Mythor 165: Verbotene Träume. Hans Kneifel
rauschte das Wasser des Flusses. Nachdem die Flutwelle mit vernichtender Gewalt vorbeigerast war, sank der Wasserspiegel wieder. Die Wellen schäumten nicht; die unsichtbare Kraft lähmte sogar die Bewegungen des Wassers.
Mythor holte tief Atem.
»Eine seltsame Welt, wahrlich«, sagte er unruhig und reinigte die Schneide des Schwertes. »Wir sind alle erschöpft.«
Muergan und Benador stellten sich zu Mikel, der sich aus dem Sattel beugte.
»Zur Schlucht. Dort finden wir Wasser und ein gutes Versteck. Los, auf die Tiere«, ordnete der Karawanenführer an. »Du hast gut gekämpft, Fremder.«
Mikel übersetzte auch die Antwort.
»Mir blieb kaum etwas anderes übrig. Wie lange brauchen wir bis zu deiner Schlucht? Ins Versteck?«
»Ein, zwei Stunden. Wenn die unsichtbare Kraft nachlässt, geht's schneller.«
»Worauf warten wir noch?«
Die Maggoth-Vagesen hockten in kleinen Gruppen im staubigen Gras. Sie redeten und tuschelten in höchster Erregung. Ihre blutigen Lanzen ragten wie die Stacheln eines phantastischen Tieres nach allen Richtungen in die dunkle Luft.
Treiber fütterten und tränkten die Wisons. Die Männer kletterten wieder hinauf in die breiten Sättel und zwischen die Lederplatten der Aufbauten. Schwerfällig, ohne auf die Fledermauswesen zu warten, setzte sich die dezimierte Karawane wieder in Bewegung. Nach etlichen Dutzend Schritten, zwischen den Stämmen abgestorbener Bäume hindurch, über einen knirschenden Teppich faulenden Laubes, hörte der lastende Druck auf jedem Muskel langsam auf.
Hinter dem letzten Wison stemmten sich die geflügelten Krieger schnatternd in die Höhe und folgten den Tieren in weiten, langsamen Sprüngen. Schließlich trabte der ausgeschickte Treiber heran und berichtete, dass er weder die Kadaver der Tiere noch die Leiche der Kameraden gefunden habe.
Mikel meinte verdrossen:
»Blinkmond sendet sein zitterndes, unregelmäßiges Licht auf uns. Das hat seine böse Bedeutung.«
»Wenn ich mehr über diese Welt wüsste ...«, begann Mythor und dachte an Coerl O'Marn. Würde er ihn finden, am Ende dieser bedenkenswerten Reise durch das Albtraumland?
Der Wald und die Schlucht wurden deutlicher, ihre Umrisse schärfer. Zwischen den Stämmen wehte den Wanderern eine kühle Brise entgegen. Von selbst wurden die Wisons schneller, und abermals ließ die drückende Kraft nach. Eine Stunde später ließ sich Benador aus dem Sattel gleiten, hob den Kommandostab und rief:
»Hier bleiben wir! Ein paar Stunden Ruhe und Schlaf tun uns gut!«
»Einverstanden«, gab Mikel zurück und packte den Knoten, mit dem ein aus Sehnen geflochtenes Seil an einer der Geweihzangen seines Reittiers mit einem metallenen Ring verbunden war. Geschickt schwang sich der kleine Pfader an dem Seil hinunter.
»Wir sind noch lange nicht in Sicherheit«, meinte er und beobachtete die Treiber. »Auch hier ... wir müssen Wachen aufstellen.«
»Ich übernehme die erste Wache«, versicherte Mythor.
Muergan und Benador und die beiden anderen Männer banden, nachdem sie die Tiere von den Sattelaufbauten befreit hatten, paarweise je eine der Geweihzangen mit den dicken Sehnenseilen zusammen. Eine Quelle rieselte über weißgewaschene Felsen herunter. Die ersten Maggoth-Vagesen kamen heran und tranken gierig das Wasser.
Mythor reinigte sich, ohne allzu viel von seiner Vermummung abzulegen. Er aß eine Kleinigkeit, kletterte neben der Quelle über die Felsen und setzte sich am Eingang, hoch über dem Einschnitt der Schlucht, unter einen Busch mit dunkelgrünen Blättern und purpurnen Blüten.
Grünmond, der Winzling, verschwand im Nebel des Horizonts.
Aber Blinkmond stand furchtbar groß, leuchtend und funkelnd, mit seiner abgehackten Lichtflut, über der Schlucht und den dösenden Tieren. Sein Leuchten brach sich auf den Körperpanzern und den Schwingen der Grünhäutigen.
Mythors Augen hefteten sich auf die Umgebung.
Aber seine Gedanken schwirrten fort, gingen zu Xatan und Fronja, zu Ilfa und zu seinen schwachen Versuchen, Inseln des Lichtes zu gründen.
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