Schöner Mist - Mein Leben als Landei. Irmgard Hochreither

Schöner Mist - Mein Leben als Landei - Irmgard Hochreither


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Tierchen auf, die sich verschreckt unter Fußleisten verkriechen, hantiere großzügig mit Desinfektionsspray – und schäme mich gleichzeitig ein bisschen für meine Mordlust. Aber ich kann nicht anders. Ihr Spinnen, Käfer und Asseln, macht euch aus dem Staub! Sucht euch einen anderen Wellness-Bereich. Das ist jetzt mein Haus! Es ist meine Art der Inbesitznahme.

      Der Mann hat sich nach den Maler- und Schleifarbeiten mit einem Weizenbier auf die Hofterrasse verzogen und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

      Als ich gerade dabei bin, die Fliesen des Küchenfußbodens zu bearbeiten, steckt Paul den Lockenschopf durch die Tür.

      »Willst du auch ein Lamm?«

      In meiner Phantasie sehe ich schon die köstliche Lammkeule im Ofen bruzzeln.

      Lammhaxe. Lammschulter. Lammkoteletts. Hmmm. Lecker.

      »Klar«, meine ich, ohne eine Sekunde zu zögern.

      »Gut, dann sage ich KD, dass er für euch noch ein Lamm mehr auf die Wiese stellen soll.«

      KD, so erfahre ich, steht für den Dorfbewohner Klaus-Dietrich, einen Nebenerwerbs-Landwirt. Ich muss schlucken. Und stammle:

      »Wie … auf die Wiese stellen?«

      Ein glucksendes Lachen schallt durch die offene Terrassentür an mein Ohr.

      »Was hast du denn gedacht?«, ruft mir der Biertrinker von draußen zu und amüsiert sich prächtig über mein entsetztes Gesicht, »Lammhaxen wachsen nun mal nicht fix und fertig auf Bäumen. Die süßen kleinen Tierchen stehen auf der Wiese und irgendwann werden sie geschlachtet, damit du einen schönen saftigen Braten bekommst.«

      »Paul«, sage ich kraftlos, während ich einen galligen Na-Warte-Blick auf die Terrasse werfe, »danke für das Angebot. Aber … ich, … ich überleg’s mir noch mal. Wenn ich das Lämmchen jedes Wochenende sehe, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee …«

      Paul schaut mich an, als sei ich aus einer beschützenden Anstalt entflohen, ringt sich aber zu einem Verständnis heischenden »macht ja nix, hat ja noch Zeit bis morgen« durch.

      Als er weg ist, komme ich mir ziemlich bescheuert vor. Schließlich bin ich keine Vegetarierin. Wieso esse ich ohne Gewissensbisse Fleisch vom Metzger, gerne auch in Bio-Qualität, kann aber den Gedanken nicht ertragen, ein Tier zu verzehren, das vor meiner Nase zum Braten heranwächst? Es käme mir vor, als würde ich jemanden aus unserem Freundeskreis fressen. Erst kürzlich habe ich von einem amerikanischen Wissenschaftler gelesen, der vorschlug, die Viehbestände in der landwirtschaftlichen Mastindustrie gentechnologisch so zu verändern, dass die Tiere ihr kurzes, artentfremdetes Leben schmerzfrei führen können. Das Schmerzempfinden einfach wegzüchten, damit wir unser Gewissen beruhigen – eine perverse Idee. Doch mein Verhalten ist auch irrational.

      Unlogisch. Dumm. Wenn ich ehrlich bin, kann ich es dem Mann nicht mal übelnehmen, dass er mich aufgezogen hat.

      Aber meine Entscheidung ist gefällt: Ich will kein Lamm, das bis zu seinem schrecklichen Ende, das Todeszeichen auf der wolligen Stirn, vor meiner Nase auf einer Wiese grast. Ich will ein anonymes Stück Fleisch.

      Schließlich sind auch die letzten Holzwurmhäufchen von der Treppe gefegt. Alles blitzt. Zufrieden räume ich das Putzzeug in die Kammer und mache mir Gedanken über das Abendessen. Irgendwas Fleischloses, soviel steht fest. Als ich gerade dabei bin, meine extrascharfen Spaghetti Arrabiata vorzubereiten, höre ich hinter mir ein leises Tapsen. Ich schaue mich um und traue meinen Augen kaum. In meiner frisch geputzten Küche steht … der Hovawart. Der Kerl sieht aus wie ein Kurpatient nach einem Schlammbad. Eine trübe Brühe tropft aus seinem verkrusteten, ehemals falbenfarbenen Fell, die Dreckklumpen an seinen Fußballen mischen sich mit der Feuchtigkeit und bilden kleine Schmutztümpel auf dem Boden. Ich nehme ein paar Lagen Küchentücher, verwische die Lachen zu schmutzigen Schlieren und fühle mich einen gequälten Moment lang wie Sisyphus. Leo lässt seinen verschlammten Körper mit einem zufriedenen Seufzer auf die Fliesen plumpsen und ich erkenne, dass ich gerade dabei bin, noch eine Lektion zu lernen:

      Übertriebenes Putzen eines Bauernhauses auf dem Land ist ungefähr so sinnvoll wie Sandkornzählen in der Sahara.

      Am nächsten Morgen knirscht es unter meinen Füßen, als ich durch die Küche ins Bad laufe. Wie von Zauberhand sind auch die zarten Netze in den Ecken der Fensterrahmen wieder da. Und die Mini-Holzhäufchen auf der Treppe. Respekt, ihr kleinen, unsichtbaren Malocher! Da wird sich die teuflisch ehrgeizige Sauberfrau in mir wohl oder übel auf eine Schrumpfkur gefasst machen müssen.

      Aber die Lektion hat auch einen positiven Effekt. Ich lasse in den kommenden Wochen die Putzeimer in der Ecke stehen und besinne mich darauf, Haus, Hof und Umgebung zu genießen.

      Auf einer unserer Erkundungstouren haben wir ein paar Dörfer vor Polkefitz einen Ort gefunden, der sich für uns sehr schnell zum unverzichtbaren Wohlfühlzentrum für Leib und Seele entwickelt.

      Wir stoßen auf ein Fachwerkgemäuer, das mit seinem gepflegten Reetdach aussieht wie eine alterslose Schönheit, die gerade frisch vom Frisör kommt. Das »Alte Haus« in Jameln. Jeden Freitagabend dort zu essen wird für uns zum Wochenend-Ritual.

      Für Menschen, die zufällig dort vorbeikommen, ist es einfach ein besonders hübsches, uriges Restaurant mit bodenständiger, aber exquisiter Küche. Für die Stammgäste, zu denen wir uns nach ein paar regelmäßigen Besuchen zählen dürfen, ist es eine Institution. Ein magischer Ort, der uns alle anzieht wie der Honigtopf die Fliegen. Und das liegt nicht nur an dem ausladenden Salat- und Vorspeisenbuffet, nicht allein an dem gemütlichen Gastraum mit den freiliegenden Eichenbalken und dem übermannshohen, zum Grill umfunktionierten Schwippbogen-Kamin oder am üppigen Blumenschmuck in fotogenen Tonkrügen, die verschwenderisch über die kleinen Tische verteilt sind.

      Es liegt an den Menschen, die aus diesem Schmuckstück ein Zentralorgan ländlicher Kommunikation gemacht haben. Der Hamburger Christian und die Dänin Henriette, die das Lokal seit vielen Jahren betreiben, tischen ihren Gästen zum zarten Bio-Rind oder zur Lammhaxe jede Menge Überraschungen auf – und alles, was man wissen muss, wenn man eine Woche oder länger nicht da war.

      Das »Alte Haus« ist Nachrichtenbörse, Ideenschmiede, Netzwerk und Ausstellungsraum für Kunst und Kurioses. Und: Meeting-Point für das Rat-Pack der Freiberufler. Für Journalisten, Schriftsteller, Maler, Schauspieler und Theaterleute, die sich, neben den psycho-pannenberger Schwitzzelt-Schamanen, vor Jahren schon in einem der Wendland-Höfe eingenistet haben, um hier zu leben, zu arbeiten, zu entspannen und bei Schnaps und Bier über Strategien für neue Projekte zu phantasieren.

      Längst wundern wir uns über nichts mehr. Nicht über die Chansons von Françoise Hardy zur italienischen Bauernbratwurst. Nicht über die Fotos im Raucherzimmer, die belegen, dass sich auch Ex-Kanzler Schröder, Udo Lindenberg oder Otto Sander hier wohlfühlten. Nicht über einige Gerichte mit merkwürdigen Namen auf der Speisekarte, die wir mittlerweile auch noch mit 1,5 Promille runterbeten könnten.

      Warum der süß-sauer eingelegte Hering seinen Weg ins Wendland gefunden hat, lässt sich leicht an dem dänischen Mini-Papierfähnchen erkennen, mit dem der Fischleib auf Henriettes Anweisung beflaggt und erst dann serviert wird.

      Nicht über die moderne Kunst an den Wänden, die sich bestens mit dem präparierten Hirschkopf und den Bataillonen aufgereihter Weinflaschen verträgt. Nicht über die angrenzende kleine Galerie, die in einer Garage untergebracht ist und zu deren Eröffnung wir eingeladen wurden. Eine Art deutschdänisches Joint Venture, bestückt mit Bildern von Henriettes Kunsthändler-Nichte aus Kopenhagen.

      Wenn es darum geht, was Originelles auf die Beine zu stellen, dann sind Henriette und Christian, diese unschlagbare nordische Kombination, nicht zu bremsen. Zwei erwachsene Kindsköpfe um die Fünfzig, die eine Art von Nichts-ist-unmöglich-Aura verströmen. Bei ihnen paaren sich Geschäftssinn und Pragmatismus mit einer »Laisser-Faire«-Attitüde und dem Hang zu allerlei Verrücktheiten.

      Als wir eines Freitagabends den Gastraum betreten, fällt uns die Kinnlade runter. Wir stehen einem riesigen ausgestopften kanadischen Bären gegenüber, der sich knapp drei Meter hoch in eindrucksvoller Drohgebärde


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