Fettnäpfchenführer Japan. Kerstin und Andreas Fels
den Drehpunkt bildet die Hüfte.
Nun nehmen Sie die Karte und betrachten diese interessiert – selbst wenn es sich um eine japanische Karte handelt und Sie kein Wort lesen können. Halten Sie die Karte mit beiden Händen und versuchen Sie möglichst respektvoll auszusehen. Am besten äußern Sie sogar ein paar anerkennende Worte zum Wohn- oder Firmensitz Ihres Gegenübers.
Wenn es sich um ein Meeting handelt, können Sie die Karten der Sitzordnung nach auf dem Tisch verteilen, um einen Überblick zu behalten. Aufgrund der Vielzahl der Karten, die Sie in Japan bekommen werden, kann es Sinn machen, sich einige Notizen dazu zu machen. Aber beschriften Sie niemals eine Karte in Anwesenheit Ihrer Geschäftspartner!
Nach der ausgiebigen Betrachtung der Karte Ihres Gegenübers, verstauen Sie diese sorgfältig in Ihrem Etui. Geschafft!
Spezial-Tipp
Ohne Visitenkarte sind Sie in Japan ein Niemand. Aber es geht auch ganz anders. Die Mitsubishi-Feingoldkarte ist der Ferrari unter den Visitenkarten und lädt zum Auftrumpfen ein. Dabei wird die persönliche Visitenkarte auf Recyclingpapier gedruckt und mit einem Gramm Feingold überzogen. Macht Eindruck, kann aber auch nach hinten losgehen. Ferrarifahrer wirken schließlich auch nicht zwingend sympathisch.
5
HERR HOFFMANN SCHENKT SICH NACH
TRINKEN STEHT ÜBER DEM MILITÄR
Einen leichten Brechreiz bekämpfend sieht Herr Hoffmann zu, wie Herr Morita dem kleinen, gekochten Fisch zuerst den Kopf abbeißt und ihn dann ganz in seinem Mund verschwinden lässt. Samt Gräten, Flossen, Haut ... Herr Hoffmann schaudert. Da nimmt er sich doch lieber eines dieser Fleischbällchen ... Fleischbällchen? Lange kaut er auf dem zähen Kloß herum, der nun eigentlich doch eher nach Fisch als nach Fleisch schmeckt. Und was sind das für längliche, gummiartige Stücke? »Oktopus«, nickt ihm Herr Hashimoto strahlend zu und erhebt seinen Sake-Becher. »Kanpai!«
Erleichtert prostet Herr Hoffmann ihm zu und spült die letzten Tentakelreste aus seinem Mund.
Als Herr Hashimoto nach der heutigen Vortragsreihe vorgeschlagen hatte, noch gemeinsam etwas trinken zu gehen, war Herr Hoffmann davon ausgegangen, dass sie vielleicht noch für eine Stunde zusammensitzen würden, aber nun ist es schon halb eins. Zuerst waren sie in einer recht teuren Shot-Bar, danach sind sie dann in dieser Kneipe mit der roten Papierlaterne am Eingang, einem izakaya, gelandet, das gerade mal so groß ist wie ein Wohnzimmer.
Herr Hashimoto spricht denn auch die Frau hinter der Theke vertrauensvoll mit Mama-san an. Erst wurden sie alle der Reihe nach Mama-san vorgestellt, wobei Mama-san anscheinend eine lustige Bemerkung zu Herrn Hoffmanns Körpergröße machte, der die anderen Anwesenden tatsächlich um mindestens einen halben Kopf überragt. Jedenfalls hatten sie alle gelacht und Herrn Hoffmann auf die Schulter geklopft. Kurz darauf hat sich Herr Hashimoto längere Zeit mit dem Ernst einer militärischen Strategiebesprechung mit Mama-san beraten und dabei für alle bestellt. Das deprimierende Ergebnis sind die Teller, die nun vor ihnen stehen. Die Gruppenbestellung ist übrigens keine unhöfliche Art von Herrn Hashimoto, sich in den Vordergrund zu drängen oder die Rechnung möglichst niedrig zu halten. Im Gegenteil – indem er für alle bestellt, wird niemand in die peinliche Position gebracht, seine Lieblingsspeise aussuchen zu müssen. Denn was, wenn die den anderen nicht schmeckt? Herr Hashimoto hatte also nur die Harmonie im Sinn, als er für alle dasselbe Getränk (Sake) und eine übliche Auswahl an Häppchen ordert, die unter den Anwesenden geteilt werden.
Zum Glück kann Herr Hoffmann auf diese Weise die shishamo, die Fischchen, großzügig zu Herrn Uchida, seinem Übersetzer, weiterschieben.
Einträchtig sitzt die Vierergruppe auf den einfachen Holzhockern am Tresen. Herr Uchida, der allerdings schon einen ziemlich betrunkenen Eindruck macht, erklärt Herrn Hoffmann gerade die Bedeutung der weißen Katze mit der erhobenen Pfote, die auf einem kleinen Tischchen am Eingang steht. Ja richtig, diese Katze hatte er schon häufiger in verschiedenen Geschäften und Restaurants gesehen. Laut Herrn Uchida winkt diese maneki neko mit der Pfote Glück und Wohlstand herbei. Die weiße Farbe der Katze soll anscheinend Reinheit symbolisieren, aber ganz sicher ist sich Herr Hoffmann da nicht, denn Herrn Uchidas Englisch scheint unter dem Sake-Konsum erheblich zu leiden. Neben der Katze an der Wand hängen lauter längliche Zettel mit japanischen kanji. Was das wohl sein mag? Gute Wünsche? Gebete? Gedichte? Wenn Hannah das sehen könnte ... Leider ist der Zweck in Wirklichkeit viel profaner. Auf den Zetteln sind bloß die Snacks und Getränke samt Preisen aufgelistet.
Inzwischen hat Herr Uchida den Kopf auf den Tresen gelegt und scheint zu schlafen. Herr Hoffmann leert seinen Sake in einem Zug und greift zu der Halbliterflasche aus Porzellan, um sich nachzuschenken.
MANEKI NEKO – WINKEKATZE
Zumindest einem hat die winkende Katze tatsächlich einmal Glück gebracht. Einst sah ein Samurai vor einem Tempel eine Katze mit erhobener Pfote. Als er näher kam, um sich das Tier genauer anzusehen, schlug ein Blitz genau dort ein, wo er gerade noch gestanden hatte. Vor lauter Dankbarkeit wurde er der Patron des Tempels, dem die Katze damit also Wohlstand gebracht hatte. Eine klassische Win-win-Situation.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Jetzt ist es doch passiert! Dabei hatte Herr Hoffmann anfangs alles richtig gemacht. Der Aufforderung, nach der Arbeit noch mit Kollegen gemeinsam etwas trinken zu gehen, ist er zum Glück sofort nachgekommen. Alles andere wäre auch ein grober Fehler gewesen. Nicht umsonst wird in Japan für Vergnügen mit Kollegen mehr Geld ausgegeben als für die nationale Verteidigung. Für den Business-Alltag sind diese feierabendlichen Aktivitäten beinahe so wichtig wie die Arbeit selbst. Einer Studie zufolge kehren 97 Prozent aller besser verdienenden Angestellten nach der Arbeit nicht direkt heim zu ihren Familien, sondern verbringen noch Zeit mit den Leuten, die sie ohnehin schon den ganzen Tag um sich hatten – ihren Kollegen.
Nur, warum? Sind die Kollegen in Japan so viel witziger als hierzulande? Oder sind die japanischen Ehefrauen so anstrengend, dass es sich eher lohnt, den letzten Zug nach Hause zu verpassen (kaum jemand wohnt in Tôkyô in der Nähe seines Arbeitsplatzes) und stattdessen die Nacht betrunken in einem Kapselhotel zu verbringen? Weder noch ... Es ist einfach die einzige Möglichkeit, die Kollegen einmal richtig kennenzulernen – und auch selber aus sich herauszugehen. Während am Arbeitsplatz selbst kein schlechtes Wort über Kollegen oder die Arbeit selbst fällt, kann man sich beim gemeinsamen Zechen ruhig gehen lassen. Lautes Rufen, Singen oder dem Vorgesetzten einmal so richtig die Meinung sagen – all dies sind völlig akzeptierte Verhaltensweisen unter Alkoholeinfluss. Endlich weiß man, was die Kollegen wirklich denken. Das sorgt nicht nur für die eine oder andere Überraschung, sondern schafft vor allem Vertrauen.
Grenzt sich also ein von seinen Geschäftspartnern eingeladener Ausländer mit einer lahmen Ausrede wie ›zu müde‹ oder noch schlimmer ›ich trinke nicht‹ (ALLE Ausländer, und ganz besonders die Deutschen, trinken schließlich) ab, kann das eigentlich nur eines bedeuten: Der Kerl hat was zu verbergen oder – noch schlimmer – will nicht zum Team gehören! Gut also, dass Herr Hoffmann nicht lange überlegt und gleich zugestimmt hat.
Aber was ist dann schiefgelaufen? Leider hat es unser Flensburger mit dem Sake ein wenig zu eilig gehabt und sich einfach selber nachgeschenkt ...
Was können Sie besser machen?
Sie wissen es natürlich besser als Herr Hoffmann und lassen Ihren Sake-Becher unangetastet – außer um daraus zu trinken, natürlich. Sie werden sehen, die anderen Anwesenden werden Ihnen zuvorkommend immer wieder nachschenken. Zumindest wenn es sich um Japaner und nicht um Ihre Reisegruppe aus dem Südschwarzwald handelt.
Daraufhin heben Sie ihr Glas mit beiden Händen und prosten dem