Die Rose im Staub. Sarah Skitschak

Die Rose im Staub - Sarah Skitschak


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      Es roch nach vergehenden Leibern unter der Sonne, nach Schweiß, nach Angst, nach Verzweiflung … nach Blut, noch mehr Blut und blanken Gedärmen.

      Ob ich am Leben war? Ob ich tot war?

      Ich vermochte nicht, es zu sagen.

      »Nakhara …«

      »Wo bin ich?«

      »Nakhara …?«

      Das Gesicht des Wassermeisters schwebte über meinen flatternden Lidern. Auf seiner Stirn spiegelten sich Besorgnis und Schmerz, als er meine Wange mit blutbesudelten Händen berührte, als er mich tätschelte, als wollte er mich aus einem tiefen Schlaf erwecken. Jede Berührung brannte wie glühendes Eisen auf meiner Haut, während meine Lungen unter kläglichen Pfeifgeräuschen nach Atemluft bettelten.

      »Ich kann nicht …«

      … atmen. Ich kann nicht mehr atmen!

      Ich suchte den Blick in den Augen der vertrauten Person, wollte einen Halt in meinen Qualen finden … und entdeckte bloß eine entstellte Fratze, die dem Wassermeister so gar nicht mehr ähnlich sah. Linksseitig blätterte die Wange wie eingerolltes Pergament von baren Knochen, legte das Jochbein den Wüstenwinden offen und baumelte blutend an wenigen Gewebestrukturen. Anstatt eines Augapfels blieb eine fleischige Höhle, in der einmal der blassgrüne Blick der Weiten gewohnt hatte.

      Jharrn beugte sich zu mir.

      Ich sah ihn, sah sein entstelltes Antlitz.

      Dann erlag ich den übermächtigen Fängen der Ohnmacht.

      Rosen und Wüstensand

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      Kapitel 1

      Einige Wochen später …

      Daegon

      Stadt der Legenden

      Wie Nebel entstieg der Rauch der schwelenden Kräuter dem Räuchergefäß, das in den Händen der Hohepriesterin zum Altar getragen wurde. Das Kupferrot ihrer krausen Lockenfrisur leuchtete als letzter Orientierungspunkt durch die Dämpfe, während die Tempelhallen in wabernden Wolken versanken und mit ihren Säulenschatten die Silhouetten der Beipriesterinnen verschluckten. Nur selten linste eine weiße Leinengewandung durch die Luftverwirbelungen. Größtenteils hatte sich eine dichte Wand der Stille in den heiligen Räumen niedergeschlagen.

      Ich blinzelte die Tränenflüssigkeit aus meinen Augenwinkeln, als könne ich auf diese Weise die Entstehung einer verquollenen Maske verhindern und dem Spott durch die anderen Soldaten entgehen. Dennoch erfüllte die Räucherzeremonie wie eh ihren Zweck und trieb Salzperlen über die Gesichter der Betenden, die sich der Reaktion ihrer Körper ja doch nicht zu erwehren vermochten. Obgleich ich im Stillen nicht beten wollte oder Götter auf Altären und Tempelkonstruktionen zu finden glaubte, so zeigte mein eigener Körper die Geste der Demut.

      Meine Wangen schwollen an. Meine Brust füllte sich mit brennender Luft. Und die Tränen … sie rannen unaufhaltsam über meine geröteten Züge.

      Ich unterdrückte den aufkeimenden Hustenreiz in meinem Rachen, verlagerte den Schwerpunkt auf das andere Bein und bemühte mich um einen ruhigeren Atemrhythmus. Neben mir, vor mir, um mich herum kämpften gut tausend weitere Seelen mit ein und denselben Symptomen, schienen jedoch weniger unfreiwillig auf ihren Plätzen zu stehen und starrten gebannt in die Nebelwände hinein. Wie Besessene hielten sie die Stille ihrer Gebete, schunkelten sanft im Takt eines nicht vorhandenen Liedes und öffneten ihre Herzen für die Zeremonie. Die Handflächen zeigten zur Tempeldecke, als erwarteten die Betenden den einen, den ersehnten Regenschauer, der ihnen von gütigen Gottheiten geschenkt werden sollte.

      Ich hatte in meinem noch jungen Leben schon vielen Regenbitten beigewohnt. Jede Zeremonie machte mich mehr und mehr glauben, ich würde in einer Menge aus Schlafwandlern stehen.

      Ihre Gesichter, die Gesichter belebter Menschen, verwandelten sich in versteinerte Ausdrücke mit toten Augen, wie man sie sonst auf den Häuptern von Kunstskulpturen auf unseren Stadtplätzen erwarten würde. Womöglich hätte ich wohl als Ungläubiger auf den Besuch derartiger Zeremonien verzichten sollen, doch handelte es sich um die einzige Fluchtmöglichkeit vor den Verpflichtungen eines ungeliebten Alltags …

      … und die einzige Möglichkeit, ein paar Worte mit meiner Mutter zu wechseln; sie einfach zu sehen – wenngleich so manches Mal aus der Ferne.

      Die flammenfarbene Hochsteckfrisur der Hohepriesterin tauchte als erstes, sichtbares Element aus dem Dunst und verriet das Ende der Räucherwanderungen, welche die unguten Gedanken aus den Tempelanlagen treiben sollten. Schon löste sich die Form einer enganliegenden Leinenkutte aus Nebeln, enthüllte die sanduhrförmige Gestalt jener Frau und ließ erstmalig ihre Standposition erkennbar werden. Auf der höchsten Stufe der flachen Tempeltreppen thronte die Hohepriesterin über dem Volk und hielt die Räucherschale über ihrem Haupt erhoben, sodass dünnere Schwaden im Luftzug der Hallen über den Goldrand zu schwappen begannen.

      Sie nahm einen tiefen Atemzug in den Rauch.

      Noch waren ihre Augen geschlossen ... Doch als sich schließlich die Lider hoben und ihre stahlblauen Augen enthüllten, da war mir, als sähe sie jeden Vorgang im Tempel. Als könnte ihr Blick selbst die Säulen durchdringen und jeden der Anwesenden für unzüchtiges Gedankengut strafen, als hätte sie selbst mit geschlossenen Augen jede Bewegung in der Masse verfolgt. Ihre schmale Gestalt ruhte statuengleich auf der heiligen Höhe, schien selbst zu einer Säule des Tempels zu werden und mit dem Reich der Göttlichkeit zu verwachsen. Während sie ihr Kinn auf die gewohnte Position zu senken begann, da senkten sich auch die Rauchschwaden in Richtung des Bodens und verwirbelten um die Säulenkapitelle.

      Die Füße der Betenden standen noch eine Weile im Nebel. Letztlich lösten sich auch diese Wolkenfetzen und verwehten im Nichts.

      Gebannt richteten sich nun sämtliche Blicke auf drei Götterfiguren, die mit ihren gewaltigen Marmorkörpern hinter der Hohepriesterin aus den Wolken tauchten und die Frau in ein unwichtiges Teil eines viel größeren Ganzen verwandelten. Wie Urgiganten stemmten sich die Schöpfer aus den steinernen Böden, trotzten der Schwerkraft mit ihren anmutigen Gesten und hielten ihre schützenden Hände über die winzige Frau mit der Schale. Eine männliche Figur in der Mitte. Zwei Frauen mit gigantischen Steinschalen zu seinen Seiten.

      Ihre Blicke waren auf höhere Sphären gerichtet und schenkten der Priesterin keine Beachtung, sodass lediglich ihre Handgesten ein gewisses Interesse an der Menschheit bekundeten. Ja, neben den Bildnissen ihrer Götter schrumpfte die scheinbare Relevanz der Zeremonienführerin und ließ das Gewicht, die Kraft ihrer Schöpfer, mit einem Male umso größer erscheinen.

      Ich blinzelte.

      In ebendiesem Augenblick der Menschlichkeit erkannte ich noch einmal die Vertrautheit in ihren Zügen und sah mich meiner Mutter gegenüber – nicht der Hohepriesterin, zu der sie dereinst gewählt worden war.

      Sie hat schon immer einen Hang zur Theatralik besessen, dachte ich noch … und rügte mich gleich darauf für einen solch respektlosen Gedanken.

      Mochte ich so manche Entscheidung der Frau nicht gutheißen können, so war sie doch der Mensch, der mich geboren und aufgezogen hatte, der mich – ganz im Gegensatz zu den Behandlungen meines Vaters – aus tiefstem Herzen geliebt und immerzu mit inniger Liebe bedacht hatte. Meine Mutter wusste als Hohepriesterin, das Volk mit gut geplanten Effekten und weise gewählten Worten zu begeistern, doch tat sie es, weil sie bei ihrem Leben an die Existenz dieser drei Gottheiten glaubte und die Liebe zu ihnen im Herzen des Volkes entflammen wollte.

      Ganz gleich, ob ich ihren Glauben teilte, ihn nicht teilte, respektierte oder im Geheimen verfluchte … Sie war stets dem Pfad des Lebens


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