Forensische Psychiatrie interdisziplinär. Manuela Dudeck

Forensische Psychiatrie interdisziplinär - Manuela Dudeck


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zuletzt möchte ich Frau Carmen Rapp meine Anerkennung zollen, die den Entstehungsprozess des Buches mit großer Professionalität und viel Gelassenheit begleitete. Für das behutsame Lektorat bedanke ich mich herzlich bei Herrn Dominik Rose.

      Manuela Dudeck, im Dezember 2020

       Meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Harald J. Freyberger (1957–2018) in großer Dankbarkeit gewidmet.

      

      1 Einleitung

      »Menschsein ist Menschwerden.« (Karl Jaspers, 1953)

      »Mit der Erkenntnis wächst der Schmerz.« (Einar Schleef, 1997)

      Forensische Psychiatrie befindet sich sowohl als klinisches Fach wie auch als Wissenschaft in der Schnittmenge zahlreicher Disziplinen. In der öffentlichen Wahrnehmung spielen zudem Emotionen bis hin zur »Faszination für das Böse« eine zentrale Rolle – eine Perspektive, die nicht selten in der Öffentlichkeit auch von Experten des Faches vertreten wird. Wie keine andere Wissenschaft wird die Forensische Psychiatrie mit dem Bösen als Objekt der offenen Anziehung in Verbindung gebracht und bringt so die Lust des Einzelnen an der Überschreitung zutage. Während das Gute aufgrund seiner Unauffälligkeit und Natürlichkeit fast den Eindruck des Belanglosen erweckt, vermag das Böse sofort jegliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn das Gute nun bestimmt und Vorbildfunktion hat, obwohl es nicht anzieht, ist die Frage, woher das Böse seine Attraktion und Anziehungskraft bezieht. Das können Gefahr, Wagemut und ganz banal Machtbedürfnisse sein, die in ihren Extremen in einer Zivilgesellschaft nicht vorkommen dürfen. Anscheinend entsteht das Böse in Kombination mit einigen Todsünden wie z. B. einem maßlosen Wollen, welches im Wollen des Guten keine Befriedigung findet, nicht weil das Tun des Guten unspektakulär ist, sondern weil es sich Regeln verpflichtet muss, die gemeinschaftsbildend sind und für jeden Einzelnen ungesehen seiner individuellen Besonderheit gelten. Wer nach dem Bösen strebt, möchte etwas Aufsehenerregendes leisten und selbst unverwechselbar sein und bleiben. Konkret kann es ein Querdenker und Individualist sein, der seine Umwelt und seine Mitmenschen als Experimentierfeld für seine besonderen Interessen und Neigungen benutzt, ohne sich um die Folgen für die Mitmenschen Gedanken zu machen. Diese sind nur das Agens, um ein außergewöhnliches Ziel durchzusetzen (Pieper 2019). Die antiken Philosophen waren bereits mit diesem Thema beschäftigt, für sie kam nur der Mensch als Ursache des Bösen infrage, der irgendwie aus der kosmischen Ordnung herausgefallen war und dabei die Orientierung verloren hatte (ebd.). Wenngleich nun alle wissenschaftlichen Studien versuchen, bei psychisch kranken Straftätern morphologische Besonderheiten des Gehirns oder Gendefekte nachzuweisen, sind diese aus philosophischer Sicht ein Ausdruck von einer gewissen Hilflosigkeit, mit welcher die Gesellschaft und im Speziellen die forensischen Wissenschaften reagieren, die kollektiven Normen und Werte, aufrechtzuerhalten und das Böse selbst als etwas Besonderes zu charakterisieren. Denn am Ende ist und bleibt das Böse ein Willensakt des Menschen.

      Um aber ein umfassendes Verständnis dafür und für das Fach und seine Grenzen zu entwickeln, sind neben fundiertem psychologischen und psychiatrischen Wissen auch Kenntnisse aus Soziologie, Biologie, Kriminologie, Philosophie, Ethik und nicht zuletzt auch eine Einordung in den jeweiligen historischen Kontext erforderlich. Wie auch in allen anderen Fachrichtungen lassen sich die großen Fragen nur mit einem Blick in die Vergangenheit beantworten. Wer sich mit dem Gebiet der Forensischen Psychiatrie fachlich auseinandersetzen möchte, muss bereit sein, sich mit der Komplexität aber auch der Perversion der menschlichen Existenz beschäftigen zu wollen, ohne seiner eigenen Neugier zu erliegen. Die Forensische Psychiatrie unterliegt wie alle anderen Wissenschaften einer ständigen Veränderung durch zunehmende Forschungsbemühungen, aber auch durch einen sich stetig ändernden politischen und juristischen Bezugsrahmen in einer Demokratie. In den vergangenen zehn Jahren haben vielfache Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes dazu geführt, dass aus der Neufassung des Gesetzes über die Hilfen psychisch Kranker ein eigenständiges Maßregelvollzugsgesetz auf Länderebene hervorgegangen ist. Auf verschiedenen Rechtsebenen bekam die Zwangsbehandlung eine juristische Grundlage und die Rechte von Maßregelpatienten wurden gerade hinsichtlich Aufklärung und insbesondere Rehabilitation gestärkt. Darüber hinaus haben die Reformbemühungen zur Veränderung des § 63 StGB geführt und eine Reform des § 64 StGB darf erwartet werden. Die Interdisziplinäre Task-Force der DGPPN hat 2017 erstmals Standards für die Behandlung im Maßregelvollzug nach §§ 63 und 64 StGB formuliert und zeigen können, dass Forensische Psychiatrie viel mehr ist als nur Begutachtung, sondern die gesamte Behandlungsstrecke von der Begutachtung über die Therapie bis hin zur Rehabilitation psychisch kranker Straftäter abbilden kann. Durch den Resozialisierungsanspruch der Maßregelpatienten gibt es ein deutliches Umdenken auf psychotherapeutischer Ebene und es werden Behandlungsmodule aus etablierten Psychotherapieverfahren in die Maßregelvollzugsbehandlung integriert, sodass sich das Fach zu Recht um den Begriff der Psychotherapie erweitert hat. Durch die geschilderte rasante Entwicklung lohnt sich der historische Blick in die Menschheitsgeschichte umso mehr, da es zu allen Zeiten die Idee gab, psychisch kranke Straftäter zu entschulden und zu behandeln. Die Begutachtung und die Behandlung von Straftätern mit zum Teil schweren psychiatrisch relevanten Erkrankungen erfordern einen klugen und sensiblen Umgang mit dem Thema und das Buch mag helfen, das zu ermöglichen. Wenngleich das Inhaltsverzeichnis eine detaillierte Beschäftigung mit allen die forensische Psychiatrie betreffenden Fragen verspricht, können es nur Denkanstöße und Annäherungen sein, die zur Vertiefung des Themas einladen.

      

      2 Kann menschliches Verhalten unmenschlich sein?

      2.1 Das Menschenbild

      Das größte Geheimnis ist wohl das, wer wir Menschen sind. Dieses zu entschlüsseln, war zu jeder Zeit Ziel der Philosophen. Schon in der Antike war über dem Orakelheiligtum in Delphi, dem ehemaligen Tempel Apollos, der prägnante Aufruf »Erkenne Dich selbst!« für alle sichtbar zu lesen.

      Menschen haben die Fähigkeit, sich in der Zeit und dem sie umgebenden Raum zu betrachten, über sich nachzudenken und ihre Überlegungen in Worte zu fassen. So entstehen die Fragen nach dem Sinn des Lebens und ob es ein ubiquitär geltendes Menschenbild geben kann. Aussagen über den Menschen finden sich in allen sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlichen Fächern. Auch die Humanmedizin ist nach der Entschlüsselung der DNA bestrebt, den »gläsernen Menschen«, d. h. ein physisch exaktes Abbild eines jeden Einzelnen, darzustellen. Ob das aber den subjektiv geprägten Begriff des Menschen objektivieren kann, mag dahingestellt sein. Bis heute gibt es kein tiefergehendes gemeinsames Verständnis darüber, was genau nun das Menschenbild ist. Die Diskussionen darüber werden immer dann forciert, wenn aggressive Auseinandersetzungen wie Genozide, Kriege, Terroranschläge und/oder besonders als grausam bewertete Einzeltaten von Menschen die Menschen erschrecken. Darauf folgt in der Regel die Klassifizierung der/des Täters in menschlich oder unmenschlich. Primo Levi stellte 1947 in der Beschreibung seiner Erlebnisse im Holocaust die Frage: »Ist das ein Mensch?«. Für den forensischen Psychiater Hans-Ludwig Kröber ist das Töten in der menschlichen Natur verankert. Die Akzeptanz dieses Faktes würde aus seiner Sicht Gewalt verhindern können (Kröber 2012).

      Die Konzepte zur menschlichen Natur sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Wer aber versucht, alle Bestimmungen, die ihn ausmachen, zusammenzutragen, geht an vielem, was ihn ausmacht, vorbei. Allerdings scheint eine historisch-kulturelle Begriffsbestimmung unumgänglich, da Menschen zum einen in einer natürlichen, aber auch von ihnen geschaffenen kulturellen Umwelt leben. So sind sie durch sich selbst mit der Aufforderung konfrontiert, sich zu bestimmen. Die Antworten erfolgen in der Regel aus einer immer spezifischer werdenden Perspektive und sind z. B. von religiösen Überzeugungen und Vorstellungen, die sich in Kunstwerken widerspiegeln, beeinflusst. Karl Jaspers (1965, S. 57) merkt Folgendes dazu an: »Wir tragen Bilder vom Menschen in uns und wissen von Bildern, die in der Geschichte gegolten


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