Fettnäpfchenführer Indien. Karin Kaiser
WARTE, BIS ES DUNKEL WIRD!
Allein beim Gedanken daran, den grimmigen Manager zu wecken, wehrt sich alles in Alma, doch das Gefühl, in Hitze und Gestank zu ersticken, gibt den Ausschlag. Sie mobilisiert ihre letzten Kräfte: Unbedingt wird sie den Typen zwingen, ihr ein anderes Zimmer zu geben, wird ihm die Meinung sagen über diese miese Absteige!
Eher verzweifelt als entschieden geht sie zur Tür, kämpft fluchend mit dem Riegel, der wie festgeschweißt in der Halterung steckt. Ist hier eigentlich alles gegen sie? Als sie endlich die Tür geöffnet hat, liegt der Flur im Dunkeln. Nur der Treppenabsatz, vom Licht aus ihrem Zimmer diffus beleuchtet, ist zu erkennen. Sie zögert, mit klopfendem Herzen steht sie da. Für einen Moment ist sie nahe daran, zurück ins Zimmer zu flüchten. Dann ballt sie die Fäuste: auf keinen Fall! Der Gedanke daran, wie übel sie für diese Bruchbude abgezockt wurde, und die Abscheu vor dem stinkenden Zimmer treiben sie vorwärts. Gerade als sie entschlossen einen Schritt auf die Treppe zugeht, erlischt mit einem letzten Zucken die Neonröhre hinter ihr. Rabenschwarze Finsternis überfällt sie. Sie steht erstarrt, wagt sich nicht zu rühren. Zaghaft schickt sie ein »Hello?« in die Schwärze. Als nichts geschieht, lauter: »Hey, ist da keiner?«
Als wieder keine Antwort erfolgt, stampft Alma wütend auf, dreht sich um und stolpert blind ins Zimmer zurück. Au! Sie hat den Türrahmen gerammt, stößt sich ihre Zehen schmerzhaft am Koffer und strauchelt. Mit rudernden Armen versucht sie Halt zu finden. Endlich spürt sie die rissige Oberfläche der Wand unter ihren Fingern und tastet sich Schritt für Schritt vorwärts, bis sie das Fenstergitter fühlen kann. Tatsächlich, auch draußen ist alles stockdunkel. Heiße Panik packt sie an der Kehle. Terrorattacke?, zuckt eine Schreckensvorstellung durch ihren Kopf. Sie klammert sich ans Fenstergitter und kämpft mit den Tränen. Obwohl draußen alles ruhig bleibt, spürt Alma ihr Herz bis in den Hals schlagen, und ein heftiger Wunsch überfällt sie: Friedrich anrufen! Sie gleitet an der Wand hinab auf die Knie, rutscht hinüber zum Bett. Hektisch tastet sie den Boden ab.
»Wo, wo, wo ist bloß meine Tasche?« Sie stöhnt. Auf der Matratze, die sich klebrig anfühlt, erwischt sie den Riemen und zieht die Tasche zu sich heran.
Das Handydisplay leuchtet auf und spendet tröstliches Licht. 9:30 Uhr in Berlin, verzeichnet es – ideal für einen Anruf. Alma atmet erleichtert auf. Pfeif auf die Roamingkosten! Morgen wird sie sich sofort eine indische SIM-Card besorgen. Und, pah, das Toilet-tenproblem kann auch bis morgen warten, entscheidet sie mit neu gewonnenem Mut. Viel ist von der Nacht sowieso nicht mehr übrig, das schafft sie auch noch. No problem! Sie tippt die vertraute Nummer ein. In null Komma nichts steht die Verbindung nach Berlin – Friedrichs Stimme: »Hey, Zausel«, und schon heult Alma los.
INDIENZEIT
Der Zeitunterschied zwischen Indien und Deutschland beträgt 4 ½ Stunden (Bsp. 15 Uhr in Deutschland – 19.30 Uhr in Indien), in unserer Sommerzeit eine Stunde weniger. In Indien selbst gilt nur eine Zeitzone: die Indian Standard Time (IST). Die Zeit zwischen Sonnenaufgang (etwa um sechs Uhr) und -untergang beträgt ganzjährig ungefähr zwölf Stunden (plus/minus einer halben Stunde). Ist die Dämmerung durch die Äquatornähe auch kürzer als bei uns, so wird es jedoch niemals schlagartig dunkel.
What’s the problem?
»Was für ein Pech, Alma! In dem ganzen Schlamassel auch noch Stromausfall.«
Leider, lieber Leser, kann Ihnen das selbst auch immer und überall passieren, denn in allen Städten Indiens wird die Stromversorgung – und häufig auch die Wasserversorgung – oft mehrfach am Tag unterbrochen. Auf dem Land gibt es nur für die Hälfte aller Haushalte Strom, und das meistens auch nur für wenige Stunden am Tag, und das Wasser muss über Gemeinschaftsbrunnen in die Haushalte befördert werden. Reisen in Indien heißt also, dass Sie auf diverse Alltagskatastrophen vorbereitet sein sollten, unter denen Stromausfall und Wasserstopp sozusagen der Normalfall sind.
STROMAUSFALL
Für den täglich mehrfachen Stromausfall überall in Indien gibt es zwei Ursachen. Zum einen wird in regulären, also vorhersehbaren Überlastungszeiten im Netz ein sogenannter Lastabwurf vorgenommen, um einen Zusammenbruch des gesamten Netzes zu verhindern. Dabei wird die Stromleistung in bestimmten Gebieten kontrolliert heruntergefahren (abgeschnitten – power cut), um die Sicherung von Versorgungsbereichen mit vordringlichem Bedarf gewährleisten zu können. Da sich Indien in puncto Stromversorgung im Gegensatz zu vielen europäischen Staaten in keinem Verbundnetz befindet, können bei Problemen im eigenen Netz keine Leistungen von benachbarten Netzen angefordert werden.
Zum anderen ist Stromdiebstahl, der in Indien epidemieartigen Charakter hat, für Stromausfälle verantwortlich. Offizielle Statistiken belegen, dass über 40 Prozent der nach Delhi gelieferten Elektrizität durch angeblichen transmission loss (Übertragungsverlust) verlorengeht – tatsächlich wird sie geklaut. Mit Hilfe von Hakenkrallen über Stromleitungen und manipulierten Zählern in Haushalten geht der Klau vonstatten. Verursacht werden die hohen Verluste jedoch vor allen Dingen durch Diebstahl in großem Stil, durch Industrieunternehmen, die damit ihre Produktionskosten niedrig halten.
Polizei und Wachdienste haben es bisher nicht geschafft, die Situation in den Griff zu bekommen. So sehen die Betreibergesellschaften der indischen Kraftwerke nur eine Möglichkeit, die Verluste auszugleichen, nämlich indem sie mit regelmäßigen Unterbrechungen Einsparungen vornehmen. Die Unterbrechungszeiten werden auf den Websites der Kommunen und in den Tageszeitungen angekündigt, sodass sich die Bürger darauf einstellen können.
Zusätzlich kommt es aber immer und überall wegen unvorhergesehener Störungen im Netz zu spontanen Stromausfällen, z. B. nach heftigen Regengüssen im Monsun oder bei Ausfällen im Bereich der technischen Anlagen. Jeder, der sich die Ausgabe leisten kann, hat deshalb einen Dieselgenerator im Haus.
Stromausfälle sollen, zusammen mit der schlechten Infrastruktur, das Haupthindernis für Geschäftspartnerschaften mit dem Westen darstellen.
WASSERSTOPP
Indiens Metropolen leiden zunehmend an Wasserknappheit. Das rasante Wachstum der Städte hat zur Folge, dass natürliche Gewässer zugeschüttet und zu Baugrund umfunktioniert werden und der Grundwasserspiegel ständig sinkt. Zudem gehen riesige Mengen Wasser durch marode Leitungen verloren, werden mit Hilfe von illegalen Abzweigungen geklaut oder verschwinden in privat gebohrten Brunnen der Reichen. Durch die von power cuts lahmgelegten Pumpen, Druckverlust in den Leitungen oder den extrem abgesunkenen Grundwasserspiegel in der heißen Zeit bricht regelmäßig die Versorgung durch die städtischen Wasserwerke zusammen und Millionen von Haushalten sind ohne Wasser.
No problem – relax!
Wenn auch bessere Hotels, Restaurants und die gediegeneren Internetcafés mit Generatoren ausgerüstet sind, kann es doch immer wieder Situationen geben, in denen Sie den Stromunterbrechungen hilflos ausgesetzt sind. Um alles möglichst entspannt zu überstehen, gibt es vorab ein paar Dinge zu bedenken: Es empfiehlt sich, immer eine kleine Taschenlampe, am besten eine Stirnlampe, mit der Sie in der Dunkelheit die Hände frei haben, mitzuführen. Handys haben oft eine integrierte Taschenlampe, und selbst das aufleuchtende Display ist eine erste Hilfe. Kaufen Sie vor Ort Kerzen, um für längere Dunkelzeiten gewappnet zu sein. Vorsicht sollten Sie bei Laptops und anderen empfindlichen elektronischen Geräten walten lassen und sie nie direkt am Netz in Betrieb nehmen. Bei Stromausfällen können Spannungsspitzen auftreten, mit Folgeschäden. Sie können Geräte auch mit sogenannten spike busters oder surge protectors, die Sie in indischen Elektroläden für umgerechnet etwa fünf Euro erstehen können, absichern. Probleme mit Steckern sind selten, da Sie in Hotels meist universale Steckdosen vorfinden, in die auch europäische Stecker passen, sodass die Anschaffung eines Adapters überflüssig ist.
Um sich bei Stromausfällen in Internetcafés, die nicht mit Notgeneratoren ausgerüstet sind, vor dem Verlust bereits angefangener E-Mails zu schützen, sollten Sie Texte nie