Fettnäpfchenführer Korea. Jan-Rolf Janowski

Fettnäpfchenführer Korea - Jan-Rolf Janowski


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Staatsprüfungen mit allen Wassern gewaschen wurden und das in der Moderne seine Verwaltung als eines der ersten Länder weltweit komplett auf standardisiertes E-Government umgestellt hat, findet man immer wieder nette Beamte, die mal fünfe gerade sein lassen. Jeong, Zuneigung, ist im Alltag viel wichtiger als beop, das Gesetz. Der Ton macht dabei die Musik. Wie Sewon schon richtig bemerkte, sind zwei Wege erfolgversprechend: lieb oder cholerisch. Das Erste appelliert an die persönliche Bindung, das Zweite an den Respekt vor Hierarchien und Autoritäten.

      Eine Mischung aus Vertrauen des Maklers gegenüber dem Mitkoreaner und Autorität als Kunde ist es dann auch, was Sewons Verhalten im Maklerbüro erklärt: Als Kunde darf er sich sozusagen alles erlauben und sich ganz wie zu Hause fühlen. Da in Korea bis heute die Kriminalitätsrate niedrig ist, lässt der Makler auch ganz natürlich die Tür offen stehen, selbst wenn er gerade nicht da ist. Viele Koreaner beklagen, dass dieses noch aus der bäuerlichen Gesellschaft stammende Vertrauen durch Verstädterung und die damit einhergehende Anonymisierung schwindet; es ist jedoch ohne Frage noch immer stark.

      10

       DER ERSTE EINDRUCK

       OHNE KARTE HAT MAN SCHLECHTE KARTEN

       Ob eine Pflanze Früchte tragen wird, weiß man schon im März

      Der erste richtige Arbeitstag für Nico in der Firma. Der erste Eindruck ist überall wichtig, in Korea aber besonders. Eine Visitenkarte sollten selbst Studenten vorweisen können oder sich zumindest damit entschuldigen, dass man »gerade seine letzte vergeben hat«. Das hat Nico in seinem Koreaforum zwar auch gelesen, aber es für recht affig gehalten. Gerade er als Westler will nicht von Anfang an so auffallen und sich wichtiger machen, als er ist, indem er überall mit seinen Praktikanten-Visitenkarten rumwedelt. Seine E-Mail-Adresse steht ohnehin im Verteiler der Firma.

      Als Yunhee also mit ihm durch die einzelnen Abteilungen geht und ihn vorstellt, versucht sich Nico in Understatement – denn dieses wird ja bekanntlich in Asien hochgeschätzt. In der Abteilung für Marketing Nordamerika angekommen, wird er natürlich sogleich nach Visitenkarten gefragt, worauf er in absoluter Bescheidenheit vor versammelter Mannschaft antwortet, er sei ja nur der Praktikant in der Firma und nicht wichtig genug für eine eigene Visitenkarte. Einige der meist noch sehr jungen Mitarbeiter der Abteilung räuspern sich, Hände wandern flink in Hosentaschen.

      Mit geröteten Wangen führt Yunhee Nico weiter durch die Gänge. Freundlich versucht sie, ihn auf seinen Fauxpas hinzuweisen. »Du, Nico, die jüngeren Mitarbeiter, die waren oft in den USA zum Studium und kennen sich mit Westlern ganz gut aus. Die Älteren waren aber meist noch nie für längere Zeit im Ausland. Versuch in den nächsten Abteilungen einfach, möglichst wenig selbst zu machen, und lass sie reden.«

      »Okay.« Sich umblickend schreitet Nico voran durch die endlosen Gänge des Großraumbüros, in dem die Abteilungen nur durch hohe Raumteiler abgetrennt sind, und saugt die neuen Eindrücke in sich auf.

      »Das Team für Finanzen ist wohl gerade im Meeting. Dann gehen wir erst einmal zum Abteilungsleiter, das heißt auf Koreanisch bujang. Dann hängt man noch ein nim an, das ist höflicher. Also bujangnim, so kannst du ihn anreden, dann freut er sich bestimmt.«

       »Pudschangnim.«

      »Ja, schon ganz gut. Das reicht auf jeden Fall.«

      Als Nico in das abgetrennte Büro des bujangnim am Ende des Großraumbüros geführt wird, heißt der Abteilungsleiter ihn freundlich willkommen und überreicht ihm seine Karte. Nico greift mit der rechten Hand nach der Karte, sieht sofort, dass sie auf Koreanisch ist, und steckt sie in die Hosentasche. Das freundliche Lächeln des Abteilungsleiters wird von Naserümpfen abgelöst.

      »Was war noch gleich Ihr Name?«, fragt Nico jetzt auf Englisch.

       »Yes … Nice to meet you.«

      »Name?«, fragt Nico jetzt betont langsam sprechend.

      »Look name card«, sagt der bujangnim knapp.

      »Sorry, I can only read little Korean«, antwortet Nico.

      »Dafür gibt es ja die Rückseite«, grummelt der Vorgesetzte nun auf Koreanisch zu Yunhee, schon sichtlich peinlich berührt. Yunhee beschließt, dem Treiben ein Ende zu setzen. Sie bedankt sich in Nicos Namen für die Begrüßung und verspricht, dass er sein Bestes geben werde. Für den Abteilungsleiter ist das Treffen offenbar beendet. Ohne Nico und Yunhee eines weiteren Blickes zu würdigen, vergräbt er sich in seinen Unterlagen.

      »Goodbye, bujanim!«, ruft Nico noch im Rausgehen, ohne sich verbeugt zu haben. Als er sich an der Tür ein letztes Mal zum Abteilungsleiter umdreht, stellt er erstaunt fest, dass dieser sich das Lachen verkneifen muss.

      Den Rest des Vormittags ist Nico damit beschäftigt, mit Yunhee Stück für Stück durchzugehen, was er alles falsch gemacht hat.

       Aigu! – Oh weh!

      Beim Thema Visitenkarten hätte Nico den Forenbeiträgen vertrauen sollen. Sein Understatement, das locker rüberkommen und seine große Kulturkompetenz unter Beweis stellen sollte, lässt ihn doch gleich wieder als Elefant im Porzellanladen erscheinen. Denn die anderen Praktikanten und Auszubildenden können ihm nun natürlich schlecht ihre Visitenkarten überreichen und lassen sie daher peinlich berührt verschwinden. Bei ihnen hat Nico schon jetzt das chemyeon, das Gesicht, verloren. Das ist in Korea ebenso unschön wie in anderen asiatischen Ländern. Allerdings wird die Bedeutung dieses Konzepts im Westen oft überhöht dargestellt. Wahr ist, dass Asiaten sehr viel Wert darauf legen, andere nicht vor den Kopf zu stoßen oder ihre Mitmenschen peinlichen Situationen auszusetzen. Aber mal ehrlich: Das sollten wir doch im Westen eigentlich auch machen, wenn wir nicht völlig allein durchs Leben gehen wollen.

      Myeongham, Visitenkarten, sind wörtlich das Behältnis des Namens. Stellen Sie sich vor, Sie würden die ganze Persönlichkeit des Gegenübers mit dieser Karte in die Hände bekommen. Da fänden Sie es ja auch nicht nett, wenn man »Sie« gleich zerknüllt in die Hosentasche steckt. Es ist übrigens nicht nur wichtig, dass man eine Visitenkarte überreicht, sondern auch, wie: Übergeben und Entgegennehmen immer, wirklich immer, mit beiden Händen. Die Eins mit Sternchen bekommt derjenige, der beim Betrachten der Karte noch etwas theatralisch Staunen und Bewunderung für den Inhalt und damit die Person zeigt In der Regel sind Visitenkarten zweiseitig beschriftet, eine Seite in Hangeul, eine in Englisch. Lassen Sie sich im Übrigen nicht von den wohlklingenden Titeln irritieren: Ein daeri, also ein Assistant Manager, ist ein normaler Sachbearbeiter, und selbst der Chef einer Drei-Mann-Firma lässt sich auf Visitenkarten als CEO oder President bezeichnen.

      Auch das Verbeugen ist in Korea wichtig, auch wenn es nicht so strikte Winkelregelungen gibt wie bei den Japanern. In Korea genügt es im Normalfall zur Begrüßung und zum Abschied leicht den Oberkörper zu neigen und zu nicken. Nur bei deutlich Höhergestellten (Firmenchefs, Professoren, hohe Würdenträger) legt man die Hände mit den Innenseiten an die eigenen Oberschenkel und macht eine sogenannte baeggop insa, eine Bauchnabelverbeugung, das heißt, der Kopf geht bis auf normale Bauchhöhe herunter. Verbeugen Sie sich nicht vor Kindern. Das ist zwar kein Fauxpas, dürfte aber von den Kindern selbst und allen Umstehenden mit Belustigung zur Kenntnis genommen werden. Händeschütteln ist noch immer nicht allzu üblich, wenn, dann wird dabei die gebende Hand von der freien Hand unterstützt und nicht allzu fest zugedrückt. Eine leicht angedeutete Verbeugung komplettiert den formvollendeten Händedruck.

      Wie Yunhee richtig erklärt hat, heißt Abteilungsleiter in Korea bujangnim, nicht bujanim, wie Nico ihn verabschiedet hat. Über diesen Fehler musste jedoch selbst der verärgerte Vorgesetzte lachen. Nico hat sich zwar bemüht, den koreanischen Titel richtig auszusprechen, dabei ist ihm aber eine halbe Silbe verloren gegangen. Heraus kam nicht »Herr Abteilungsleiter«,


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