Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2). Hans Kneifel
untergebracht, in dem alle Funde gestapelt worden waren, die man nicht hatte präsentieren können. Noch hielten die stählernen Türen dem Ansturm stand.
Dhota zögerte nicht länger – er drehte das Ventil der Flasche bis zum Anschlag auf.
Während er noch auf das Zischen hörte, mit dem das Gas ausströmte und sich verteilte, spürte er einen feinen Schmerz am Arm. Als er genau hinsah, entdeckte er einen Taubsurrer, der seinen spitzen Stachel in seine Haut gebohrt hatte. Dhota erschlug das Tier und ärgerte sich – der Stich würde ihm zu schaffen machen.
Die Wirkung des Gases ließ nicht lange auf sich warten. Dhota stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Die Tiere, die sich kriechend auf dem Boden fortbewegten, wurden als erste von dem Gas getroffen – sie blieben einfach liegen, zuckten noch einmal und streckten dann die Glieder.
Schicht für Schicht arbeitete sich das Gas in die Höhe. Die größeren Tiere brachen in die Knie und sanken dann besinnungslos zusammen. Das Lärmen der Taubsurrer wurde ein wenig leiser.
Dhota sah sich um. Von Crahn war keine Spur zu entdecken. Vielleicht war er nach unten vorgestoßen, um die Tiere in den Arsenalen zu betäuben.
Eine Flugechse torkelte schwingenschlagend durch den Raum, prallte gegen ein gepanzertes Krallenungeheuer und stürzte mit diesem auf den Boden. Beide Tiere erstarrten.
Minutenlang setzte sich dieser Prozess fort. Ein Tier nach dem anderen wurde betäubt und rührte sich nicht mehr.
Dann aber – von einem Augenblick auf den anderen – änderte sich das Bild.
Die Tiere starben ...
Aus weiten Augen starrte Dhota auf den Boden. Dort hatte gerade noch eine urweltliche Schlange gelegen – jetzt war dort nur noch ein faulender Kadaver zu sehen, der sich mit unglaublicher Geschwindigkeit zersetzte. Auch bei den anderen betäubten Tieren zeigte sich der Effekt.
Es war, als seien all diese Tiere über eine unsichtbare Leitung mit Lebensenergie versorgt worden, die nun gekappt worden war.
Im ersten Augenblick war Dhota erleichtert, dass diese Gefahr beseitigt war, aber dann kam ihm das Ungeheuerliche dieses Vorgangs zu Bewusstsein.
Irgend etwas stimmte nicht auf Rawanor. Eine Macht aus dem Unsichtbaren griff nach dem Planeten und seinen Bewohnern und schlug, wie es schien, sinn- und planlos zu.
Noch hielt sich der Schaden in Grenzen, auch wenn jetzt das gesamte Naturkundemuseum als Totalschaden abgebucht werden musste.
Aber das konnte sich jederzeit ändern.
Vor Dhotas Augen zerfielen die Körper der Fossilien. Zuerst verwesten sie mit unglaublicher Geschwindigkeit, danach zerfielen die Gerippe zu feinem Staub.
Es war ruhig geworden. Das Lärmen in der Tiefe hatte ebenfalls aufgehört. Dhota wandte sich zum Gehen.
Er spürte, wie die Müdigkeit zurückkehrte. Die Wirkung des Aufputschmittels ließ nach. Eine weitere Tablette hätte Dhota nicht überlebt. Er brauchte jetzt vor allem Schlaf.
Mit langsamen, schleppenden Bewegungen verließ er das Gebäude. Er erwartete Crahn zu finden, wurde aber enttäuscht. Die Straßen waren leer, wenn man von den Überresten der Tiere absah, die überall herumlagen.
Dhota zerrte die Atemmaske vom Kopf. Tief sog er die kühle Luft ein.
Über der Stadt hatten die Wolken sich zu einer undurchdringlichen schwarzen Masse zusammengeballt. Dhota sah eine Bewegung in der Luft, starrte schärfer hin ...
Es schneite ...
6.
Seealee erwachte davon, dass jemand sie an den Schultern rüttelte. Langsam schlug sie die Augen auf.
Sie wusste sofort, wo sie war. Sie hatte es bei einem Erwachen zwischendurch gemerkt. Dhota hatte es also geschafft und sie in ein Krankenhaus gebracht.
»Wach auf, Seealee«, rief eine drängende Stimme. Seealee wandte den Kopf.
Sie erkannte Kileen, eine Freundin von ihr und Dhota. Die junge Frau machte ein sehr besorgtes Gesicht.
Seealee zwinkerte.
»Was ist los?«, flüsterte sie.
»Ich soll dich zu Dhota bringen«, sagte Kileen. »Opallo hat das angeordnet.«
Opallo war Kileens Partner und einer von Dhotas engsten Mitarbeitern. Der Hinweis auf Dhota ließ Seealee sofort hellwach werden. Sie richtete sich auf.
»Ist Dhota etwas zugestoßen?«
Kileen machte eine besänftigende Geste.
»Er ist wohlauf, nur sehr müde, und deswegen schläft er jetzt sehr fest. Opallo möchte, dass du dabei bist, wenn er wieder aufwacht.«
Ein Lächeln flog über Kileens Gesicht.
»Wir wissen, dass Dhota nur halb soviel wert ist, wenn du nicht in seiner Nähe bist. Und wir brauchen ihn jetzt ganz dringend.«
»Ist der Vulkan immer noch aktiv?«, fragte Seealee.
»Vulkan? Ach so, nein, der interessiert uns nicht. Sieh selbst.«
Kileen ging zum Fenster hinüber und schob die Vorhänge zur Seite. Seealee richtete sich in ihrem Bett senkrecht auf.
»Schnee? Um diese Jahreszeit?«
»Wenn es nur ungewöhnlich wäre«, seufzte Kileen. »Aber es ist nicht nur Schnee – es ist ein Schneesturm, und er wird von Stunde zu Stunde schlimmer. Die Stadt ist vom Rest des Planeten abgeschnitten. Kein Gleiter kann mehr starten oder landen.«
Seealee begriff. Aus der Notlage, die zuerst Dhota und sie betroffen hatte, schien nun eine Katastrophe für die Hauptstadt geworden zu sein.
»Ich ziehe mich rasch an«, sagte sie und stand auf.
Sie brauchte nur zwei Minuten, in denen sie immer wieder zum Fenster hinübersah. Von der Außenwelt war kaum etwas zu erkennen. Fast waagerecht peitschte der Sturm den Schnee vor sich her. Seealee sah auf die Uhr – es war Mittagszeit, aber die Wolken ließen kein Sonnenlicht bis auf den Boden durchdringen.
In der Eingangshalle des Krankenhauses drängten sich Daila. Zufällige Besucher hatten sich dort versammelt, aber auch Patienten, die angesichts des Sturmes keinerlei Wert mehr auf eine Entlassung legten. Zusammen mit ihren Verwandten, die sie hatten abholen wollen, saßen sie in dem Krankenhaus fest.
Die Leiterin des Hospitals schob sich an Seealee heran.
»Wenn du Dhota siehst, sag ihm, dass wir zwei bis drei Tage unter diesen Bedingungen weitermachen können. Danach aber werden wir Hilfe brauchen.«
»Ich werde es ausrichten«, versprach Seealee sofort. Sie schloss ihren Thermoanzug. Kileen stand neben ihr und blickte mit zweifelnder Miene nach draußen.
»Wir werden zu Fuß gehen müssen«, sagte die Frau.
»Ich weiß«, gab Seealee zurück. »Worauf warten wir noch?«
Ihre Forschheit brach mit einem Schlag zusammen, als sie ins Freie traten. Der Wind packte zu und stieß Seealee vor sich her. Schon beim ersten Schritt geriet sie ins Straucheln und stürzte. Scharf wie Nadelstiche fühlte sich das Aufprallen der Schneeflocken auf ihrer Haut an. Der Wind warf ihr den Schnee ins Gesicht, die Feuchtigkeit sickerte sofort in den Nacken hinein.
Kileen streckte eine Hand aus und half Seealee wieder auf die Beine.
»Du bist noch zu schwach. Geh hinter mir!«
Kileen musste schreien, um sich gegen das Wüten des Schneesturms verständlich machen zu können. Seealee nickte. Sie hatte verstanden.
Langsam kämpften sich die beiden Frauen vorwärts. Der Wind heulte und orgelte durch die Straßen, über die lange Schneefahnen wehten. Was an den Fassaden nicht hinreichend befestigt war, wurde vom Sturm heruntergerissen und an Häuserwänden zerschmettert.