Fettnäpfchenführer Indien. Karin Kaiser
ja noch die 2.000 Rupien, etwa 24 Euro, die ein Kollege ihr zugesteckt hat, Überbleibsel von seiner letzten Indienreise. Erst mal raus hier!
Schiebende, schubsende Menschen bugsieren sie auf den Vorplatz. Die Nachtluft, die ihr entgegenschlägt, ein feuchtheißes Tuch, nimmt ihr den Atem. Ihre Wolljacke, Rettung während des tiefgekühlten Flugs, umschließt sie wie ein Panzer. Und plötzlich hat sie das Gefühl, in einen Mahlstrom gerissen zu werden. Überfallartig umringen sie gestikulierende Männer, sie drängeln, überschreien sich: »Taxiiiii! Taxiiiii, Madam!«. Einer zerrt an ihrem Koffer, ein anderer versucht sie in die Gegenrichtung zu schieben, ein Dritter reißt an ihrer Jacke: »Come! Come!«
Dunkle Hände fuchteln vor ihrem Gesicht herum. Alma möchte laut schreien, aber unter dem Angriff versagt ihr die Stimme. Wie ein Schwimmer ans rettende Ufer wirft sie sich auf den Rücksitz eines Ambassador-Taxis, dessen kleiner, flinker Fahrer die Autotür aufgerissen hat, und hievt ihren Koffer neben sich. Entkommen!
What’s the problem?
»Alma, India nice and slow – das war wohl nix«, seufzt Friedrich.
Alma hat sich ihren Start durch ihre Ungeduld und Anspannung ganz schön erschwert. Verständlich, wenn man die Umstände betrachtet. Und schon ganz zu Beginn wird klar, was Indien für uns alle bereithält: eine Lektion in gelassenem Annehmen aller möglichen und unmöglichen Situationen. Wir lernen, dass wir Kräfte sparen, wenn wir langsam und weich reagieren und den indischen Schwingungen Zeit geben zu wirken. Hat sich die angespannte Situation am Kofferband nicht schließlich in Wohlgefallen aufgelöst? Glauben Sie mir, immer wieder wird es Alma so ergehen: Chaotische, nervenzerfetzende, scheinbar ausweglose Situationen lösen sich schließlich wie Zauberknoten, und alles fällt an seinen Platz – na ja, meistens.
Und doch, Alma hat sich an der Stelle, wo sie wirklich empfindlich ist, da, wo bei ihr alle Widerstände gegen autoritäre Behandlung losgetreten werden, bewundernswert beherrscht. Sie hat das Fettnäpfchen »Genervter Ausländer sagt mal ganz klar, was er von dem Betrieb hier hält« tapfer, wenn auch knapp, umschifft. Gut so!
Das Fettnäpfchen aber, in das Alma mitten hineingesprungen ist, ja, das ist schon ein richtig großes, weil regelrecht illegal: ihre unbedachte Mitnahme von Rupien. Es ist definitiv verboten, Rupien einzuführen. Selbst eine so kleine Summe wie 2.000 Rupien kann Ihnen vielfältigen Ärger bescheren, sollte diese bei einer stichpunktartigen Zoll-Überprüfung entdeckt werden.
No problem – relax!
Der Flughafen von Neu-Delhi, Indira Gandhi International Airport, ist Indiens größter Flughafen. Hier kommen die meisten Indien-Reisenden an. Flüge von Europa nach Indien landen regulär zwischen null und vier Uhr morgens. Weitere wichtige internationale Flughäfen sind: Mumbai (Bombay) – Sahar International Airport, Chennai (Madras) – Chennai Madras Meenabakkam International Airport und Kolkata (Kalkutta) – Netaji Subhas Chandra Bose Airport.
Wechseln Sie gleich nach der Ankunft am Flughafen eine größere Summe Bargeld. Die Wechselschalter befinden sich innerhalb der Ankunftshalle, außerhalb dieses Bereichs gibt es keine Möglichkeit mehr, Geld zu tauschen. Lassen Sie sich eine Quittung ausstellen, um sich nicht dem Verdacht der unerlaubten Einfuhr von Rupien auszusetzen. Übrigens, anders als in vielen anderen Ländern erhält man in Indien am Flughafen oft den besten Kurs.
UMGANG MIT GELD
Die Währung in Indien ist die Indische Rupie (INR):
1 Euro = 85 INR
1.000 INR = 11,80 Euro
(Stand: September 2018)
Beim Geldwechseln sollten Sie auf möglichst kleine Werte bestehen. Kleingeld ist immer Mangelware in Indien, und die einzelnen täglichen Ausgaben belaufen sich meist insgesamt auf Beträge unter 200 Rupien. Alle Vorgänge wie Rikschafahrt bezahlen, Obst kaufen, Chai trinken, Trinkgeld geben verkomplizieren sich mit großen Scheinen. Ob Sie Bargeld, Reiseschecks, EC- oder Kreditkarte als Zahlungsmittel einsetzen, ist eine Entscheidung der persönlichen Vorliebe. Getauscht wird an Flughäfen, in Banken, Hotels oder Reisebüros. Der Kurs für Reiseschecks ist meistens etwas besser als der für Bargeld. Mit einer EC-Karte ist es möglich, an den in Städten inzwischen zahlreichen ATM-Geldautomaten Geld zu ziehen.
Einige Banken in Deutschland bieten in Kooperation mit bestimmten ausländischen Banken die Abhebung per EC-Karte im Ausland kostenfrei an. Am besten, Sie informieren sich hierzu vor Abflug bei Ihrem Bankinstitut.
Nehmen Sie keine beschädigten Geldscheine an! Sie werden sie nicht mehr los. Der Umtausch solcher Scheine, der bei einer Bank möglich ist, gestaltet sich meist so zeitaufwendig und umständlich, dass er sich in der Regel nicht lohnt.
Bevor Sie den Einreiseschalter verlassen, überprüfen Sie, ob Ihr Pass ordnungsgemäß abgestempelt wurde, um Komplikationen beim Rückflug zu vermeiden. Überprüfen Sie außerdem Ihr Gepäck vor Verlassen des Flughafens auf eventuelle Beschädigungen. Sollte das der Fall sein, reklamieren Sie diesen Umstand sofort bei der zuständigen Fluggesellschaft.
Für den Zoll können Sie die internationalen Flughäfen durch zwei Ausgänge verlassen: durch einen roten und einen grünen. Rot, wenn Sie zu verzollende Ware anzugeben haben, grün, wenn Sie nichts zu verzollen haben. Sollten Sie beim Verlassen über den grünen Weg dazu aufgefordert werden, etwas, das Sie zum persönlichen Gebrauch mitgebracht haben, zu verzollen, veranlassen Sie, dass ein Eintrag in Ihren Pass gemacht wird, der Sie dazu verpflichtet, den Gegenstand beim Rückflug wieder auszuführen, um keinen Einfuhrzoll bezahlen zu müssen.
Und was das Einreiseformular betrifft, das die Stewardessen kurz vor der Landung verteilen: Besser, Sie halten es sorgfältig ausgefüllt bereit. Vielleicht fehlt Ihnen sonst nach all dem Warteschlangen-stress einfach die Kraft, lächelnd in die neue Daseinsform einzutauchen, die Indien für uns Weißnasen darstellt – und das wäre doch schade.
2
SCHLEPPER? NO PROBLEM!
KIDNAPPING À LA HINDUSTANI
Endlich raus aus diesem Flughafen-Wahnsinn! Alma atmet tief durch. Das Taxi startet, rollt wie ein kleiner Panzer los, teilt die Menschenmenge, die draußen knäult. Alma schüttelt ihren Rucksack von den Schultern und knöpft die Jacke auf.
»Pahar Ganj!«, versucht sie die wummernde Musik aus den Lautsprechern zu übertönen. Von dort will sie weiterreisen.
Pahar Ganj, auch Main Bazar genannt, befindet sich an der Nahtstelle von Alt- und Neu-Delhi am Hauptbahnhof Neu-Delhi. Der Bereich, außerhalb der (ehemals) ummauerten Altstadt mit der großen Freitagsmoschee und dem Roten Fort gelegen, erfuhr nach der Teilung Indiens durch den Zustrom der Hindu-Flüchtlinge aus Pakistan einen enormen Aufschwung. Dort, in zentraler Lage, gibt es heute ein großes Angebot an günstigen Hotels, Restaurants und dhabas (Einfachst-Restaurants bzw. Garküchen an der Straße), außerdem eine Vielzahl von Läden für Einheimische und Touristen.
Die Musik rast, die Trommeln dröhnen, die Sänger jodeln. Ein Schrein mit einer tanzenden Gottheit auf der Ablage über dem Armaturenbrett und die Lichterkette rund um die Windschutzscheibe senden soundsynchrone Blinkzeichen, erleuchten das Wageninnere wie ein Lichtgewitter. Vom Fahrer keine Reaktion.
Alma beugt sich nach vorne und brüllt: »Pahar Ganj!«
Wieder nichts.
Ist er taub? Alma rüttelt an seiner Schulter.
Ruckartig dreht er sich zu ihr um, die Augen schreckgeweitet: »Ohhh Madam ... ohhh ... biiiiiig accident! Terrrrrrible! Bombing! Pahar Ganj not possible ... no! Burned down ... police closed all ... not possible!«
»Was?« Alma, völlig perplex, sinkt auf den Sitz zurück.
»No