Atlan 74: Das Imperium der Gauner. Kurt Mahr

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Tulaire sie vor wenigen Augenblicken exerziert hatte. Satzstellung des Codes war dem »Kunden« überlassen und variierte notwendigerweise mit den Betätigungsbereichen der verschiedenen Büros. Die Hauptsache war, dass in Frage und Antwort, die Begriffe »altlemurisch«, »Zeut-3«, »Lemur-1« und »Zeut-0« erwähnt wurden.

      Viele Büros waren vierundzwanzig Stunden lang geöffnet – keine Seltenheit auf Satisfy, dem Planetoiden der Geschäftemacher. Andere setzten während der Nachtstunden einen Wachhund Melderobot ein, der ebenfalls auf die Codeworte reagierte.

      Marcor Tulaires Fahrt in die Unterwelt dauerte nur wenige Minuten. Als er aus dem Aufzug stieg, befand er sich in einem breiten, hell erleuchteten Gang, der fünf Meter weiter auf eine große Tür mündete. In der Nähe der Tür erfolgte nochmals eine Prüfung, die diesmal von Robotgeräten durchgeführt wurde, die in der Wand montiert waren. Ohne dass Tulaire etwas davon bemerkte, wurde sein IV-Emissionsmuster angemessen und mit Mustern der zum Zutritt befugten Personen verglichen. Erst dann öffnete sich die Tür vor ihm.

      Er betrat einen mächtigen Schaltraum, in dem vier Männer an positronischen Geräten arbeiteten. Sie kümmerten sich nicht um ihn. Er ließ sich an einem der Schalttische nieder und wählte auf der Tastleiste einen Anschlusscode, der ihn mit Tekeners Büro im oberirdisch angelegten Verwaltungsgebäude verbinden würde.

      Während er die Tasten eine nach der anderen drückte, begann er zu lächeln. Er hatte Tekener, den er als Freund betrachtete, seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Er war gespannt, was er für ein Gesicht machen würde, wenn er Marcor Tulaires Abbild erblickte.

      Es war 13:28 am 4. November 2841 allgemeiner Zeitrechnung.

      *

      Der Mann, mit dem Marcor Tulaire zu sprechen wünschte, befand sich um dieselbe Zeit in einem der unterirdischen Tresorräume der BAGAF, mit Kleidern angetan, die nicht ihm gehörten, und von einem energetischen Absorptionsfeld umgeben, das seine Bewegungsfreiheit auf einen acht Meter durchmessenden Kreis beschränkte.

      Es war finster ringsum, so wie es seit mehr als anderthalb Tagen finster gewesen war, und Ronald Tekener befand sich in der wenig beneidenswerten Lage, die Stunden zählen zu können, die bis zu seinem Ableben noch verstreichen würden.

      Am Abend des vorvergangenen Tages hatte er sich – unvorsichtigerweise, wie er mittlerweile selbst zugab – in die Privaträume des Akonen Phoras von Chatron begeben, um diesem bezüglich seines jüngsten Versuches, die Verwaltung von Satisfy um 2,3 Milliarden Solar zu erpressen, die Meinung zu sagen. Phoras jedoch war auf ihn vorbereitet gewesen. In einem Nebenraum war Tekener von einem Schockerschützen im wahrsten Sinne des Wortes umgelegt worden. Jedoch hatte er in dem Bruchteil einer Sekunde, der bis zum völligen Verlust des Bewusstseins verstrich, in demselben Raum einen Mann gesehen, der ihm selbst bis aufs Haar glich.

      Später, in der einsamen Finsternis seines Gefängnisses, hatte er sich Phoras' Absichten zusammengereimt. Das Double war vorbereitet worden, um seine Stelle zu übernehmen. Auf Satisfy galt er, der Mitarbeiter der UHB, als ein interstellarer Schieber und als ein überaus reicher Mann. Phoras und seinem Spießgesellen, dem Positronikexperten Minart Kadebku, der in früheren Jahren vorübergehend in den Diensten der UHB gestanden hatte, ging es ohne Zweifel um die riesigen Geldmittel der Hilfsinstitution, die sie an sich reißen wollten, indem sie der UHB einen ihrer eigenen Agenten in der Rolle Tekeners unterschoben.

      Seit dem Zeitpunkt, da er sein Bewusstsein wiedererlangt hatte, hatte Tekener die Hoffnung nicht verloren, dass Phoras von Chatrons Unternehmen in aller Schnelle Schiffbruch erleiden würde. Denn weder der Akone, noch sein Mitarbeiter Kadebku wusste etwas von der Doppelrolle, die Tekener als Mitbesitzer der UHB und Spezialist der USO spielte. Jedermann, der es unternahm, sich als Tekener auszugeben, ohne etwas von dessen Eigenschaft als USO-Mann zu wissen, konnte sich unmöglich länger als ein paar Stunden halten. Mittlerweile jedoch waren – nach Tekeners Schätzung – rund fünfundvierzig Stunden vergangen, ohne dass die Entlarvung der Gangster erfolgt war. Dabei wurde für Ronald Tekener die Lage mit jeder Minute kritischer.

      Er war Träger eines Zellaktivators. Als man ihn in bewusstlosem Zustand entkleidete, um mit seinen Kleidungsstücken das Double auszustaffieren, war der Aktivator, den er unter einer Verkleidung auf der Brust trug, anscheinend entdeckt worden. Man hatte ihm das Gerät abgenommen und es dem Double übergeben. Einige Stunden lang hatte Tekener in Todesangst geschwebt, denn nach seiner Meinung war ein Aktivatorträger, der auf sein Gerät mehr als sechs Stunden lang verzichten musste, rettungslos verloren. Nach Ablauf der sechs Stunden setzten rapide und irreparable Alterserscheinungen ein, die nach kürzester Zeit zum Tode des ehemaligen Aktivatorträgers führten.

      Einem Bericht, den er bislang für ein Gerücht gehalten hatte, wonach ein Aktivatorträger, der rund vierhundertfünfzig Jahre ununterbrochen im Besitz seines Geräts gewesen war, sprunghaft eine höhere Immunität gegen die Alterserscheinungen aufwies, hatte Tekener niemals so recht Beachtung und noch viel weniger Glauben geschenkt. Als jedoch sechs, sieben und mehr Stunden vergangen waren, ohne dass sich bei ihm auch nur die geringsten nachteiligen Effekte zeigten, war er aufmerksam geworden. Anscheinend gehörte er mit zu den Glücklichen, die das Schwellenalter überschritten hatten und daher in der Lage waren, längere Zeit auf ihren Aktivator zu verzichten. Der einzige bisher bekannte und exakt belegte Fall war der des Arkoniden Atlan, der zweiundsechzig Stunden lang ohne den Aktivator ausgekommen war. Tekener hatte keine andere Wahl, als diese Ziffer auch für die obere Grenze seiner Widerstandsfähigkeit zu halten. Rund drei Viertel dieser Zeitspanne waren verstrichen, und Ronald Tekener begann, sich um seine Zukunft ernsthaft Sorgen zu machen.

      Er glaubte nicht, dass Phoras und Kadebku es darauf angelegt hatten, ihn umkommen zu lassen. Dafür war er zu wichtig und in der Galaxis zu weit bekannt. Sein Tod hätte den beiden Gaunern Nachteile über Nachteile eingebracht.

      Was aber, wenn der Schwindel inzwischen entdeckt worden war? Vielleicht hatten die beiden Gangster das Zeitliche längst gesegnet, ohne Gelegenheit zu haben, die Lage des Verstecks zu verraten, in dem sich ihr Gefangener befand? Dieser Tresorraum mochte weit abseits aller übrigen Räume der BAGAF liegen, so dass ein Uneingeweihter ihn unmöglich finden konnte. Die Vorstellung, dass irgendwo auf Satisfy eine Riesensuchaktion ablief, ohne dass die Suchenden auch nur die geringste Aussicht hatten, das Objekt ihrer Suche zu finden, wurde für Ronald Tekener zu einem quälenden Albtraum, den abzuschütteln ihn um so schwerer fiel, je mehr Zeit verstrich.

      2.

      Um 12:40 an diesem Tage befand sich Matur Penetschky auf dem Wege zu einem am Rande der Kuppel eins gelegenen Bildsprechzentrum. Er hatte einen dringenden Anruf zu führen und befürchtete, dass das Gespräch dort, wo er seit seiner Entlassung aus dem Hospital scheinbar seinem Beruf nachging, abgehört werden könne.

      Matur Penetschky war der Mann, den Minart Kadebku und Phoras von Chatron dazu ausersehen hatten, die Rolle Ronald Tekeners zu spielen. Von Natur aus dem hochgewachsenen Terraner schon überaus ähnlich, hatte die Kunst einiger Ara-Spezialisten aus der Sekte der Ortanorer dafür gesorgt, dass Penetschky äußerlich nunmehr von Tekener überhaupt nicht mehr zu unterscheiden war.

      Penetschky hatte seine Rolle zunächst recht erfolgreich gespielt. Niemand, nicht einmal Tekeners engster Freund Kennon, hatte Verdacht geschöpft. Vor rund einer Stunde allerdings war die Bombe geplatzt. Ohne dass er sich darauf hatte vorbereiten können, war ihm die Wahrheit über Ronald Tekeners Hintergrund und eigentliche Aufgabe wie ein Kübel eiskalten Wassers über den Kopf gegossen worden. Die Aufklärung verdankte er keinem geringeren als dem Lordadmiral Atlan, der den vermeintlichen Tekener von Quinto-Center per Hyperfunk anrief, um ihn erstens wegen seines eigenmächtigen Verhaltens im Falle Phoras von Chatron zu tadeln und sich zweitens nach seinem Befinden zu erkundigen.

      Penetschky, der den Anruf in Tekeners Rolle empfing, war zunächst wie vom Donner gerührt. Er gab ein paar unzusammenhängende Antworten, an denen der Arkonide zu erkennen glaubte, dass sein Star-Spezialist noch weiterer Pflege bedurfte. Sobald die Verbindung jedoch unterbrochen war, hatte Penetschky sich auf den Weg gemacht, um seinen Auftraggeber von dem Ungeheuerlichen in Kenntnis zu setzen. Er hatte das Verwaltungsgebäude der UHB fast fluchtartig verlassen, weil er sich dort nicht mehr sicher fühlte.

      Unterwegs


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