Fettnäpfchenführer Irland. Petra Dubilski

Fettnäpfchenführer Irland - Petra Dubilski


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einigen gewundenen Straßen südwärts die Küste entlang und dann wieder ein ganzes Stück landeinwärts kam eine Siedlung mit immer gleichen modernen Häusern in Sicht. In so einer Siedlung wollten wir eigentlich nicht leben, aber Gucken kostet ja nichts. Es war in der Tat sehr ruhig, kaum ein Mensch zu sehen, und einige Häuser waren auch noch nicht fertig gebaut. Hier und da lagen Rohre herum, und die Gärten waren allesamt Brachland. Das roch geradezu nach zukünftigem Baulärm.

      Jim lotste uns bis zum Ende der Siedlung, sprang aus dem Wagen und lief voraus zu einem der Einheitshäuser. »Alles feinste Materialien«, schwärmte er, »moderne Einbauküche, drei Schlafzimmer, zwei luxuriöse Bäder, Ölzentralheizung und voll eingerichtet.«

      Voll eingerichtet? Vor uns standen ein paar lumpige Möbelstücke, als hätte sie jemand beim überstürzten Auszug vergessen. Und wo war der Meerblick? Jim führte uns in die obere Etage, wo uns blitzende Edelstahlarmaturen in beige gefliesten Bädern erwarteten.

      In einem der kleineren Schlafzimmer wies er aus dem Fenster. »Da hinten schimmert es meerblau. Schaut!«

      Der kleine Poet, dachte ich und verrenkte mir den Hals. Ja, ganz hinten war so etwas wie ein grauer Streifen zu erahnen, den man mit viel gutem Willen für Meer halten könnte. Vielleicht war es aber auch nur ein Stück Nebel.

      »Wird hier eigentlich noch viel gebaut?«, fragte ich schließlich.

      »Irgendwann vielleicht«, meinte Jim und klang verlegen. »Der Bauherr ging damals nach der Finanzkrise pleite, das ganze Projekt wurde gestoppt. Die fertigen Häuser fanden keine Käufer, aber werden jetzt wenigstens vermietet. Deswegen ist das Haus auch erschwinglich. Ist es nicht schön?« Er wirbelte herum, als würde er uns ein Märchenschloss vorführen.

      »Das heißt, die Halbruinen bleiben so stehen?«, fragte Micha. »Das ist ja wie Leben in einer Abbruchsiedlung!«

      »Aber dafür ist es schön ruhig, kaum Nachbarn. Genau das, was ihr sucht«, lächelte Jim.

      »Wie, kaum Nachbarn?«, fragte ich ihn fassungslos. »Soll das heißen, dass wir hier wie in einem Geisterdorf leben würden? Wie viele Leute wohnen denn hier überhaupt?«

      »Hm, soviel ich weiß, lebt da hinten noch ein junges Paar. Bestimmt nette Leute.«

      »In einer halbfertigen Siedlung von etwa 20 Häusern lebt nur ein einziges Paar?« Ich war schockiert.

      »Na, mit euch wären es dann zwei Paare. Und wenn die Bauarbeiten wieder aufgenommen werden, wird es hier auch wieder recht lebendig.«

      Mir war das zu unheimlich. »Nee, danke, Jim. Wirklich, sehr nett. Aber so will ich nicht leben. Wir suchen weiter. Komm, Micha.«

      »Dann folgt mir noch mal!« Jim blieb unerschütterlich. »Ich habe da ein echtes Traumhaus für euch.«

      Micha verdrehte die Augen. Mir war es egal. Wir konnten uns genauso gut noch ein Haus anschauen. Wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

      Diesmal hatte Jim recht. Das Haus war tatsächlich ein Traum: perfekte Lage mitten in der Natur, wenn auch nicht direkt am Meer, geschmackvoll eingerichtet (also jedenfalls mit kleinem Aufwand verbesserbar), vier geräumige Schlafzimmer mit sage und schreibe drei Bädern und eine riesige, voll ausgestattete Küche. Und Internetanschluss. Hart an der Grenze dessen, was wir uns leisten konnten. Aber toll!

      Micha und ich nickten uns begeistert zu.

      »Es gefällt euch?« Jim schien erleichtert. »Über den Preis können wir mit dem Privatvermieter noch verhandeln. Der ist froh, wenn jemand drin wohnt, bis es verkauft ist.«

      »Moment mal«, meinte Micha. »Es steht zum Verkauf? Soll das heißen, dass wir jederzeit rausgeschmissen werden könnten?«

      »Nun ja.« Jim kratzte sich sichtlich verlegen am Bart. »Kann schon passieren. Aber keine Sorge. Bis hier ein Haus verkauft wird, das kann dauern.«

      Ich war enttäuscht. »Ich richte mich doch nicht gemütlich ein, um dann gleich wieder nach einem neuen Haus zu suchen! Tut mir leid, Jim. Das geht nicht.«

      Micha nickte entschlossen, und wir marschierten zum Auto.

      »Wartet! Ich hätte da noch ein Objekt für euch! Nein, wirklich, es ist supertoll, keine Probleme ... So wartet doch! Hey!«

       GHOST ESTATES – VOM WILDEN BAUBOOM UND SEINEN FOLGEN

      Wer übers Land fährt, wird noch immer an Siedlungen vorbeikommen, die scheinbar wie Bauklötze in die Landschaft geworfen wurden. Sie wirken verlassen, völlig fehl am Platz und sind Folge des Immobilienbooms, der mit der Finanzkrise ab 2008 zu Ende ging.

      Bauunternehmer zogen angesichts der erhofften, aber letztlich illusionären Wertsteigerungen ganze Siedlungen hoch, oft ohne Anschluss an Infrastruktur. Viele Häuser wurden mit billigen Materialien, oft auch mit reichlich Pfusch hochgezogen. Papierdünne Wände, mangelnde Brandisolierung und andere Mängel waren die Regel. Der Profit für die Bauunternehmen stand an erster Stelle. Mit dem Zusammenbruch der Banken und dem Abrutschen der Wirtschaft platzten aber auch diese Träume.

      2011 gab es noch rund 3.000 solcher Geistersiedlungen in ganz Irland. Mittlerweile sind über 90 Prozent der Geistersiedlungen zu funktionierendem Wohnraum ausgebaut worden, viele mit staatlichen Geldern und teilweise als dringend benötigte Sozialwohnungen.

       Kommentar von: Tina

      Habe ich dir nicht von meiner Wohnungssuche damals in Dublin und Limerick erzählt? Was vermietet wird, ist entweder Luxus, den sich bei kleinem Gehalt niemand leisten kann, oder es sind absolute Bruchbuden. Und wenn schon ganze Häuser für wenig Geld, dann in Gegenden, wo ich noch nicht mal wagen würde, den Müll ohne Bodyguards rauszubringen.

      Alle Welt riet mir damals, mir ein Haus zu kaufen, weil die Hypothekenzahlung billiger käme als die Mietzahlung. Miete sei »verschenktes Geld«. Bin ich froh, dass ich das nie gemacht habe! Vor allem wenn ich an all die Leute denke, die durch die Finanzkrise ihren Job verloren haben und die Hypothek nicht mehr abzahlen können. Wenigstens konnte ich wieder nach Deutschland zurück.

      Macht euch darauf gefasst, dass ihr zu 99 Prozent nur Schrott angeboten bekommt oder unbezahlbaren, aber dafür geschmacklosen Luxus. Um eine wirklich gute Bleibe zu finden, müsst ihr einiges an Ausdauer mitbringen oder sogar mehrmals umziehen.

       Kommentar von: Shane

      Langsam, Tina, so einfach ist das nicht. Klar kriegst du als Mieter in Irland eine Menge Schrott angeboten, aber das hat viele Gründe. Ein Grund ist sicherlich, dass Mieten seit der Unabhängigkeit von 1921 als nicht gerade erstrebenswert gilt. Zu lange waren wir Iren einfach nur »Mieter« in unserem eigenen Land, die Briten die Land-und Hausbesitzer. Jetzt wollen wir alle unseren eigenen Grund und Boden besitzen, um jeden Preis und je größer, desto besser. So läuft das in einer ehemaligen Kolonie.

      Viele Iren haben Häuser geerbt oder während des Booms als Investition gekauft, um durch die Mieteinnahmen zu Geld zu kommen. Das betrifft Omis Erbstück-Cottage ebenso wie irgendeine schnell hochgezogene Immobilie. Die Mieter sind meistens keine Langzeitmieter, die sich um ihr Heim kümmern, sondern sehr junge Leute, also Studenten oder Angehörige anderer Ausbildungsberufe, oder sehr arme Leute wie Sozialhilfeempfänger. Und die geben sich keinerlei Mühe in einem gemieteten Haus – oder können es finanziell nicht –, wenn sie dort sowieso nur zeitweilig bleiben und kaum Rechte haben. Also geben sich Vermieter auf der anderen Seite auch keine Mühe, ein Haus teuer auszustatten. Weswegen fast alle Häuser möbliert vermietet werden, und das meistens mit dem billigsten Kram. Sehr praktisch für die mobile Gesellschaft, aber nichts für Ästheten.

      Die alten »romantischen« Cottages auf dem Land hingegen, die kein Ire, der etwas auf sich hält, jemals bewohnen würde, sind beliebte Objekte für Ausländer mit einem idealistischen Hang zum sogenannten einfachen Leben, die glauben, dass wahre Zivilisationsflucht so funktioniert. Was sich jedoch meist als Illusion der Mieter oder Käufer und mehr noch der Makler entpuppt. Ein Außenklo ist selbst mit


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