Propagandaschlacht ums Klima (Telepolis). Michael E. Mann

Propagandaschlacht ums Klima (Telepolis) - Michael E. Mann


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übereinstimmen. Die Tabakindustrie brauchte einen Sündenbock – die brennbaren Möbel – und die chemische Industrie stellte eine vermeintliche Lösung zur Verfügung: Flammschutzmittel.

      Ein weiteres klassisches Instrument von Ablenkungskampagnen ist der Einsatz von Industrie-Lobbygruppen, die sich als Graswurzelbewegung tarnen. Americans for Prosperity (Amerikaner für Wohlstand) ist zum Beispiel eine solche Organisation der Koch-Brüder, die die Agenda der fossilen Brennstoffindustrie vorantreibt, indem sie die Klimawissenschaft angreift und Klimaschutzaktionen blockiert. Sie setzt sich im Übrigen auch für die Tabakindustrie ein.8 Citizens for Fire Safety (Bürger für den Brandschutz) war eine Lobbygruppe der chemischen Industrie. Sie widersetzte sich aktiv einer Gesetzgebung, die die Verwendung gefährlicher, feuerhemmender Stoffe in Möbeln verbieten wollte. Ihr Geschäftsführer, Grant Gillham, kam aus der Tabakindus­trie. Die Aufgabe der Gruppe besteht laut den Steuerunterlagen darin, »gemeinsame Geschäftsinteressen von Mitgliedern zu fördern, die mit der chemischen Industrie zu tun haben. Das meiste Geld der Citizens for Fire Safety fließt dabei in die Lobbyarbeit in Bezug auf staatliche Gesetzgebungsvorhaben, bei denen Verbote von Flammschutzmitteln erwogen werden.

      Ein weiterer Akteur in diesem Bemühen hat den wissenschaftlich klingenden Namen Bromine Science and Environmental Forum (Bromwissenschaft- und Umweltforum) und wurde von Chemikalienherstellern mit dem Ziel finanziert, »Wissenschaft zur Unterstützung bromierter Flammschutzmittel zu generieren«.9 Sie wurde von der Werbe- und PR-Agentur Burson-Marsteller vertreten, wie bereits zuvor auch schon die Lobbygruppe der chemischen Industrie, die sich Alliance for Consumer Fire Safety in Europe (Europäische Allianz für Verbraucher und Brandschutz) nannte. Deren Aufgabe bestand unter anderem darin, instinktive Ängste vor Feuer auszunutzen, indem sie ein »interaktives Werkzeug für Brandtests« propagierte, bei dem sich Websitebesucher mit Entsetzen bildhaft vorstellen konnten, wie ihre Sofas in Brand gerieten. Merken Sie sich den Namen Burson-Marsteller. Er wird noch häufiger vorkommen.

      Eine scheinbar überzeugende, aber nicht authentische Berichterstattung ist ein weit verbreitetes Konzept bei Ablenkungskampagnen. Und hier haben wir, wie Callahan und Roe ausführlich dargelegt haben, eines der allerbesten Beispiele: Dr. David Heimbach war ein pensionierter Arzt und Chirurg für Verbrennungskrankheiten aus Seattle sowie ein ehemaliger Präsident der American Burn Association (Amerikanischen Gesellschaft zur Bekämpfung von Verbrennungen). Und auch er nutzte die Angst der Menschen aus. Er berichtete immer wieder über entsetzliche Brandopfer unter Kindern, die Möbeln ohne Flammschutzmittel zum Opfer gefallen wären. Zu diesen Betroffenen gehöre auch, so sagte er, ein neun Wochen altes Kind, das 2009 bei einem Kerzenbrand ums Leben gekommen sei. In Alaska berichtete er den Abgeordneten von einem sechs Wochen alten Baby, das 2010 in seiner Wiege tödlich verbrannt wäre. Außerdem machte er in Kalifornien die Geschichte eines sieben Wochen alten Mädchens öffentlich, das in einem von einer Kerze entzündeten Feuer verbrannte sei, als es auf einem Kissen ohne Flammschutzmittel gelegen habe. Heimbach beschrieb den Vorfall mit den Worten »die Hälfte ihres Körpers war schwer verbrannt« und führte weiter aus, wie »sie schließlich nach etwa drei Wochen Schmerz und Elend im Krankenhaus starb«. »Heimbachs leidenschaftliches Zeugnis über den Tod des Babys ließ die langfristigen gesundheitlichen Bedenken über Flammschutzmittel, die von Ärzten, Umweltschützern und sogar Feuerwehrleuten geäußert wurden, abstrakt und trivial klingen«, wie Callahan und Roe es ausdrückten.10

      »Aber mit seiner Zeugenaussage gab es ein Problem«, stellten Callahan und Roe fest. Die Geschichten entsprachen nicht der Wahrheit. Es gab keine Hinweise auf gefährliche Kissen- oder Kerzenbrände wie die von ihm beschriebenen. Keines der Opfer existierte – weder das neunwöchige, noch das sechs- oder siebenwöchige. Das Einzige, was wahr zu sein schien, war, dass Heimbach tatsächlich ein Arzt für Verbrennungsmedizin war. Es stellte sich heraus, dass er als Lockvogel der Industrie dabei half, die zweifelhafte Behauptung zu unterstützen, dass chemische Hemmstoffe Leben retten würden.

      Es waren die Citizens for Fire Safety, die Heimbach und seine reißerischen Zeugenaussagen über verbrannte Babys sponserten. Auf ihrer Website war ein Foto von lächelnden Kindern zu sehen, die vor einer Feuerwache aus rotem Backstein standen und ein handgefertigtes Banner mit der Aufschrift »Fire Safety« mit einem Herz auf dem »i« schwangen. Heimbach bezog sich auf das Bild, als er gegenüber dem Gesetzgeber behauptete, dass die Citizens for Fire Safety »aus vielen Menschen wie mir bestehen, die kein besonderes Verhältnis zu Chemiekonzernen pflegen. Es sind vielmehr vor allem Feuerwehreinheiten, Feuerwehrleute und viele, viele Verbrennungsmediziner«.11 Letzten Endes ist der Kunstrasen des einen – im Sinne von Astroturfing, eine hinter den Kulissen von Lobbyinteressen gesteuerte Bürgerbewegung – die Graswurzel des anderen – im Sinne von gesellschaftlicher Basis. Wer weiß das schon?

      Als Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen der Tabak- und Chemieindustrie haben sich die Flammschutzmittel in der gesamten Umwelt weit verbreitet – sogar so sehr, dass diese gefährlichen Chemikalien heute schon bei nordamerikanischen Turmfalken und Schleiereulen, in spanischen Vogeleiern, bei Fischen in Kanada und sogar in antarktischen Pinguinen und arktischen Schwertwalen nachgewiesen werden können. Sie wurden in Honig gefunden, in Erdnussbutter – und in menschlicher Muttermilch.12 Und das alles ist das Ergebnis einer von der Industrie geförderten Ablenkungskampagne.

      Der weinende Indianer

      Meine lebhaftesten Kindheitserinnerungen reichen bis in die frühen 1970er Jahre zurück, als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Ich würde Ihnen gerne erzählen, dass es bedeutungsvolle Momente aus meiner Jugend sind: ein Sommerurlaub mit der Familie an der Meeresküste von Maine, ein Urlaubstreffen mit meinen Großeltern und Cousins oder auch mein erstes Ferienlager. Aber meine klarsten Erinnerungen an frühe Kindertage betreffen das Fernsehen und um genau zu sein, die Werbespots, die dort zu sehen waren.

      »Ich würde der Welt gerne eine Cola kaufen.« Ich höre immer noch den Jingle, die einprägsame Melodie, die verspricht, der Weltfrieden könnte erreicht werden, wenn sich nur alle dafür entscheiden würden, Coca-Cola zu trinken. Es ist, als ob es erst heute Morgen im Radio lief. Eingeprägt in mein Gedächtnis ist auch die strenge Mahnung des Werbemaskottchens Smokey Bear: »Nur Sie können Waldbrände verhindern.« Diese Werbekampagne trug dazu bei, dass ich schon früh die Natur und die Bedeutung ihrer Erhaltung zu schätzen wusste.

      Aber eine dieser äußerst hartnäckigen Werbebotschaften hat sich besonders in meiner Seele eingegraben. Wenn Sie in einem ähnlichen Alter sind wie ich und in den Vereinigten Staaten aufwuchsen, kennen Sie den Werbespot. Sie haben es vielleicht noch bildlich vor Augen: Ein nordamerikanischer Ureinwohner, mit kantigen Gesichtszügen und traditionell gekleidet, paddelt mit seinem Kanu einen Fluss hin­unter. Im Hintergrund spielt leicht unheilvolle Musik, begleitet von einem gleichmäßigen Trommelschlag. Während er den Fluss hinuntergleitet, stößt er auf eine zunehmende Menge an Treibgut und Strandgut, hinter ihm verschmutzen Fabriken durch Emissionen die Luft. Die Musik wird lauter und bedrohlicher. Schließlich landet er mit seinem Kanu am Ufer des Flusses, das mit Abfall nur so übersät ist.

      Der Mann mit dem Namen Iron Eyes Cody bahnt sich seinen Weg an Land, trampelt durch noch mehr weggeworfenen Müll und nähert sich dem Rand einer Autobahn. Ein Insasse eines vorbeifahrenden Autos wirft einen Müllsack aus dem Fenster, dessen Inhalt vor Codys Füße und auf seine Kleidung gelangt. Er blickt auf das Chaos hinunter, während man eine autoritäre Stimme aus dem Off hört. Sie erinnert an Rod Serling aus Twilight Zone: »Einige Leute haben einen tiefen, beständigen Respekt vor der natürlichen Schönheit, die dieses Land einst besaß.« Und in einem beinahe tadelnden Ton heißt es: »Manche Leute haben ihn nicht.« Es geht weiter mit: »Menschen verursachen Umweltverschmutzung. Menschen können sie beenden.« Als die Kamera auf das mürrische Gesicht des Mannes zufährt, fließt eine Träne aus den Augenwinkeln und über seine Wange. Er blickt traurig in die Kamera, im Hintergrund sieht man eine verschmutzte US-amerikanische Landschaft.

      Seine Tränen waren die unsrigen. Sein Schmerz war unser Schmerz. Unser großes Land – und das Vermächtnis der indigenen Völker – war durch unser eigenes verschwenderisches Verhalten gefährdet. Könnten wir unsere Flüsse, Felder und Wälder retten, bevor es zu spät wäre? Waren wir bereit, uns zu ändern?

      Und ob wir das waren. Als die zuständigen


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