Mirroring Hands. Richard Hill
auf die sich das Implizite im Expliziten zeigt. Symptome erzeugen Gefühle der Unverbundenheit und Desintegration, wodurch eine Disharmonie entsteht, die Klienten dazu bringt, einen Therapeuten aufzusuchen. Mirroring Hands ist eine natürliche und responsive Art, einen Klienten zu befähigen, diese Verbindungen wiederherzustellen. Wir werden zeigen, wie dies selbst dann gefahrlos und zuträglich geschehen kann, wenn das Erleben des Klienten in der Therapie schwierig und für ihn belastend ist.
Wie genau in der Therapie verfahren wird, hängt davon ab, was der Klient tun kann, was er zu tun erwartet und wozu er bereit ist. Weiterhin kann dabei eine Rolle spielen, was er über Sie als den Therapeuten und über Ihre Arbeitsmethode weiß. Klienten, die gezielt wegen Mirroring Hands zu Ihnen gekommen sind, wollen vielleicht augenblicklich mit dieser Art der Arbeit beginnen. Diesem Wunsch kommen wir nicht immer sofort nach. Wir berücksichtigen vielmehr alle Botschaften, die ein Klient übermittelt. Mit der Sensibilität, die ein Therapeut gegenüber den vielen Ebenen der Kommunikation eines Klienten aufbringen muss, werden wir uns in Kapitel 7 (»Natürliche, angenehme und sensible Beobachtung«) ausführlich beschäftigen.
Wir beschreiben zwar nur einige Varianten der Nutzung von Mirroring Hands, doch kann der Ansatz auch noch auf viele andere Arten verwendet werden. Durch das Zusammenwirken von Klient und Therapeut entsteht, was im betreffenden Augenblick erforderlich ist. Wir werden in Kapitel 12 (»Improvisation, Drama und Mirroring Hands«) näher auf diesen Aspekt eingehen. Improvisation ist im Grunde eine ungeplante Form der Nutzung Ihrer Wissensbasis und Ihrer vorhandenen Fertigkeiten. Was genau in der Psychotherapie geschieht, ist charakteristisch für die Kunst des betreffenden Therapeuten (Schore 2012; Storr a. Holmes 2012). Stellen Sie sich einen Pianisten vor, der sich von der Melodie des Stücks, das er spielt, entfernt und zu improvisieren beginnt. In den Tönen, die er dann produziert, kommen seine Fertigkeiten, seine Erfahrung und seine Expertise zum Ausdruck, und sie werden außerdem vom eventuellen Zusammenspiel mit anderen Musikern, vom Publikum und von seiner Vorstellungsfähigkeit beeinflusst. Ein schlecht ausgebildeter oder unerfahrener Spieler mit unzureichenden technischen Fertigkeiten ist einfach nicht in der Lage, ebenso gut zu improvisieren wie ein Meister seines Instruments. Diese Kompetenz entwickelt sich im Laufe der Zeit. Weil uns wichtig ist, dass jeder Therapeut seine eigenen, besonderen Qualitäten bei der Arbeit mit Mirroring Hands zur Geltung bringt, empfehlen wir Ihnen dringend, alles zu lernen, was Sie interessiert. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass Sie sich an Ihrem Interesse orientieren. Außerdem sollten Sie sich durch regelmäßige Supervision um Feedback über Ihre Arbeit bemühen und Ihre Klienten immer wieder fragen, was ihnen nützlich ist (Miller et al. 2006, S. 5–22). Wir werden unterschiedliche Möglichkeiten erforschen, sich Feedback von Klienten zu verschaffen und so die Wirkung der therapeutischen Arbeit zu überprüfen, während wir uns mit verschiedenen Varianten von Mirroring Hands befassen und einige Fallbeispiele betrachten. Wir hoffen, dass Ihnen das hilft, als Kliniker Vertrauen zur Anwendung aller Ihrer Möglichkeiten zu entwickeln und sich dabei wohlzufühlen. Ebendeshalb hat der Klient Sie aufgesucht und lässt Sie an seinem Erleben teilhaben!
Wo beginnen wir?
Bücher beginnen häufig mit einer historischen Reflexion und Evaluation. Im Einklang mit dieser Gepflogenheit geht es in unserem ersten Kapitel um die Geschichte von Mirroring Hands und darum, wie dieser Ansatz aus der Psychotherapie im Allgemeinen, der therapeutischen Hypnose und Ernest Rossis langjähriger Zusammenarbeit mit Milton H. Erickson im Besonderen hervorgegangen ist. Ungewöhnlich ist allerdings, dass man zu einem Protagonisten einer solchen Vorgeschichte Kontakt hat. Kapitel 1 (»Die Geschichte der ›Mirroring Hands‹«) gibt ein Interview – eigentlich ein Gespräch – zwischen Ernest Rossi und Richard Hill wieder. Darin werden Informationen erwähnt, die der Öffentlichkeit bisher noch nicht zugänglich waren. Außerdem werden einige als bewährt geltende psychotherapeutische Vorgehensweisen hinterfragt, und schließlich erläutern wir unsere persönliche Sicht auf Gesundheit und Wohlbefinden.
Das wiedergegebene Gespräch macht auf eine erste Herausforderung aufmerksam, mit der sich Kapitel 2 (»Denken in den Systemen des Lebens«) beschäftigt. Wir beginnen unsere Untersuchung mit einem frischen Blick auf unsere Art zu denken. Wir alle wurden im Sinne einer logischen Tradition erzogen, die auf dem Ursache-Wirkungs-Prinzip basiert, obwohl die Realität der Welt, in der wir leben, sich von dieser Sicht ein wenig unterscheidet. Kapitel 2 widmet sich den Wundern und den scheinbar mysteriösen Prozessen, die mit Systemen, Komplexität und Chaos assoziiert werden. Die Komplexitätstheorie erklärt, vereinfacht ausgedrückt, was geschieht, wenn viele Dinge zueinander in Verbindung treten, interagieren, sich integrieren und Resultate produzieren. Die meisten von uns sehen, dass wir in jedem beliebigen Augenblick allen möglichen Einflüssen unterliegen und dass man nur schwer im Voraus wissen kann, was geschehen wird. Es wäre wunderbar, wenn die Dinge so einfach lägen, dass es jeweils nur eine Ursache und ein vorhersagbares Resultat gäbe; doch aufgrund unserer Lebenserfahrung wissen wir, dass jedes Geschehen tatsächlich deutlich unvorhersehbarer ist.
Die neuesten Ansätze der Gehirnforschung, die durch die im Jahr 2013 von Präsident Obama in den USA lancierte Brain Initiative gefördert wurden, haben zu einer Verlagerung des Forschungsfokus von einzelnen Gehirnkomponenten und Verarbeitungsmechanismen zur Betrachtung des Gehirns als eines komplexen Systems geführt, das sich durch den Energie- und Informationsfluss ständig verändert.7 Beim Durcharbeiten des vorliegenden Buches werden Sie feststellen, dass auch wir uns um eine Veränderung etablierter Denkmuster bemühen. Statt einen Therapeuten als jemanden zu sehen, der zwar mit Klienten zusammensitzt, sich aber außerhalb von ihnen befindet und damit in einer vom Geschehen distanzierten Position – mithin als jemanden, der Interventionen vorschlägt, die schließlich zur Auflösung des Problems führen –, werden wir Ihnen erläutern, wie man ein Therapeut sein kann, der sich zusammen mit dem jeweiligen Klienten in einem therapeutischen System befindet. Wir werden zeigen, inwiefern das Im-System-Sein (statt des Einwirkens auf das System) eine völlig andere Verbindung zum Klienten schafft. Der Therapeut wird dadurch auf ganz natürliche Weise klientenresponsiv, und der Klient braucht dem Therapeuten nicht mehr zu folgen, sondern gelangt ins Zentrum des Therapieprozesses. Damit wird der Klient zur Quelle seiner eigenen therapeutischen Veränderung (Rossi 2004b; Scheel et al. 2013, S. 392–427).
Ein Rahmen für alle Therapien?
Obgleich wir uns wissenschaftlich fundierten Konzepten und Prinzipien verpflichtet fühlen, enthalten die theoretischen Kapitel des Buches nicht nur trockene akademische Theorie. Vielmehr beschreiben und erforschen wir darin, was für jede Art psychotherapeutischer Praxis gültig ist. Deshalb hoffen wir: Sie werden feststellen, dass Sie den Verständnisrahmen und die Grundlagen, die wir hier auf Mirroring Hands bezogen beschreiben, auf jede klinische und jede private Aktivität anwenden können. In den betreffenden Kapiteln wird beschrieben, wie Systeme funktionieren, wie sie sich selbst organisieren und wie wir – als Kliniker, Klienten und Privatleute – uns als kreativ am jeweiligen Prozess Beteiligte wohlfühlen können. Wir versuchen, den Fokus von der Rolle des bewusst Kontrollierenden oder des dominierend Beeinflussenden hin zur Bejahung eines Zustandes der Teilhabe an den natürlichen Eigenschaften unseres Seins zu lenken, die weder Kontrolle noch Dominanz benötigen. Denn wir können an einer kreativen Integration unseres gesamten Systems teilnehmen. Wir sind der Auffassung, dass Kontrolle und Dominanz des Erlebens die Effizienz einer Therapie verringern und dem Kliniker und dem Klienten die Arbeit erschweren können (Rosenfeld 1992, S. 205–226; Hopps et al. 1995). Wir weisen in diesem Zusammenhang nochmals darauf hin, dass uns sehr wohl klar ist, dass pragmatisches, kontrollierendes und sogar dominantes Vorgehen manchmal notwendig sein mag, dass man dies aber kaum als Therapie bezeichnen kann. In den meisten Fällen geht es dabei darum, den Klienten oder seine Situation vor Beginn