Schöner Mist - Mein Leben als Landei. Irmgard Hochreither

Schöner Mist - Mein Leben als Landei - Irmgard Hochreither


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Feld-, Stall- und Gartenarbeit taugen, und vielleicht noch dazu, figürliche Mängel zu kaschieren. Helena ist der Gegenentwurf zum Blümchenkittelschürzen-Klischee, das in meinem Großstadt-Hirn herumspukt.

      Mit ihrem Auftritt ist die neue Hofgemeinschaft komplett.

      »Ich habe es versucht, so gut es ging«, sagt sie und drückt mir meinen Kaschmir-Pullover in die Hand.

      Ich taste nach dem Loch, das Leo letzte Woche in die Wolle gerissen hat. Es ist tatsächlich nur noch zu sehen, wenn man es sehen will. Ich will nicht.

      Und bedanke mich bei der Kunststopferin.

      Wir prosten uns zu, schauen uns über die Gläser hinweg an und Paul entfährt ein langgezogenes, anerkennendes »aaah … das ist ein Tröpfchen … auf uns und auf euren ersten Sommer in Polkefitz«.

      Es wird eine lange, fröhliche Nacht in unserer Küche. Wir erfahren, dass 54 Menschen hier im Dorf leben, dass der Resthof schräg gegenüber zum Verkauf steht, dass Bauer Plate am Morgen ein Reh angefahren hat, dass auf unserer Hofweide demnächst die Pferde von Karwinkel grasen werden und dass die ersten Kraniche auf der Wiese bei der »Alten Jeetzel«, dem Fluss, der sich ums Dorf windet, gelandet sind. Nichts, so hören wir, existiert im Ort, was man mit etwas gutem Willen Infrastruktur nennen könnte. Keine Schule, keine Kirche, kein Laden, nur ein gelber Postkasten, ein Kaugummi-Automat und ein hölzerner Unterstand, den der Schulbus zweimal am Tag anfährt. Wir erhalten Aufschluss darüber, wer mit wem verkracht ist, und dass der reichste Bauer im Ort seiner Frau vor Jahren einen Tigermantel geschenkt hat, den sie aber erst anziehen durfte, wenn er mit seinem Jaguar die Polkefitzer Gemarkung verlassen hatte.

      Paul lacht in sich hinein. »Die Frau ist schon lange auf und davon. Den Jaguar gibt’s auch nicht mehr … aber das ist eine andere Geschichte.«

      »Mir hat gefallen, was du letzte Woche gesagt hast«, meint Helena beim Rausgehen.

      »Was habe ich denn gesagt?«

      »Dass du dir vorstellst, wie du mit einem Buch unter einem blühenden Kirschbaum sitzt. Obwohl alles noch ganz kahl ist.«

      Wir umarmen uns, als würden wir uns schon lange kennen.

      Als sie gegangen sind, sagt der Mann:

      »Über uns werden sicher auch bald irgendwelche Geschichten im Umlauf sein.

      Das gehört einfach dazu. Ist so was wie Sozialhygiene. Aber bitte, wir halten uns raus aus dem Dorfklatsch. Das gibt nur Verdruss.«

      Kurz bevor wir todmüde, ziemlich beduselt und überglücklich ins Bett fallen, treten wir noch einmal vor die Tür. Die Hofbeleuchtung brennt, ansonsten ist es stockfinster. Und mucksmäuschenstill. So still, dass man sein Blut in den Ohren rauschen hört. Ein gleißender Sternenhimmel wölbt sich über uns, wie man ihn über der erleuchteten Kulisse einer Großstadt niemals sieht. Plötzlich zerreißt der Ruf eines Nachtvogels die Grabesruhe. Käuzchen, Eule? Keine Ahnung – doch die kurz hintereinander ausgestoßenen Schreie vermitteln uns noch intensiver das Gefühl, gaaaanz weit weg zu sein. Kein Büro. Kein Internetanschluss. Funkloch. Es ist wie Urlaub in einer anderen Galaxie, ein gutes, befreiendes Gefühl. Wir stehen da, Arm in Arm, und wissen: Das Schicksal hat uns ein Geschenk gemacht. Polkefitz ist unser Dorf.

      Am nächsten Morgen werden wir von lautem Zwitschern, Gurren, Krähen und Tirilieren geweckt. Das gefiederte Symphonie-Orchester ist in großer Besetzung angetreten, um uns aus den Betten zu pfeifen. Und eine kräftige Märzensonne wirft Licht auf das, was am Abend zuvor unsichtbar war. Noch etwas schlaftrunken und verkatert wanke ich durch die Räume und bemerke Staubschichten auf dem Mobiliar, Insektenleichen auf den Fensterbrettern, Wollmäuse auf dem Fußboden, Spinnweben überall. Als ich die Türen öffne, wehen gewaltige Vorhänge aus feinem klebrigen Gespinst in der sanften Brise. Es sieht aus, als habe der Requisiteur von »Arachnophobia« die Zimmer für die nächste Horrorfilmszene präpariert. Ich weiß, Spinnen sind nützliche Tiere. Aber können sie ihre segensreiche Tätigkeit nicht irgendwo anders ausüben?

      Mir wird schlagartig bewusst, dass ich bei der Erweiterung unseres Lebensraums ein Problem nicht bedacht habe: Ich habe nichts übrig für Geschöpfe, die mehr als vier oder gar keine Beine haben. Es ist wie mit diesen Postkarten-Idyllen: Man schaut auf einen wunderschönen, Palmen bestandenen Sandstrand, über dem eine kitschige Feuerball-Sonne untergeht. Was man nicht sieht: Sandflöhe, Stechmücken, Kakerlaken, Wanzen, Taranteln, Skorpione, Schlangen. Dass ich so viele Reisen in tropische Länder überstanden habe, liegt nur daran, dass mein Fernweh und meine Neugier noch größer waren als mein Ekel vor diesem Viehzeug.

      Ich schleiche ins Bad, öffne vorsichtig die Tür zur Duschkabine – und sehe das Biest mit den acht haarigen Beinen im Ausguss verschwinden. Mit Todesverachtung halte ich den Duschkopf auf die Öffnung und drehe volle Pulle auf. Wasser marsch! Am liebsten würde ich in einen Ganzkörper-Neoprenanzug schlüpfen. Schließlich ringe ich mich dazu durch, auf logisches Denken umzuschalten.

      »Stell dich nicht so an«, sage ich laut zu mir selbst. »Du hast auf einer Philippinen-Insel, ohne es zu ahnen, über einem Python geschlafen, du hast in Thailand mit einem Tausendfüßler geduscht und in Afrika in Gesellschaft von handtellergroßen Nashornkäfern diniert. Es gibt hier nichts, was dir gefährlich werden könnte.«

      »Mit wem redest du?«, fragt der Mann von draußen.

      »Mit unseren Haustieren.«

      Ich gebe mir Mühe, meiner Stimme einen forschen Unterton zu verleihen.

      Als ich im Schrank nach Tassen und Tellern für das Frühstück suche, fällt mein Blick auf kleine, harte, braunschwarze Röllchen.

      »Mäuseködel«, sagt der zoologisch bewanderte Mann, unbeeindruckt von meinem angewiderten Gesicht. »Du bist hier auf dem Land, das ist ganz normal.«

      »Normal?« Es kostet mich einige Anstrengung, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Kann sein. Aber nicht in meinem Küchenschrank«, beharre ich.

      »Vergiss nicht, dass Nagerscheiße im Universum spießiger Putzteufel nicht vorgesehen ist. Wir können froh sein, dass keiner von uns an Hausstaub- oder Tierhaarallergie leidet, sonst wären wir jetzt schon erledigt, asthmatisch, tot.« Insgeheim klopfe ich mir auf die Schulter, dass ich so klug war, gleich eine ganze Kollektion von Desinfektionsmitteln anzuschaffen.

      Nach dem Frühstück werde ich ungemütlich und bitte den Handwerker an meiner Seite, in irgendeinem Baumarkt Farbe aufzutreiben, weil ich der Meinung bin, die Stube könnte einen neuen Anstrich vertragen. Außerdem müsse die Klinke der Küchentür fixiert werden, weil die sonst beim Aufziehen in ihre Einzelteile zerfällt, und wenn man schon dabei ist, könne man auch gleich die Tür aushängen und ein bisschen abschleifen, damit das Auf- und Zumachen nicht zum Muskelaufbautraining gerät.

      Gegen echte, ehrliche, sinnvolle Reparatur-Arbeiten hat der Mann zum Glück nichts einzuwenden. Und das Beste daran: Obwohl auch er eigentlich ein Schreibtisch-Täter ist, hantiert er geschickt wie ein Profi mit allen nur erdenklichen Werkzeugen. Er ist der erste Mann in meinem Leben, der nicht bereits beim Anbringen einer Glühlampenfassung versagt. Alle Kerle vor ihm hatten zwei linke Hände und zehn Daumen. Er dagegen hämmert, sägt, feilt, leimt, lötet, fliest und mauert mit Sachverstand und Leidenschaft. Nicht ohne Stolz behauptet er von sich:

      »Ich habe schon ganze Häuser eingerissen und wieder aufgebaut. Vom Keller bis zum Dach. Fenster, Türen, Bäder, Küchen, alle Installationen selbst gemacht. Mit allem drum und dran. Und zwar allein!« Jetzt kann er zeigen, was in ihm steckt. Es gefällt ihm, dass meine Bewunderung für seine Fertigkeiten grenzenlos ist.

      »Welch angenehmes Gefühl«, gurre ich, »einen Mann im Haus zu haben, der zur Not ein geplatztes Wasserrohr reparieren könnte.«

      Immer wieder bringt er mich zum Staunen mit seinen kreativen Lösungen.

      Was nicht passt, wird passend gemacht. In jeder seiner Fingerspitzen wohnt ein kleiner Meister. Nur manchmal sehen die Dinge nach der Behandlung ein wenig anders aus als vorher. Nicht unbedingt besser, aber auch nicht wirklich schlechter. Nur anders. Aber fast immer erfüllen sie wieder ihre Funktion.

      Wie


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