Fettnäpfchenführer Großbritannien. Michael Pohl

Fettnäpfchenführer Großbritannien - Michael Pohl


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pirscht er sich vorwärts, immer wieder umschauend, ob er nicht etwa doch den falschen Weg genommen hat. Es dauert einige Minuten, bis er sich vor den Bahnsteigen der Central Line wiederfindet – und zwar in einer Station, die da nicht mehr »Monument« heißt, sondern »Bank«. Peter leuchtet langsam ein: Der Weg hat sich so in die Länge gezogen, weil er offenbar unterirdisch die Station gewechselt hat.

       U-BAHN-STATION BANK

      Die beiden U-Bahn-Stationen Bank (benannt nach der Bank von England, die sich darüber befindet) und Monument (benannt nach einem Denkmal für das große Feuer von London im Jahr 1666) liegen dicht zusammen und sind miteinander verbunden. Sie gelten offiziell als eine Station mit zwei Namen. Hintergrund ist die Tatsache, dass die einzelnen Strecken in den frühen Jahren der U-Bahn von unterschiedlichen Gesellschaften betrieben wurden, jede mit einer eigenen Schalterhalle.

      Die Fahrt mit der Central Line dauert länger als die erste – doch sie ist nicht weniger ruppig: Noch im Geschwindigkeitsrausch bahnt sich Peter in der Station Holborn den Weg Richtung »Way Out«. Gang entlang, Rolltreppe hoch, Gang links, Gang rechts – er ist langsam der Ansicht, zusätzlich zum Liniennetzplan sollten die U-Bahn-Betreiber einen Plan für die Labyrinthe ihrer Stationen aushängen. Peter kann es kaum erwarten, wieder Tageslicht zu sehen. Doch etwas trennt ihn noch davon: Oben angekommen steht er erneut vor einer Absperrung wie zu Beginn seiner Reise in der Station Tower Hill. Offenbar benötigt er sein Ticket, um wieder herauszukommen. Clever gemacht, denkt sich Peter. Noch cleverer wäre es gewesen, sich zu merken, wo er seinen Fahrschein aufbewahrt hat. Peter wird nervös. Mit beiden Händen durchsucht er seine Taschen – Fehlanzeige. Außer ein wenig Kleingeld und seinem Mobiltelefon findet er nichts. Und im Rucksack? Nein, den hatte er auf dem gesamten Weg nicht abgenommen. Peter ist der Verzweiflung nah: Sein Urlaub dauert zwar noch eine ganze Weile, doch wollte er ihn eigentlich nicht im Londoner U-Bahn-Netz verbringen. Demütig macht er sich auf zum Stationsvorsteher, um sich als unwissender Tourist auszugeben ...

       Was hat Peter falsch gemacht?

      Er hat eines der schwarzfahrerunfreundlichsten U-Bahn-Systeme der Welt genutzt: Wer Zugang zum Londoner U-Bahn-Netz bekommen möchte, muss ihn sich mit einer Fahrkarte oder einer wiederaufladbaren Bezahlkarte (Oyster Card) verschaffen. Diese ist auch notwendig, um das U-Bahn-Netz wieder verlassen zu können. Das hat mehrere praktische Nutzen: Zum einen sind in den Zügen keine Kontrolleure notwendig. Zum anderen lässt sich am Ende einer jeden Reise feststellen, ob der Fahrgast für ausreichend viele Tarifzonen bezahlt hat: Das System erkennt, wo er eingestiegen ist und kann so die Summe der durchfahrenen Zonen errechnen.

       Geschichte

      London Underground ist die älteste U-Bahn der Welt. Sie verfügt mit 402 Kilometern Gleisen über das drittlängste U-Bahn-Streckennetz der Welt (nach Shanghai und Peking), insgesamt 270 Stationen werden derzeit angefahren. Auch der international gebräuchliche Kurzname Metro für U-Bahnen hat seinen Ursprung in London: Die erste Linie der Stadt war die Metropolitan Line (kurz Metro), die von 1863 an die Kopfbahnhöfe Paddington, Euston, St. Pancras und King’s Cross miteinander verband und zunächst an der Station Farringdon endete. Anfangs wurde sie noch mit Dampflokomotiven betrieben – das war möglich, da die heutigen Tunnel damals noch in weiten Abschnitten nach oben hin offen waren. Erst ein Teilabschnitt der heutigen Northern Line brachte 1890 die Elektrifizierung unter die Erde. 1900 kam es mit Eröffnung der Central Line erstmals zum bis heute etablierten Spitzennamen Tube: Die Züge dieser Linie waren die ersten, die durch röhrenförmige Tunnel fuhren (engl. tube).

      Heute befördert die Londoner U-Bahn täglich bis zu 4,8 Millionen Fahrgäste. Sie wird in Teilen als sogenannte Overground (Hochbahn) weiter ausgebaut. Zudem gibt es in südlichen Vororten von London mit der Tram inzwischen auch ein Straßenbahnnetz.

      London Underground gilt als eines der effizientesten Nahverkehrssysteme der Welt. Auf den stark frequentierten Linien fahren die Züge oftmals im Drei-Minuten-Takt, sodass man selten lange auf den nächsten warten muss. Dennoch hat das Netz einige gravierende Mankos: Die Stationen sind größtenteils nicht barrierefrei, ältere Menschen sowie solche mit Gehbehinderungen können die U-Bahn oftmals nur mit Mühe nutzen. Außerdem sind Stationen im Innenstadtkern teilweise sehr weitläufig, sodass zwischen Eingang und Bahnsteig noch weite Wege zurückzulegen sind. Nachts sind die Stationen geschlossen – die letzten Bahnen fahren meist zwischen 0 und 1 Uhr. Und schließlich gibt es angesichts des in Teilen deutlich über 100 Jahre alten Schienennetzes oftmals Beeinträchtigungen durch Arbeiten an Gleisen und Stationen. Vor allem an Wochenenden muss mit Streckenstilllegungen gerechnet werden – Einzelheiten dazu werden über Plakate in den Schalterhallen bekannt gegeben sowie per Durchsage in den Bahnen und außerdem auf der Homepage von Transport for London (www.tfl.gov.uk).

       Unikate

      Wohl kaum ein Nahverkehrszeichen ist weltweit so berühmt wie das der Londoner U-Bahn: Der rote Ring mit einem blauen Balken ist seit 1908 Erkennungszeichen der Tube. Er wird nicht nur als Logo für das U-Bahn-Netz selbst genutzt, sondern in jeder Station mit dem jeweiligen Namen des Haltepunktes versehen. Zudem nutzt ihn die Londoner Nahverkehrsgesellschaft in unterschiedlichen Farben inzwischen auch für andere Verkehrsmittel wie Busse, Hochbahnen oder Schiffe. Entworfen wurde das Logo von Harold Stabler. Der Typograph Edward Johnston entwickelte 1916 die passende Schrift: Johnston Sans ist noch heute fester Bestandteil des Corporate Designs von Transport for London.

      Ebenfalls legendär ist die Durchsage »Mind the Gap« (Beachten Sie die Lücke) in den Stationen von London Underground. Sie soll vor einem Spalt zwischen Bahn und Bahnsteig warnen. Ursprünglich wurde sie für die Station Embankment geschaffen, weil der Bahnsteig dort kurvenförmig angelegt ist und sich somit sehr breite Lücken ergeben.

      7

       PETER TRINKT EIN PINT

      Die wahren Probleme des Lebens begegnen einem meist in der Freizeit. Peter steht am Tresen im George, einem rustikal eingerichteten Pub in Londons Great Portland Street. Und damit auch vor einer der größten Herausforderungen seines Lebens – zumindest beim Blick auf das Bierglas, das der Barkeeper gerade vor ihm auf die Theke gestellt hat. Wie, bitteschön, soll er ein Glas, das bis zum Rand vollgeschenkt ist, gut zehn Meter durch die Kneipe bis zu seinem Platz tragen, ohne etwas zu verschütten? Und wieso hat der junge Barkeeper gerade beim Einschenken auch noch den letzten Rest des Schaums abgegossen, um diesen durch noch mehr Flüssigkeit zu ersetzen? Ein Test? Als Kind machte er so etwas auch, um andere zu ärgern, erinnert sich Peter. Seinem Schulfreund Matthias schenkte er das Colaglas immer randvoll, damit sich dieser erst einmal über den Tisch beugen musste, um mit spitzem Mund etwas abzutrinken. Peter grinste dann wie ein kleiner gelber Smiley und freute sich diebisch.

      Peter schaut sich um: Niemand grinst. Es schaut nicht mal irgendjemand in seine Richtung. Die beiden älteren Herren in ihren dunklen Anzügen am Ende der Theke unterhalten sich angeregt über das Fußballspiel vom Vorabend. Manchester United gegen Liverpool FC – eine Spitzenpartie der ewigen Rivalen. Das ganze Land schien es vor den Fernsehgeräten verfolgt zu haben. Der junge Mann links neben den beiden Geschäftsleuten ist in die Sun vertieft – vermutlich in den Sportteil. Etwas anderes solle man in diesem Boulevardblatt gar nicht erst lesen, wurde Peter daheim in Deutschland gewarnt. Und der Barkeeper? Der sammelt inzwischen draußen die leeren Gläser ein, die eine Gruppe junger Leute auf den Fenstersims gestellt hatte. Seit der Einführung des Rauchverbots in öffentlichen Gebäuden und am Arbeitsplatz 2007 erlebt die Außengastronomie in England geradezu eine Renaissance. Auch wenn sie meist lediglich daraus besteht, dass die Gäste mit ihrem Getränk vor der Tür stehen, um zu rauchen.

      Ein Test also? Nein, kein Test, schlussfolgert Peter. Also beugt er sich langsam vor, noch zwei letzte Blicke nach links und rechts vorausgeschickt. Sein Mund nähert sich vorsichtig dem Glas mit dem goldgelben Getränk. Peter hatte einfach ein »Beer«


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