Die Rose im Staub. Sarah Skitschak

Die Rose im Staub - Sarah Skitschak


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Seele verkaufen, meine Furcht vor den eigenen Taten überwinden, meine Prinzipien von den Klippen ihrer Hoffnungslosigkeit stoßen … und ja, obgleich mich all diese Dinge schreckten …

      »Ich muss zur Wasserwache … aber ich komme wieder.«

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      Kapitel 2

      Nakhara

      Land der Namenlosen

      Eine erdrückende Hitze hatte sich um meinen Körper geschlagen und schien meine Extremitäten mit Blei zu befüllen, als ich unter flatternden Lidern gegen das erste Tageslicht blinzelte. Zwischen den einzelnen Sichtsequenzen sah ich eine runde Zeltöffnung über mir schweben, sah wolkenloses Blau hinter den Leinenplanen und nahm auch den erbarmungslosen Hauptstern wahr, der mit aller Macht seine Wärme auf das Land der Namenlosen entsandte. Noch schwebte ich zwischen Traumwelt und Realität. Der Morgen lastete in meinen Gliedern.

      Doch fühlte ich bereits die nassdurchtränkten Stoffe unter meinen Händen, fühlte mich selbst, als würde ich in einem Ozean meines eigenen Albtraumschweißes davontreiben müssen. Die Leinen verwandelten sich in windgetragenes Wüstengras … und schon fand ich mich in einem altbekannten Lähmungsgefühl, das mich seit einigen Wochen nach dem Erwachen zu quälen pflegte.

      In diesen Momenten siegte noch einmal die Furcht der Nacht über mich.

      Die Erinnerung an das furchtbare Unglück, das sich vor den Toren der Legendenstadt Gwerdhyll ereignet hatte.

      Mit geschlossenen Augen verwandelten sich die Erinnerungen in realitätsnahe Bilder, die vor einer schwarzen Leinwand tanzten und all die zerrütteten Gefühle an die Oberfläche meines Bewusstseins schwemmten. Da waren Wellen von Städtern auf galoppierenden Pferden, die über die Körper meiner Familie fegten, die Krusadh mit einer Lanze durchbohrten und mich über Steppenfelder hetzten. Unzählige Hufe von aufgewiegelten Tieren, die in ihrer Panik über das Land trampelten, die über die Leichen der getöteten Männer stolperten und ihr Blut im Sand der Wüste verteilten.

      Noch einmal. Mein Sturz. Der Moment, als meine Rüstung ins Körperinnere gedrückt worden war.

      Noch einmal. Krusadh. Der junge Reiterkrieger, der von einer Lanze durchschlagen wurde.

      Der Schmerz. Unerträgliche Folterqualen des geschundenen Leibes, auf den nur mehr der Tod lauerte.

      Jharrns entstelltes Gesicht über dem meinen.

      Der Geruch von Blut …

      … und …

      … Ohnmacht.

      Eine solche Machtlosigkeit!

      Eine ähnliche Ohnmacht verspürte ich gegenüber jenen Erinnerungsfetzen, die sich ohne mein Zutun in meine Nachtträume schlichen und den Schlaf in eine Zeit der Qualen verwandelten, die sich des Morgens noch immer an meine Bettkante hockten und mir leise ans Ohr flüsterten; die mir flüsterten, wie machtlos ich doch im Grunde blieb. Tausende Stimmen mit albtraumfarbenen Klängen umkreisten meinen letzten Ankerpunkt in der Welt, als wollten sie sich im nächsten Moment darauf stürzen und den kläglichen Rest meiner Menschlichkeit wie Wildhunde in der Weite zerreißen. So schwebte ich minutenlang zwischen Albtraum, Folter und Realität, ehe sich die traumatische Starre aus meinen Gliedern löste und meinen Körper endlich den geregelten Gedankengängen unterwarf.

      »Verflucht«, murmelte ich schließlich bei mir selbst.

      Ja, mein Körper galt als geheilt. Meine Seele, die bedurfte einer längeren Heilung.

      »Ich muss einfach nur aufstehen«, intonierte ich weiter mein Mantra und hoffte auf tatsächliche Linderung darin. »Dann kann der Schlaf mich nicht holen. Dann verschwinden die Bilder.«

      Mit zitternden Atemzügen kehrte ich der Zeltöffnung über mir den Rücken, als könnte ich auf diese Weise auch den Erinnerungen an den Vorfall vor Gwerdhylls Toren den Rücken kehren. Ich zog mich an einem Stoffballen zur Seite, drehte meinen Körper in penibelster Vorsicht auf dem Lager und versuchte, einen ungünstigen Kontakt mit meinem Brustkorb zu vermeiden. So stützte ich meinen Ellenbogen unter die unfallversehrte Stelle, raffte mich möglichst schnell in eine Sitzposition und verharrte noch eine Weile auf den äußeren Begrenzungen des Deckenlagers.

      Obwohl der Rippenbruch von der Stammesältesten versorgt worden war, bildete ich mir so manches Mal ein, in der Berührung wieder Schmerzen zu spüren. Als würden erneut die verhärteten Lederränder zwischen den einzelnen Knochen hindurchgeschoben, als drückte erneut ein Felsbrocken die Knochenkanten auseinander und zertrümmerte daraufhin die rechte Körperseite. Zu bildhaft blieb der Gedanke an die Wochen der Heilung, die ich auf einem Lager im Zelt hatte verbringen müssen.

      Bettlägerig. Schwach. Verletzlich. Gescheitert.

      Höchstwahrscheinlich die schlimmsten Wochen meines jungen Lebens, zumal ich mit den stechenden Gefühlen der Schuld mehr als nur einmal konfrontiert werden sollte. Jharrn und ich waren schwerverletzt zum Lagerplatz des Stammes zurückgekehrt, hatten auf ein Lebenszeichen der Reiterkrieger geharrt und doch nur zwischen Delirium und Todeskampf dem fernen Singen der Dünen gelauscht. Letztlich war uns eine medizinische Behandlung durch die Stammesälteste zuteil geworden, während die Stimmen der anderen im Wüstenwind verhallten und auf ewig als Erinnerung im Sand verblassten.

      Man fühlte sich schuldig, am Leben zu sein. Am Leben, während andere niemals zum Stamm zurückkehren konnten. Als hätte man die Familie im Stich gelassen … obwohl man wusste, dass ihre Leben längst zu Stimmen der Vergangenheit geworden waren.

      »Ach, verflucht, vergiss es endlich, Nakhara!«, presste ich noch einmal hervor und donnerte mit der flachen Hand auf das Kissen zu meiner Rechten.

      Umgehend wurde eine lose Feder in die Luft katapultiert, schlug einige Kapriolen in der Schwüle und schwebte dann in seichten Bewegungen zu Boden, um letztlich als bewegungsloses Objekt auf dem Teppich des Zelts zu enden. Die feinen Ausläufer zitterten im säuselnden Zugwind, der sich wie ein heimlicher Besucher unter den Zeltleinen hindurchstahl und den graugefleckten Flaum mit seinem Atem umspielte. Ich blickte eine ganze Weile auf die reglose Feder, als hätte ich darin meinen Fokus verloren.

      Doch im Grunde …

      Seit dem Unglück hatte ich kaum einen Fokus besessen.

      Es schien meinem einzigen Glück gleichkommen zu wollen, dass man mich erneut zum Wasserdiebstahl zugelassen hatte und am heutigen Tage mit den anderen Dieben gen Gwerdhyll zu senden gedachte. Die Stammesälteste war noch am Vorabend in mein Zelt getreten. Man betraute mich mit einem neuen Versuch unter den erfahrenen Männern, so hatte sie in wissenden Worten zu mir gesprochen und mir mit ihrer Ansprache endlich Hoffnung in die Hände gelegt. Denn auf diese Weise war mir eine Aufgabe zuteil geworden, die mich für einen Tag aus den Sümpfen meiner Grübeleien entführte, die mir die kostbare Möglichkeit verlieh, mich meinen Angstbildern Auge in Auge zu stellen.

      Heute geht es los. Und danach … danach ist alles besser.

      Seit dem Vorabend wiederholten sich die beruhigenden Floskeln wieder und wieder in meinem Schädel, sagten mir, dass mit einer neuen Gelegenheit alles besser werden würde und ich mich lediglich meinen Ängsten stellen müsste, dass ich an den Ort der Schrecken zurückkehren und mit einem Erfolg im Rücken heimkommen sollte, dass die Erinnerungen unter den Bildern des Erfolges verblassten und mit den toten Körpern unter dem Wüstensand begraben sein würden. Ob ich mich in diesen Floskeln schlichtweg in trügerischer Sicherheit wog oder tatsächlich an die Wahrheit meiner eigenen Worte glaubte?

      So manches Mal war ich mir bei mir selbst gar nicht sicher. Ich hegte nur eine Gewissheit: Ich wollte wieder nach Gwerdhyll.

      Denn andernfalls wäre ich längst Kind des Wahns.

      Mit entschlossenen Bewegungen stemmte ich mich in die Höhe, suchte mit der Hand Halt an der Hauptstange meines Zeltes und genoss das Gefühl der schwindenden Müdigkeit. Mochte der Schlaf auch Macht über meine Gedanken ausüben können, so blieben die Tage noch immer mein Eigen, blieben meine Zeit –


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