Arbeits- und Organisationspsychologie. Annette Kluge

Arbeits- und Organisationspsychologie - Annette Kluge


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Organisationstheorien anhand von drei Dimensionen vor. Diese Dimensionen beziehen sich auf:

      1. die Betrachtungseinheit, d. h. werden einzelne Organisationen betrachtet (z. B. ein Call Center) oder Organisationen einer ganzen Branche (z. B. alle Softwareunternehmen),

      2. die abhängige Variable in der Theorie, d. h. wird Überleben oder Untergang betrachtet, Leistung oder die Struktur,

      3. Art und Ausmaß von Macht, die einzelne Akteure in der Organisation besitzen, um auf die Leistung oder organisationale Merkmale einwirken zu können.

      Die nachfolgenden Organisationstheorien werden entlang dieser drei Dimensionen vorgestellt.

      Population Ecology und Evolutionary View

      Die Organisationstheorien der Population Ecology und der sog. Evolutionary View beschäftigen sich mit ganzen Populationen von Organisationen innerhalb einer geographischen oder zeitlichen Grenze, die alle ähnliche Formen und Strukturen aufweisen und sich dadurch von anderen Populationen unterscheiden lassen.

      Evolutionstheoretische Ansätze sehen Organisationen als zu komplex an, als dass sie durch geplante Eingriffe in berechenbarer Weise in einen gewünschten Zielzustand überführt werden könnten (Kieser & Woywode, 1999; Woywode & Beck, 2014). Akteure in Organisationen setzen Änderungsprozesse in Gang, die sie nur zum Teil kontrollieren können, denn ihre Pläne enthalten unrealistische Annahmen, ihre Maßnahmen haben Nebenwirkungen und andere Wirkungen als gedacht, es ergeben sich Effekte der Eigendynamik und es entstehen durch die Maßnahmen weitere Probleme. Dementsprechend werden solche Eingriffe aus evolutionstheoretischer Sicht erst einmal nur als Variationen angesehen. Nicht die Gestalter/innen, sondern die Auslese durch die Umwelt (z. B. der Markt), entscheidet letztlich darüber, welche organisationalen Variationen von Nutzen sind und das Überleben unterstützen (Kieser & Woywode, 1999; Woywode & Beck, 2014).

      Population Ecology porträtiert eine organisationale Landschaft, die aus verschiedenen Populationen und Subpopulationen besteht, die miteinander im Wettbewerb um knappe Ressourcen stehen, z. B. um Mitarbeiter/innen, Kapitel und Legitimierung.

      Der »Genpool« von Organisationen

      Analyseeinheit der evolutionstheoretischen Ansätze ist die Population, die durch Teilhabe an einerm gemeinsamen »Genpool« definiert ist (Kieser & Woywode, 1999). Die einer Population angehörenden Organisationen zeichnen sich – in Analogie zum biologischen Genotyp – durch eine gemeinsame Grundstruktur, einen gemeinsamen Bauplan oder ein Basismuster aus. Sie ähneln sich in der organisationalen Form und den organisationalen Aktivtäten für die Transformation von Inputs zu Outputs (s. o.; Kieser & Woywode, 1999, S. 256). Der Reproduktionserfolg erfolgreicher genetischer Merkmale einer Organisationspopulation ergibt sich auf der Basis ihrer Kompetenzen, kurz »Comps« (Competences) als Analogon zur genetischen Information der Gene. Organisationale Comps sind z. B. Prozeduren und Regeln, Baupläne, Software, Prozessabläufe, Stellenbeschreibungen, Führungsleitlinien. Alle Comps einer Organisation bilden den Comppool, d. h. ihren »Genotyp« (Kieser & Woywode, 1999, S. 259). Eine Organisationspopulation ist demnach durch einen kollektiven Comppool gekennzeichnet.

      Die Theorie der Population Ecology erklärt die Merkmale und Umstände von Populationen durch die Passung der Merkmale der Organisationen in der Population in Relation zu Merkmalen von Organisationen in konkurrierenden Populationen (Huber, 2011; Hannan & Freeman, 1977). In neueren Arbeiten werden neben den klassischen evolutionstheoretischen Prozessen der Variation und Selektion (»survival of the fittest«) auch Transformationsprozesse wie z. B. Unternehmenszusammenschlüsse (»Mergers«) betrachtet.

      Wie verbreiten sich die effektiven Comps in einer organisationalen Population?

      Effektive Comps verdrängen weniger erfolgreiche, da sich die erfolgreichen Comps schneller verbreiten, z. B.

      • indem Mitarbeiter/innen erfolgreicher Organisationen häufiger abgeworben werden und die Comps in die anwerbenden Organisationen übertragen,

      • indem Mitarbeiter/innen aus Organisationen mit erfolgreichen Comps häufiger als Sprecher/in auf Konferenzen oder Meetings eingeladen werden,

      • weil Organisationen mit erfolgreichen Comps eher ausspioniert werden,

      • oder Universitätsprofessoren/innen häufiger die erfolgreichen Organisationen untersuchen als die weniger erfolgreichen und

      • die erfolgreichen Comps durch die Beratungspraxis von Unternehmensberatern kopiert und verbreitet werden.

      In der evolutionären Betrachtung (Evolutionary View) geht es ebenfalls um Variation und Selektion, jedoch in einer weitergefassten Betrachtung, z. B. ist sie expliziter darin zu erklären, wie Variation entsteht. Die Frage ist, ob Variation eher durch neu gegründete Organisationen entsteht oder durch bereits etablierte. Kann z. B. eine lang etablierte Organisation mit einer 100-jährigen Tradition, wie Siemens oder Daimler, sich selbst transformieren? Oder brauchte es ein Start-up wie Tesla, um die Elektromobilität für Käufer/innen attraktiv zu machen?

      Mögliche Quellen von Variation sind (Huber, 2011)

      a) umfeldbedingte Ereignisse, wie neue verfügbare Technologie (z. B. künstliche Intelligenz, das Internet, das Internet der Dinge, RFID Chips; image Kap. 1.3),

      b) machtvolle Akteure in der Organisation oder ihrer Nähe (z. B. ein/e neue/r Aufsichtsratsvorsitzende/r, auch als Reaktion auf unternehmerische Aktivitäten aus der eignen Organisation heraus, die zu Innovationen führen),

      c) neue Mitglieder in der Organisation (z. B. ein/e neue/r Bereichsvorstand/vorständin, neue Manager/innen)

      d) idiosynkratische pfadabhängige Weiterentwicklungen organisationaler Routinen (z. B. ein Verbesserungsvorschlag eines/r Mitarbeiter/in, wie eine Routine oder Geschäftsprozess vereinfacht werden kann)

      Auch hinsichtlich der Adaptation und des Weiterbestehens von Populationen ist die Evolutionssichtweise elaborierter als die Sichtweise der Population Ecology. Populationen adaptieren sich, indem sie den Niedergang von anderen Organisationen beobachten, die andere Merkmale (Form/Struktur) aufweisen als die Organisationen, die überleben (Huber, 2011).

      In der Praxis findet man diese Theorie in den Unternehmensberatungskonzepten und Managementmethoden, in denen es um »Benchmarking« geht, wieder. Beim Benchmarking mehrere Unternehmen miteinander verglichen, um die Merkmale einer Organisation zu identifizieren, die als Referenz für die optimale Form/Struktur der Leistungserbringung gelten kann. Dazu müssen Best Practices herausgearbeitet werden, die dann auf die eigene Organisation angewandt und in ihr implementiert werden soll.

      Institutional Theory

      In der Institutional Theory geht es weniger um Merkmale wie Form und Struktur, sondern um die Werte und Normen, die die Koordination von arbeitsteiliger Arbeit ermöglichen. In allen sozialen Systemen sind demnach Annahmen (beliefs) über die angemessenen Werte und Normen verankert. Als Instituationalisierung wird der Prozess bezeichnet, in dem Annahmen als Regeln betrachtet werden, und – wenn sie von vielen geteilt werden – zu einer starken Kultur reifen (Huber, 2011; O Reilly & Chatman, 1996). Derartige Annahmen können starken Einfluss nehmen und werden auch institutionale Kräfte genannt. Verhaltensweisen, die mit diesen Annahmen verbunden sind, müssen nicht nur interpersonal sein, sondern können sich auch darauf beziehen, wie die »Dinge hier gemacht werden«. Institutionalisierung ist damit ein Prozess, in dem eine Organisation spezielle Merkmale ausbildet, eine distinkte Kompetenz erwirbt oder aber auch ein geübtes Unvermögen (Selznik, 1996, Scott & Davis, 2007).

      Institutionalisierung heißt, dass die von Mitgliedern einer Gesellschaft (z. B. der in Deutschland) geteilten Deutungssysteme von diesen Mitgliedern als objektive und externe und als außerhalb der einzelnen Mitglieder liegenden und historisch vor ihnen bestehende Strukturen betrachtet werden (Walgenbach,


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