Der kleine Mann. Erich Kastner

Der kleine Mann - Erich  Kastner


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die zwei Gegenstände genau und fragte verblüfft: »Tatsächlich?«

      »Auf dem Etui muss mein Monogramm eingraviert sein. Ein G und ein H.Gustav Hinkeldey. So heiße ich nämlich.«

      »Ein G und ein H?«, meinte der Professor und blickte prüfend auf das Etui. »Stimmt, Herr Hinkeldey!« Geschwind gab er die Gegenstände zurück.

      »Entschuldigen Sie tausendmal, dass ich so offen war, Sie darauf hinzuweisen …«, begann der Direktor verlegen.

      »Nicht doch, nicht doch, Herr Hinkeldey! Wenn sich einer von uns beiden zu entschuldigen hat, dann doch ich! Entschuldigen Sie also – aber ich bin manchmal so zerstreut, dass ich Dinge einstecke, die mir überhaupt nicht gehören.« Der Professor klopfte sich sorgfältig auf die Taschen. »Nanu, da steckt ja noch mehr!«, rief er verwundert und brachte einen Notizblock und einen Kugelschreiber zum Vorschein. »Womöglich ist auch dies Ihr Eigentum?«

      »Ja natürlich!«, erklärte Herr Hinkeldey eifrig und nahm beides blitzartig an sich. »Ich konnte gar nicht begreifen, dass ich den Block nicht bei mir hatte.« Dann wurde er still und nachdenklich, bis er endlich misstrauisch fragte: »Haben Sie in Ihrer Zerstreutheit vielleicht auch meine Brieftasche eingesteckt?«

      »Das wollen wir doch nicht hoffen!«, antwortete der Professor und tastete sich ab. »Oder ist sie das hier?« Er schwenkte eine schwarze Tasche aus Saffianleder in der Linken.

      »Jawohl!«, rief der Direktor, riss sie an sich und lief eilends zur Tür, als habe er Angst, die Tasche könne noch einmal verschwinden.

      »Ist das Geld noch drin?«, fragte der Jokus belustigt.

      »Ja!«

      »Zählen Sie die Scheine lieber nach! Ich möchte nicht, dass Sie später behaupten, es hätte Geld gefehlt. Setzen Sie Ihre Hornbrille auf und zählen Sie genau nach!«

      »Meine Brille? Die habe ich doch schon auf!«, sagte Herr Hinkeldey. Erst als der kleine Mann zu lachen begann und immer lauter und immer herzlicher lachte, wurde Hinkeldey stutzig, griff sich an die Nasenwurzel und ließ die Hand verdutzt sinken. »Wo ist sie denn plötzlich?«

      »Tja, wo steckt man denn seine Brille hin, wenn man sie in Gedanken absetzt?«, fragte der Professor hilfreich. »Ich weiß so etwas leider nicht. Denn ich selber habe noch nie im Leben eine Brille getragen. Haben Sie sie im Futteral?«

      Der kleine Mann verschluckte sich fast vor Gelächter. »Hör auf, lieber Jokus!«, schrie er vor Wonne. »Ich kann nicht mehr! Ich kippe gleich vor Lachen aus deiner Brusttasche!«

      Der Direktor schaute finster drein. »Was ist denn daran so komisch?«, knurrte er. Plötzlich ging ihm ein Licht auf: Seine Brille saß auf der Nase des Professors! Mit einem Satz stand er mitten im Zimmer, ergriff die Brille, sprang zur Tür zurück und stieß hervor: »Sie sind ja ein Teufelskerl!«

      »Nein, ein Zauberkünstler, Herr Hinkeldey.«

      Doch der Hoteldirektor ließ sich auf nichts mehr ein. Nicht einmal auf eine Unterhaltung. Er riss die Tür auf und machte sich aus dem Staube. (Obwohl in so gepflegten Hotels wie diesem gar kein Staub herumliegt.)

      Nachdem sich Mäxchen von dem Spaß einigermaßen erholt hatte, sagte er bewundernd: »Der Herr Hinkeldey hat ganz recht. Du bist ein Teufelskerl! Dabei hab ich dir doch schon so oft im Zirkus zugeschaut, wenn du zwei oder sogar drei Leute aus dem Publikum zu dir holst und ihnen, ohne dass sie es merken, die Taschen ausräumst!«

      »Man muss sich mit ihnen nur nett unterhalten«, meinte der Jokus. »Man muss ihnen gemütlich auf die Schulter klopfen. Man muss sie am Knopf fassen. Man muss tun, als ob man ihnen ein bisschen Tabak oder ein Fädchen vom Anzug bürstet. Alles andere ist gar nicht so schwierig, wenn man’s gelernt hat.«

      »Und wie hast du’s gelernt? Und wo? Halte mich doch bitte mal an dein Ohr, ja? Ich muss dich ganz, ganz leise etwas fragen.«

      Der Professor nahm den kleinen Mann vorsichtig aus der Tasche und hielt ihn ans Ohr.

      »Lieber Jokus«, flüsterte Mäxchen. »Du kannst es mir ruhig erzählen. Ich sage es bestimmt nicht weiter. Warst du vielleicht früher einmal ein – Taschendieb?«

      »Nein«, antwortete der Professor leise. »Nein, mein Mäxchen.« Er lächelte und gab dem Kleinen einen Kuss auf die Nasenspitze und das war gar nicht so einfach. »Ich war kein Taschendieb. Aber ich habe viele Taschendiebe – erwischt.«

      »Oh!«

      »Und deshalb musste ich mindestens so viel lernen und können wie sie selber.«

      »Ja, ja. Sicher. Aber für wen hast du sie erwischt?«

      »Für die Polizei!«

      »Donnerwetter!«

      »Da staunst du, was? Ich wollte als junger Mann Detektiv werden oder Kriminalinspektor. Und später schrecklich berühmt.«

      »Erzähl weiter!«, bettelte Mäxchen.

      »Heute nicht. Vielleicht ein andermal. Heute erzähle ich dir etwas über die Schaufensterpuppe, die wir gekauft haben.«

      »Die hätte ich beinahe vergessen!«

      »Du wirst dich noch oft genug an sie erinnern«, meinte der Professor. »Denn wir haben sie ja deinetwegen gekauft.«

      »Meinetwegen? Wieso?«

      »Weil du doch unbedingt Artist werden willst.«

      Der kleine Mann staunte. »Dazu brauchen wir die große Puppe? Was für ein Artist soll ich denn werden, lieber Jokus?«

      »Du wirst mein Zauberlehrling«, sagte der Zauberkünstler.

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