Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2). Hans Kneifel
Diese Anhäufung?«
»Dass etwas sehr wenig wahrscheinlich ist, bedeutet nicht, dass es niemals eintreten kann. Und vor allem – es bedeutet auch nicht, dass es erst in fernster Zukunft eintritt. Unsere Stadt wird von einem Fusionsreaktor mit Energie versorgt. Diese Dinger haben bei sorgfältiger Wartung eine Betriebssicherheit von einer Million Jahre. Rein statistisch wird also einmal in einer Million Betriebsjahre ein solcher Reaktor trotz sorgfältiger Wartung in die Luft fliegen.«
»Das weiß ich«, gab Dhota gereizt zurück. »Worauf willst du hinaus?«
»Das bedeutet aber nicht, dass ein solcher Unfall sich nicht bereits in den nächsten fünf Minuten ereignen kann – jedes dieser einer Million Jahre ist gleich wahrscheinlich!«
Wieder runzelte Dhota die Stirn.
Die These, dass all dies nur ein Zusammentreffen von Zufallsereignissen war, passte ihm überhaupt nicht in den Kram.
»Und deine Schlussfolgerung daraus?«, fragte er.
Crahn lächelte.
»Dass wir es bereits hinter uns haben«, sagte er.
Jetzt war die Reihe an Dhota, zu lächeln.
»Ich schlage dich mit deinen eigenen Argumenten«, sagte er. »Es muss durchaus noch nicht zu Ende sein. Wenn nämlich einmal einer dieser Reaktoren aus deinem Beispiel in die Luft geflogen ist, dann heißt das nicht, dass man bis zum nächsten Unfall dieser Art mindestens eine Million Jahre Zeit hat. Der nächste kann bei gleicher Wahrscheinlichkeit zehn Minuten danach explodieren.«
Crahn machte ein betroffenes Gesicht.
»Und weiter ...«, fuhr Dhota fort. »Wenn wir es bei der Zufallstheorie belassen, dann brauchen wir nichts anderes zu tun, als die Hände in den Schoß zu legen und zu warten, bis die Pechserie ein Ende hat – wir haben ohnehin keinen Einfluss darauf. Wenn aber irgend etwas oder irgend jemand an diesem Desaster ursächlich beteiligt ist, dann ist es unsere Aufgabe, diese kausale Ursache zu finden und schnellstmöglich abzustellen.«
Crahn öffnete den Mund, um etwas zu erwidern.
In diesem Augenblick gab es Alarm ...
5.
Dhota schrak zusammen. Er stürzte hinüber zur Positronik.
»Welche Art von Alarm?«, fragte er an.
Die Antwort half ihm nicht weiter. Unspezifizierter Alarm – dahinter konnte sich alles nur Mögliche verbergen. Jedenfalls handelte es sich nicht um Raumalarm, und das war für Dhota wichtig, der insgeheim spekuliert hatte, ob die Rätsel der letzten Stunden vielleicht auf Manipulationen heimlich gelandeter Agenten zurückzuführen war.
»Komm mit«, forderte er Crahn auf. Die beiden verließen das Hochhaus, in dem Dhota seit einigen Jahren seinen Pflichten als Planetar nachkam.
Auf der Straße liefen Daila wild durcheinander, darunter auch zwei Beamte der städtischen Polizei. Dhota griff schnell zu und erwischte einen der beiden am Arm.
»Was ist passiert?«, rief er. Der Mann wollte sich zuerst freimachen, entdeckte dann aber, wer ihn da am Arm hielt, und blieb stehen.
»Im Naturkundemuseum!«, rief er aus. »Es geht drunter und drüber, niemand weiß, was dort los ist, aber es soll schon fünf Tote gegeben haben.«
»Im Naturkundemuseum?«, wiederholte Dhota ungläubig.
»Ja doch«, gab der Beamte zurück. Dhota ließ ihn stehen und nahm die Beine in die Hand; bis zu dem Glasbau war nicht weit zu laufen.
Eine für Rawanors Verhältnisse riesige Menge hatte sich in der Nähe des Museums versammelt – als die Daila Dhota entdeckten, zogen sie sich eilig zurück.
Schon immer hatte sich Dhota über Schaulustige geärgert, die Rettungsarbeiten behinderten. Er hatte daher schon vor langer Zeit seinen Beamten aufgetragen, jede Person zu ermitteln, die bei einem Brand oder einem anderen Ereignis dieser Art herumlungerte. Wer auf diese Weise zweimal öffentlich auffiel, wurde dann zwangsweise zur Freiwilligen Feuerwehr oder anderen Rettungsdiensten einberufen – seither hatte sich das Interesse an Bränden stark gelegt, und die Rettungsmannschaften konnten unbehindert arbeiten.
»Was ist los?«, rief Dhota.
Ein lautes Klirren ließ ihn zusammenfahren. Aus der Fassade des Naturkundemuseums löste sich eine quadratmetergroße Scheibe, stürzte zwanzig Meter in die Tiefe und zerschellte auf dem Straßenbelag.
»Die Tiere!«, schrie ein Mann, in dem Dhota den Pförtner erkannte. »Sie greifen an.«
»Tiere?«
Dhota begriff nicht, was der Mann damit sagen wollte.
Das naturkundliche Museum von Rawanor verdankte sein Entstehen einem einmaligen Glücksfall. Ein herumstreifender Daila hatte einen zugefrorenen See entdeckt, in dessen Eis Tausende von Lebewesen früherer Epochen eingeschlossen gewesen waren. Daraufhin hatte man einige der schönsten und besterhaltenen Exemplare vom Eis befreit, sorgsam konserviert und in die Hauptstadt gebracht. Noch immer tiefgefroren, waren diese Tiere in dem naturkundlichen Museum ausgestellt worden.
Und diese Tiere ...
»Heiliges Aklard«, entfuhr es Crahn. »Sieh dir das an!«
Wieder brach ein Stück der Fassade heraus, und diesmal war zu sehen, was die Beschädigung hervorgerufen hatte – ein Tier.
»Der Eurypterus fischeri«, stieß der Pförtner hervor. »Aber das ist doch völlig unmöglich ...«
Dem Mann quollen vor Entsetzen fast die Augen aus dem Kopf.
Was Dhota zu sehen bekam, war in der Tat ungeheuerlich. Im zehnten Stockwerk des Gebäudes war ein Etwas, das aussah, wie ein zu groß geratener Krebs, damit beschäftigt, die Fassade zu zertrümmern. Fast zwei Meter lang war das Tier, und es bewegte sich mit bemerkenswerter Geschwindigkeit.
Wieder klirrte es. Der Krebs hatte ein weiteres Stück aus der gläsernen Fassade gebrochen – mit so viel Schwung, dass er dem Glas in die Tiefe folgte.
Schreie wurden in der Menge laut, als das Tier auf dem Boden landete, dort kurz liegen blieb und sich dann wieder aufrichtete. Zum Entsetzen der Zuschauer bewegte sich das Tier auf die Daila zu; die kräftigen Scheren schlossen und öffneten sich wieder.
»Aber die Tiere waren doch tot!«, schrie Crahn, während er seine Waffe zog. Der Eurypterus kam langsam näher – eine riesengroße Garnele auf der Suche nach Beute.
Erste Laserschüsse trafen das lebende Fossil, richteten aber nichts aus – die Schale des Eurypterus war so hochglänzend, dass sie das gebündelte Licht einfach reflektierten.
»Sie sind aufgewacht«, schrie der Pförtner. »Alle!«
Dhota hielt den Atem an.
Er versuchte sich zu erinnern, was es in dem Museum zu bestaunen gab, und vor seinem geistigen Auge paradierte eine Sammlung fossiler Scheußlichkeiten vorbei – ungeschlachte Riesen mit Klauen, Zähnen und ungeheuren Muskeln, flinke Reptilien mit messerscharfen Zähnen, Flugechsen mit Spannweiten bis zu sieben Metern. Dem Zuschauergeschmack entsprechend waren selbstverständlich nur erlesene Geschöpfe in das Bestiarium aufgenommen worden.
Und jetzt ...
Dhota fand keine Zeit zum Nachdenken. Er sprang zur Seite, gerade rechtzeitig, um der Schere zu entgehen, die die Riesengarnele nach ihm ausgestreckt hatte. Statt dessen geriet der Mast eines Werbeplakats in die Schere, knirschte kurz und brach dann entzwei.
Zum Glück war der Eurypterus ein reichlich behäbiges Tier an Land. Es genügte, schnell genug auszuweichen, um ihm die Gefahr zu nehmen. So billig würden die Daila bei anderen Kreaturen aus dem Museum nicht davonkommen.
Das Museum wurde zusehends unansehnlicher. Die Szenerie änderte sich. Zuerst waren die Neugierigen aus Furcht vor Dhotas Beamten zurückgewichen, dann um dem Trümmerhagel zu entgehen, der an der Außenwand des Museums herunterpolterte. Jetzt aber suchten