Fettnäpfchenführer Korea. Jan-Rolf Janowski
in Korea mächtig angekratzt.
Erleichtert erhebt sich Julia von der Toilette und will spülen, doch statt eines Knopfes findet sie eine komplexe Bedienfront. Mit ihrem spärlichen Koreanisch ist sie leider schnell am Ende. Über die Schüssel gebeugt, probiert sie einen Knopf nach dem anderen aus und – wie sollte es anders sein – sie erwischt prompt die Bidet-Funktion, sodass ihr in hohem Bogen ein Wasserstrahl mitten ins Gesicht spritzt. Erschrocken schreit sie auf, nein, genau genommen quiekt sie wie ein Schwein beim Schlachter, woraufhin die Familie sofort angerannt kommt. Trotz Notsituation schlüpft die Tochter, im Gegensatz zu Julia, zunächst in die rosafarbenen Badezimmerschlappen, nimmt sich dann der Bändigung des Hightech-Klos an und drückt auf den Knopf für die normale Spülung. Doch da kommt die ganze Brühe die Schüssel hoch, bis zum Rand.
»Oh, du hast ja das Klopapier ins Klo getan«, bemerkt die Tochter verwundert.
»Ja, natürlich, wohin denn sonst?« Julia ist den Tränen nah, so unangenehm ist ihr das alles. Die Tochter versucht sie zu trösten. »Ach, schon gut. Darum kümmert sich mein Bruder, geh nur wieder rein.«
Doch Julia ist nicht mehr nach Geselligkeit zumute. Zu viel hat sie in der kurzen Zeit schon erlebt, um sich jetzt noch weiteren Gefahren auszusetzen. Sie verabschiedet sich von der Familie und geht auf ihr Zimmer. Jetzt erst einmal lange schlafen – und sich dann so schnell wie möglich eine eigene Wohnung suchen.
APARTMENTREPUBLIK KOREA
Im Seouler Stadtgebiet, das sogar etwas kleiner ist als Berlin, wohnen gut zehn Millionen Menschen, in den Vorstädten drum herum noch einmal circa acht bis zehn Millionen. Je nach Planungsdatum der Satellitenstädte sind diese entweder richtig weitläufig und schick (Bundang, Gwacheon, Ilsan) oder schon etwas heruntergekommene Arbeiterschließfächer. Koreaner bezeichnen ihr Land oft scherzhaft als »Apartmentrepublik« (apateu gonghwaguk). Jeder, der es sich leisten kann, zieht in diese für uns Mitteleuropäer anonym anmutenden Apartmentsiedlungen, die in jeder Großstadt das Bild prägen. In großen Städten leben 60 bis 80 Prozent der Bewohner in den Wohntürmen. Nicht selten ragt sogar neben einem Reisfeld in einem Provinznest ein Apartmenthochhaus von 20 Stockwerken in den Himmel. Diese Apartments sind sowohl Anlageobjekt als auch komfortable, mit allem modernen Schickschnack ausgestattete und vor allem großzügig geschnittene Wohnungen. Im krassen Gegensatz dazu gibt es in der kollektiven Psyche noch immer die Mondkieze (daldongne), die Slums der Vergangenheit, die bis auf ganz wenige Ausnahmen inzwischen verschwunden oder neu hergerichtet sind. Der Name stammt daher, dass diese eiligst nach dem Koreakrieg von Flüchtlingen errichteten Siedlungen meist auf den bis dato unbebauten Hügeln lagen und man von dort aus den Mond so gut sehen konnte. Klingt romantischer als das Leben dort meist war.
Aigu! – Oh weh!
Es sind ja oft die einfachsten Dinge im Leben, die einem die größten und komplexesten Probleme bereiten können. Dazu kann in Korea auch ein Gang aufs WC gehören. Am besten ist es, von all den fantastischen Funktionen die Finger zu lassen und nur die Knöpfe zu bedienen, bei denen man sich ganz sicher ist. Oft haben auch die modernen Toiletten zusätzlich noch eine normale Spülung, sodass man die Elektronik umgehen kann. Toilettenpapier gehört in Korea nicht in die Toilette, sondern normalerweise in daneben bereitstehende Papiereimer. Das ist auch der Grund, warum die Seouler U-Bahn lange Zeit große Probleme damit hatte, die Gäste auf ihren Toiletten zum Umdenken, d. h. zur Entsorgung in der Toilettenschüssel, zu bringen: Insbesondere in der Anfangsphase ließ dies irritierte Fahrgäste zurück, die nicht mehr wussten, wohin mit dem Toilettenpapier.
Natürlich rächen sich auch nicht alle Toiletten des alten Systems sofort an den Ahnungslosen, die trotzdem Papier hineinwerfen, insofern hatte Julia auch verdammtes Pech, aber die meist sehr dünnen Rohre und der niedrige Wasserdruck lassen koreanische Klosetts, selbst neuere, sehr schnell verstopfen.
Ach so, die Hauslatschen aus Stoff hat Julia bei der Aktion natürlich auch noch besudelt. Dabei hätte sie die überhaupt nicht anhaben sollen. Ähnlich wie in Japan betritt man nämlich nicht mit den Straßenschuhen den Wohnraum; hierfür stehen Latschen im meist etwas abgesetzten Eingangsbereich bereit. Und mit den Latschen aus dem Wohnbereich geht man nicht aufs Klo, dafür stehen die Gummilatschen im Bad. Einige Familien treiben dieses Spiel ganz konsequent weiter, sodass es noch separate Veranda-Latschen gibt.
8
ZWEI WELTEN
KALTE SCHÖNHEIT TRIFFTHEISSBLÜTIGE GROSSMAMA
Mit einem Stein zwei Vögel erlegen
Noch vor Semesterbeginn gibt es für Julia eine Einführung an der Uni, wo sie unter anderem erfährt, dass sie sich beeilen muss, wenn sie einen Platz im Studentenwohnheim ergattern will, denn die Plätze seien heiß begehrt. Das versteht Julia nicht, denn der Spaß am Studieren ist doch, endlich auf eigenen Beinen zu stehen und sich seine eigene kleine Wohnung einzurichten. Als sie dann noch hört, dass man sich im Studentenwohnheim selbst die kleinen Zimmerchen mit anderen Ausländern teilen müsse, beschließt sie, sich lieber selbst auf die Suche zu machen. Aber wie?
Zu Julias Glück wird ihr gleich ein sogenannter Buddy zugeteilt, also ein koreanischer Mitstudent, der Neuankömmlingen beim Eingewöhnen helfen soll. Julias Buddy ist ein Germanistikstudent namens Sewon Kim beziehungsweise auf Koreanisch Kim Sewon, denn der Nachname kommt hier zuerst.
NACHNAMEN: DIE MÜLLER-MEIER-SCHMIDTS VON KOREA
Dass Sewon mit Nachnamen Kim heißt, ist keine große Überraschung: Es ist der mit Abstand häufigste Nachname in Korea, fast 19 Millionen Koreaner tragen ihn. Er leitet sich übrigens vom chinesischen Zeichen für Gold ab. Nimmt man Park und Lee noch dazu, hat man bereits knapp 30 der 50 Millionen Koreaner mit Nachnamen versorgt. Daneben sind häufige Nachnamen zum Beispiel Cho, Yun, Choi, Kang, Han, Jang, Shin, Lim, Ryu oder Jeong.
Julias sehr speziellem Bild von einem Koreaner, das geprägt ist durch die Schmachtfetzen, die sie sich tagein, tagaus angeguckt hat, entspricht unser Sewon so gar nicht, denn er ist nicht sonderlich hochgewachsen, nicht spindeldürr-muskulös-elfengleich, und außerdem hat er auch keinen Porsche und managt nicht halbtags den Konzern von Papi – sondern studiert eben Germanistik und führt Austauschstudentinnen über den Campus. Wenig glamourös das Ganze. Da er aber einige Jahre in Deutschland gelebt hat und mehr als passabel Deutsch spricht, hat er einen entscheidenden Vorteil: Er und Julia verstehen sich auf Anhieb. Julia ist über einen solchen Anschluss in der Ferne doch sehr erfreut. Jetzt kann kaum noch etwas schiefgehen.
Nach der Einführungsveranstaltung setzen sich die beiden erst einmal bei einem Kaffee zusammen.
»Ehrlich gesagt, ich bin froh, mit jemandem auf Deutsch reden zu können«, gesteht Julia.
»Ich finde es auch super, mein Deutsch mal wieder anzuwenden. In der Uni kommen wir ja kaum zum Reden.«
»Hast du nicht viel im Studium mit Deutsch zu tun?«
»Na ja, die Professoren interessiert es eigentlich wenig, ob man sprechen kann – es kommt hauptsächlich darauf an, so zu interpretieren, wie der Professor es hören will. Manchmal wünsche ich mir das deutsche Bildungssystem zurück.«
Julia lacht. »So was höre ich zum ersten Mal. Du scheinst also in Korea nicht allzu glücklich zu sein?«
»Was ist schon Glück! Wenn man in Deutschland aufgewachsen ist, kommt man mit diesem Konkurrenzdenken hier nicht so gut zurecht. Es gibt viel, worauf man achten muss. Da ist Deutschland doch entspannter.«
»Deutschland und entspannt? Das ist mir aber auch neu!«
»Aber es stimmt. Das Leben ist in Deutschland einfach viel ruhiger, alles läuft langsamer.«
»Dann magst du lieber wieder nach Deutschland?«, fragt Julia und fügt unbedacht hinzu: »Für Ausländer ist