er es vorgezogen, in Hamburg zu bleiben und den gallischen Hahn aus der Ferne zu rupfen. Der gebürtige Holsteiner pflegt seine Abneigung gegen alles Französische mit Leidenschaft und hält alle Pariser beiderlei Geschlechts für arrogante Schnösel, seit eine bildhübsche, aber schnippische Autovermieterin weder sein Englisch noch seine mühsam erlernten Französischbrocken verstehen wollte.
»Schau dir nur an, von wem sie sich regieren lassen, dann weißt du, was los ist.« Er rollt die Augen gen Himmel und nölt.
»Ein Kampfzwerg, der seine Minderwertigkeitskomplexe mit einem Ex-Model kompensiert, das sich für eine Sängerin hält, obwohl es überhaupt keine Stimme hat. Vögeln und posen – das ist Frankreich.«
Auf dem Weg zum Flughafen Charles de Gaulle zuckelt der Airportbus durch eine der zahllosen, schmalen Einbahnsträßchen und hält plötzlich ruckartig an. Etwa 30 Menschen aus aller Herren Länder recken gleichzeitig die Hälse. Direkt vor dem Bus blockiert ein Transporter mit geöffneten Ladetüren die Straße. In aller Seelenruhe hieven zwei Männer Mobiliar auf den Gehsteig. Einen Tisch, Stühle, ein Sofa, Bettgestelle. Sie schenken uns und unserem Bus keinerlei Beachtung. Unser Chauffeur versinkt in eine Art Duldungsstarre. Wir warten. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Hinter uns bildet sich, laut hupend, eine Schlange. Im Bus macht sich leise Unruhe breit. Nach dreißig Minuten schüttelt der Herr neben mir unwillig sein mit einem beeindruckenden grüngoldenen Turban besetztes Haupt und blickt nervös auf die Uhr.
»Ich muss unbedingt meinen Flug nach New Delhi erwischen«, wispert er mir komplizenhaft zu. In diesem charmanten Indisch-Englisch, das mich immer an New Yorker Taxifahrer erinnert. Mein verständnisvolles Nicken ist für uns beide das Startsignal zur Flucht. Als ich fluchend meinen Koffer aus dem Bus wuchte, um nach einem längeren Fußmarsch irgendwo auf einem größeren Boulevard ein Taxi zu ergattern, klingelt mein Handy. Der Mann an meiner Seite beweist wieder einmal seinen untrüglichen Instinkt für Timing.
»Ich kann jetzt nicht reden«, japse ich. Und sehe, wie sich der Turbanträger das einzige Taxi weit und breit schnappt und davondüst.
Der Mann am anderen Ende der Leitung überhört meinen angespannten Tonfall und plaudert ungerührt weiter, bis ich kurz vor dem Kollaps stehe. Seine letzten Worte:
»Ich hoffe, Du landest pünktlich in Hamburg. Ich habe eine Überraschung für dich.«
Meine Überraschung für ihn steckt in meinem Handgepäck. Ich habe es doch noch bis zur Schlange vor dem Sicherheits-Check geschafft. Und weil auf die Unpünktlichkeit der Fluglinie Verlass ist, werde ich sogar meine gebuchte Maschine erreichen.
»Open«, bellt mich die weibliche Security-Kraft an. Sie pflügt mit den Händen durch meine Handtasche und fördert mit spitzen Fingern ein Marmeladen-Glas zu Tage.
»Grüne Tomaten-Konfitüre«, stammle ich, »eine Spezialität von Hédiard. Ein Geschenk für meinen Mann.«
Die Uniformierte kennt kein Erbarmen. Mit strengem Blick und den Worten »no confiture« deutet sie auf einen Abfalleimer. Dass Terror-Gefahr selbst in Marmeladengläsern lauert, war mir bisher entgangen. Aber diese Delikatesse aus meinem Lieblingsfeinkostladen an der Place de la Madeleine einfach in den Müll werfen? Kann eine Französin, selbst wenn sie für die Flugsicherheit verantwortlich ist, solch einen Frevel zulassen?
Mit einem letzten Rest an Selbstbeherrschung entschuldige ich mich für meine Unwissenheit und reiche ihr das Gläschen mit der Bitte, den Inhalt wenigstens gebührend zu genießen. Die Sicherheitsdame mustert mich ungläubig. Ein Lächeln lässt ihr herbes Gesicht plötzlich weich und freundlich aussehen. Dann macht sie eine kaum wahrnehmbare Kopfbewegung. Sie lässt mich und meine grünen Tomaten einfach ziehen. Wider alle Vorschriften.
Ich liebe Paris.
Beim Landeanflug auf Hamburg wird die Maschine von Orkanböen durchgeschüttelt. Ich kralle mich an den Armlehnen fest und spüre, wie das Adrenalin meinen Körper durchflutet. Als wir den Boden berühren, atme ich tief durch. Ich bin wieder zuhause.
»Was nehmen Frauen nicht alles auf sich, um die Sinne des Liebsten für besondere kulinarische Erlebnisse zu schärfen.« Ich überreiche dem Mann das Mitbringsel und weiß insgeheim, dass er nach ein paar Löffelchen Exotik wieder zu Sauerkirsch aus dem Supermarkt zurückkehren wird.
»Confiture de tomates vertes«, buchstabiert er fröhlich.