Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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das er­lei­det kein Dorn­heim!« Dann leg­te er den dunklen Kopf der Toch­ter an sei­ne Brust und sag­te be­schwich­ti­gend, er wol­le ih­ren Mann zur Ver­nunft brin­gen, sie sol­le ihm ver­trau­en; so­lan­ge er lebe, sol­le sein Kind nicht wie ein Bau­ern­weib ge­schla­gen wer­den oder ins Elend wan­dern. Sie lä­chel­te un­ter Trä­nen zu ihm auf, und ihr Blick ver­weil­te zärt­lich auf der fes­ten, brei­ten Ge­stalt des Va­ters und auf sei­nem blü­hen­den, rot­brau­nen Ge­sicht, aus dem die Au­gen so herz­lich und si­cher her­aus­se­hen konn­ten.

      Die Un­ter­re­dung mit dem Schwie­ger­sohn, die den Kom­man­dan­ten nicht we­nig be­un­ru­hig­te, ver­lief be­que­mer, als er ge­dacht hat­te, und ziem­lich zu­frie­den­stel­lend; we­nigs­tens ver­sprach er, der vor Dorn­heim viel mehr Angst hat­te, als die­ser ahn­te, Bes­se­rung in je­der Hin­sicht, das schul­di­ge Ver­hält­nis mit der Ver­füh­re­rin, an der er kein gu­tes Haar ließ, ab­zu­bre­chen und sei­ne Frau mit ge­büh­ren­der Rück­sicht zu be­han­deln. Eine Ver­söh­nung wur­de zu­we­ge ge­bracht, bei der der Mann wein­te und schluchz­te und die jun­ge Frau blass und ver­schlos­sen drein­schau­te. In sei­ner Freu­de lud Dorn­heim den Schwie­ger­sohn und ei­ni­ge an­de­re Of­fi­zie­re auf den Abend zu ei­nem Ban­kett ein und trank mehr als ge­wöhn­lich, wäh­rend er sich sonst, na­ment­lich wäh­rend der Dienst­zeit, eher durch Mä­ßig­keit aus­zeich­ne­te. Doch war er be­son­nen ge­nug, um Mit­ter­nacht die Ta­fel auf­zu­he­ben; vor dem Zu­bett­ge­hen, sag­te er, wol­le er noch eine Run­de um den Wall ma­chen; er füh­le sich wach und nüch­tern, als sei er eben auf­ge­stan­den, setz­te er fröh­lich hin­zu, in­dem er sei­ne kräf­ti­ge Ge­stalt reck­te. Von ei­ni­gen Fa­ckel­trä­gern be­glei­tet, tra­ten sie den Rund­gang an, bei dem Dorn­heim ziem­lich fes­ten Fu­ßes vor­auf­ging, wäh­rend die an­de­ren, be­rauscht und schläf­rig, ihm nach­stol­per­ten. Sie wa­ren bei dem so­ge­nann­ten Ba­de­hau­se an­ge­kom­men, das ein Haupt­ziel der Be­la­ge­rer war, als Dorn­heim still­stand, weil er ein Geräusch ge­hört zu ha­ben glaub­te; es rühr­te von ei­nem Ar­ke­bu­sier bei den Mans­fel­di­schen her, der auf dem Bau­che bis an den Stadt­gra­ben ge­kro­chen war in der Hoff­nung, etwa Ge­le­gen­heit zu ei­ner küh­nen Tat zu fin­den. In dem Au­gen­blick, wo Dorn­heim, ei­nem der be­glei­ten­den Sol­da­ten die Fa­ckel aus der Hand neh­mend, sich zum Gra­ben hin­un­ter­beug­te, leg­te der ver­steck­te Schüt­ze an und traf den feind­li­chen Kom­man­dan­ten so gut ins Herz, dass er, nur noch einen ein­zi­gen Seuf­zer aus­sto­ßend, tot vorn­über in die Tie­fe stürz­te.

      Sein Schwie­ger­sohn wur­de sein Nach­fol­ger; al­lein un­ter sei­nem lau­ni­schen Re­gi­ment, denn er ließ be­que­mer Nach­sicht un­ver­mit­telt bös­ar­ti­ge Här­te fol­gen, wur­de die Manns­zucht der Be­sat­zung lo­cker, die Ein­woh­ner­schaft ih­rer über­drüs­sig, und die Ver­tei­di­gung fing an, dem Fein­de al­ler­lei Blö­ßen zu zei­gen. Da nun auch end­lich von Prag aus Mah­nun­gen an Mans­feld ka­men, er sol­le Ernst ge­brau­chen, schritt er zum Stur­me und konn­te in der Frü­he des 22. No­vem­ber als Sie­ger in die er­ober­te Stadt ein­zie­hen.

      Vor Pil­sen er­krank­te ei­ner der reichs­ten böh­mi­schen Stan­des­her­ren, Al­brecht Jo­hann Smir­sitz­ky, und starb in sei­nem Hau­se in Prag, wo­hin er sich hat­te brin­gen las­sen. Er war mit der Prin­zes­sin Ama­lie von Hanau, ei­ner En­ke­lin Wil­helms I. von Ora­ni­en, ver­lobt ge­we­sen, die den Bräu­ti­gam tief be­trau­er­te und ihr Bild an ei­ner Ket­te nach Prag schick­te, da­mit es zu ihm in den Sarg ge­legt wer­de. Der jun­ge Mann, der ein wil­des und lie­der­li­ches Le­ben ge­führt hat­te, war in ih­ren Au­gen ein Glau­bens­held, da er sich bei der De­fe­ne­stra­ti­on der ka­tho­li­schen Räte als ei­ner der Eif­rigs­ten mit ei­ge­ner Hand be­tei­ligt hat­te, und sie hielt sein An­den­ken hei­lig. Noch be­vor ein Jahr ver­flos­sen war, hei­ra­te­te sie den nun­mehr äl­tes­ten Sohn des Land­gra­fen von Hes­sen-Kas­sel, Wil­helm, dem sie zwar nicht an Bil­dung, aber an Ge­sund­heit und Tat­kraft über­le­gen war und der sich ihr mit gan­zem Her­zen hin­gab.

      Spät an ei­nem De­zem­be­r­abend des Jah­res 1618 in Straß­burg be­gab sich der Pro­fes­sor der Ge­schich­te Matt­hi­as Ber­neg­ger mit sei­nen Schü­lern zum Müns­ter, um den seit ei­ni­ger Zeit sicht­bar ge­wor­de­nen Ko­me­ten zu be­trach­ten. Ber­neg­ger hat­te der Re­li­gi­on we­gen sei­ne ober­ös­ter­rei­chi­sche Hei­mat ver­las­sen müs­sen und an der Straß­bur­ger Aka­de­mie eine An­stel­lung ge­fun­den. In sei­nem Hau­se, das ein fröh­li­cher Sinn und tä­ti­ger Geist be­leb­te, wohn­ten stets ei­ni­ge Stu­den­ten, die lie­be­voll und dank­bar an ihm hin­gen, nicht sel­ten aber auch ihn aus­nütz­ten und be­tro­gen. Dies pfleg­te sei­ner Lie­be kei­nen Ein­trag zu tun, wie er denn im­mer mit in­ni­gem An­teil von dem Schle­si­er er­zähl­te, der la­tei­ni­sche Ver­se aus dem Steg­reif mach­te, zur Man­do­li­ne sang und, wenn er ihm Geld ab­borg­te, ihn so un­schul­dig schel­misch an­sah, als ob er ihm im Voraus zu ver­ste­hen ge­ben woll­te, dass er es nie zu­rück­ge­ben wer­de. Eben­so von je­nem Bas­ler, der durch­aus nichts lern­te, sei es, dass er es nicht konn­te oder dass er kei­ne Lust dazu hat­te, aber sei­ner Frau in der Kü­che so an­stel­lig zur Hand ging, dass sie nicht mehr ohne ihn fer­tig wer­den konn­te, der frei­lich auch einen är­ger­li­chen Han­del mit ei­ner Dienst­magd an­stell­te, so­dass Ber­neg­ger um sei­net­wil­len bit­ten­der­wei­se bei den Rats­her­ren um­her­lau­fen und bei Freun­den eine An­lei­he ma­chen muss­te, um den Scha­den ei­ni­ger­ma­ßen zu de­cken. Noch mehr Not hat­te er mit dem von Küs­sow, ei­nem jun­gen Pom­mer, aus­zu­ste­hen, der sich be­trank und nie­mals be­zahl­te und, wenn Ber­neg­ger einen Zwei­fel aus­sprach, ob er auch zu dem Sei­ni­gen kom­men wür­de, stolz ent­rüs­tet sag­te, er sei von ur­al­tem deut­schem Adel, wol­le lie­ber das Le­ben ein­bü­ßen als die Ehre und for­de­re je­den vor sein Schwert, der ihm zu nahe trä­te. Er war faul und be­griff nichts, konn­te aber gut rech­nen und lös­te, wenn er nüch­tern war, die längs­ten und schwie­rigs­ten Auf­ga­ben so ge­schwin­de, als ob sie ihm je­mand ein­blie­se.

      Wäh­rend der klei­ne Trupp, von ei­nem La­ter­nen­trä­ger ge­führt, durch die ne­be­l­er­füll­ten Gas­sen schritt, er­zähl­te Ber­neg­ger von dem Ko­me­ten und sei­ner et­wai­gen Be­deu­tung. Vie­le glaub­ten, sag­te er, ein Ko­met zei­ge ins­be­son­de­re den Tod ho­her Her­ren an, und nach­dem kurz vor sei­nem Er­schei­nen der Erz­her­zog Ma­xi­mi­li­an, sech­zig­jäh­rig, ge­stor­ben sei, habe man ja nun auch den Tod der Kai­se­rin Anna er­fah­ren müs­sen, und von be­denk­li­cher Lei­bes­schwä­che des Kai­sers wer­de viel ge­fa­belt. An­de­re be­zö­gen die dro­hen­de Fa­ckel mehr auf Krieg und Pest, und auch das kön­ne ja nur all­zu leicht ein­tref­fen, da von ge­wis­ser Sei­te, näm­lich von den Je­sui­ten, un­ge­scheut zum all­ge­mei­nen Krie­ge auf­ge­ru­fen wer­de und der Krieg schon für sich eine Pest sei. Er wol­le ih­nen, sei­nen Schü­lern, aber nicht ver­hal­ten, dass ein­zel­ne, zum Bei­spiel der große Kep­ler, den er mit Stolz sei­nen Freund nen­ne, von sol­chen An­deu­tun­gen nicht viel hiel­ten, in­dem Kep­ler auf alle Er­schei­nun­gen der Welt die phy­si­ka­li­schen Ge­set­ze an­ge­wen­det wis­sen woll­te, wel­che wohl Got­tes Grö­ße im All­ge­mei­nen of­fen­bar­ten, nicht aber sei­nen Wil­len in Be­zug auf die mensch­li­chen Ge­schi­cke im ein­zel­nen. Er wies auf Kep­lers großes Werk von der Har­mo­nie der Welt hin, wo­nach die gan­ze Welt mit Ein­schluss der Erde in sich zu­sam­men­hän­ge und durch sich be­ste­he; frei­lich wä­ren dies al­les ge­fähr­li­che Wahr­hei­ten


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