Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg


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und Engländer zogen sich schleunigst nach Süden zurück, um aus der Umklammerung herauszukommen. Die Reste des belgischen Heeres gingen in die Festung Antwerpen. Waren die deutschen Armeen in Belgien so stark gewesen, wie der ursprüngliche Plan Schlieffens es erforderte, so hätte die Umfassung schon Ende August den entscheidenden Sieg bringen können. So mußte man sich mit der Verfolgung des auf Paris weichenden Feindes begnügen.

      General Joffre überblickte die Situation mit vollkommener Klarheit. Die Gefahr für die Ententeheere lag in der ständigen Umfassung ihres linken Flügels durch die Deutschen. Diese Gefahr mußte erst einmal ausgeschaltet und damit der Schlieffensche Plan vereitelt werden. Joffre nahm ohne Rücksicht auf alle Stimmungsmomente seine Truppen bis weit südlich von Paris zurück. Der deutsche rechte Umfassungsflügel war zahlenmäßig zu schwach, um rechts und links an Paris vorbeizugehen. So mußten die Deutschen östlich an Paris vorbeimarschieren. Unterdessen hatte Joffre mehrere entbehrliche Armeekorps aus der elsaßlothringischen Front mit der Eisenbahn nach Paris geworfen. Denn Joffre wußte im Gegensatz zu Moltke, wo die Entscheidung fiel und wo nicht. Die äußerste rechte Flanke der deutschen Umfassungstruppen war bisher die I. Armee (Befehlshaber General von Kluck, Generalstabschef General von Kuhl) gewesen. Die äußerste linke Flanke der Entente waren bisher die Engländer. Also marschierte Anfang September die Armee Kluck östlich an Paris vorbei nach Süden, um die Engländer weiter zu verfolgen. Da tauchte eine neue französische Armee, aus Paris hervorbrechend, im Rücken von Kluck auf. In diesem Moment war der Plan Schlieffens gescheitert. Die deutsche Armee umfaßte nicht mehr, sondern wurde selbst umfaßt. Auch jetzt konnten die Deutschen im Westen noch Siege erfechten, aber sie konnten sich damit höchstens aus der Umklammerung befreien und den Gegner frontal zurückwerfen. Es war jetzt keine Feldzugsentscheidung durch Vernichtung der feindlichen Macht mehr möglich.

      Inzwischen saß die deutsche Oberste Heeresleitung in Luxemburg und verlor von Tag zu Tag mehr die Fühlung mit den Frontarmeen. Weit davon entfernt zu führen, wußte General von Moltke kaum, was an der Front vorging. In jenen ersten Kampfwochen haben die Heeresberichte aus dem Großen Hauptquartier, gezeichnet vom Generalquartiermeister von Stein, das deutsche Volk begeistert. Aber mit den wirklichen Vorgängen hatten sie nicht viel gemein. Ein Wille zur Täuschung lag nicht im entferntesten vor. Aber die Oberste Heeresleitung konnte nicht mehr berichten, als was sie selbst wußte. Als in den letzten Augusttagen von den Armeen überall Siegesmeldungen kamen, war die Stimmung des Generals von Moltke überaus optimistisch. So erklären sich die berühmten Heeresberichte aus jenen Tagen.

      Zur selben Zeit mußte der in Ostpreußen kommandierende General von Prittwitz melden, daß zwei ihm an Zahl weit überlegene russische Heere in Preußen eingebrochen waren. Mit solchen Vorfällen mußte die Oberste Heeresleitung bei der ganzen Anlage des Kriegsplans rechnen. Besondere Fehler waren dem General von Prittwitz nicht nachzuweisen. Trotzdem wurde er sofort abgesetzt. An seine Stelle trat General von Hindenburg mit General Ludendorff als Generalstabschef. Darüber hinaus hielt Moltke es für notwendig, die Truppen in Preußen durch zwei Armeekorps aus dem Westen zu verstärken. Er nahm sie aber nicht dort fort, wo sie entbehrlich waren, aus der Lothringer Front, sondern vom rechten Umfassungsflügel des deutschen Heeres. In der Marneschlacht hat das Fehlen der beiden Korps an der entscheidenden Stelle das Resultat wesentlich bestimmt. Um ein weiteres zu tun, befahl Moltke neben der Hauptoffensive der deutschen Heere bei Paris noch eine Nebenoffensive der Lothringer Truppen in Richtung Nancy, die unter schwersten Opfern scheiterte.

      Inzwischen ergriff General Joffre unter Umzingelung des deutschen Westflügels von Paris her, auf der ganzen Front bis Verdun selbst die Offensive. Die Marneschlacht begann. Die deutsche Armee Kluck war schwer gefährdet. Denn sie hatte vor sich die Engländer und im Rükken die neue französische Armee, die aus Paris hervorgekommen war. Kluck und Kuhl faßten einen kühnen Entschluß: Sie rechneten mit der übergroßen Vorsicht der damals sich noch unsicher fühlenden englischen Führung. Sie ließen die Engländer einfach stehen, machten kehrt und schlugen in mehrtägigen Kämpfen die aus Paris herausgekommenen Franzosen zurück. Dadurch war eine breite Lücke zwischen der Armee Kluck und den übrigen deutschen Heeren entstanden, die in frontalen Kämpfen von der Marne bis Verdun die französische Offensive auffingen.

      Inzwischen saß der kranke General von Moltke in Luxemburg ahnungs- und hilflos, und Wilhelm II. verließ sich auf seinen Generalstabschef. Moltke ahnte, daß ein Verhängnis über das deutsche Westheer heraufzog. Er fühlte aber nicht die Kraft, selbst an die Front zu gehen und den Oberbefehl wieder in die Hand zu nehmen. So schickte er einen jüngeren Generalstabsoffizier, den Oberstleutnant Hentsch an die Front mit unbeschränkten Vollmachten. Hentsch besichtigte die Lage bei der Armee Kluck. Er erkannte die gefährliche Lücke, in die sich feindliche Truppen hineinschieben konnten, und befahl den Abbruch der Schlacht. Das deutsche Heer ging hinter die Aisne zurück. Die Westoffensive war gescheitert. Der Rückzugsbefehl des Oberstleutnants Hentsch war durchaus nicht notwendig. Denn alle an der Schlacht beteiligten deutschen Armeen hatten gute taktische Erfolge, und eine an Ort und Stelle befindliche geschickte oberste Führung hätte auch die Gefahr beseitigen können, die von der Lücke in der Front und von den Engländern drohte.

      Ein deutscher Sieg an der Marne hätte einen weiteren französischen Rückzug nach Süden gebracht. Aber das deutsche Heer wäre nach wie vor aus Paris im Rücken bedroht gewesen, und die französische Armee hätte weitergekämpft. Was Deutschland im Westen brauchte, war kein gewöhnlicher taktischer Sieg und kein Raumgewinn, sondern ein ungeheueres Sedan, eine Ausschaltung des feindlichen Heeres, um die Truppen für den Osten freizubekommen. Die Hoffnung darauf war mit dem Scheitern des Schlieffenschen Plans begraben. Durch die Fehler der Führung behielt das deutsche Heer an der Marne nicht einmal den so wohlverdienten taktischen Sieg. In der Marneschlacht war das deutsche Heer seinen Gegnern mindestens gewachsen, aber die Entscheidung kam durch die geistige Überlegenheit der französischen Obersten Heeresleitung. Als General von Moltke die Größe der Niederlage übersah, brach er völlig zusammen und mußte vom Oberkommando enthoben werden.

      Die Bismarcksche Verfassung fand darin ihre Rechtfertigung, daß das deutsche Volk, um sich in der Welt behaupten zu können, den König von Preußen und sein Heer brauchte. Die moralische Existenzberechtigung des alten Systems ging in den Luxemburger Tagen des Septembers 1914 endgültig verloren. Der König von Preußen hatte nicht nur durch die Fehler seiner Außenpolitik dazu beigetragen, daß das deutsche Volk in einen hoffnungslosen Krieg geriet. Er hatte auch dem deutschen Heere, das so opferwillig ins Feld zog, die denkbar unfähigste Führung gegeben. Einen »Dolchstoß« gab es im September 1914 wahrlich nicht. Die deutschen Granaten, die an der Marne verschossen wurden, hatte der gesamte Reichstag bewilligt, einschließlich der späteren Unabhängigen, einschließlich Liebknechts. Niemals hatte ein Volk seinen Regenten so gutwillig den Blankowechsel vollsten Vertrauens ausgestellt wie das deutsche Volk seinem Kaiser am 4. August. Die Folge davon war das Hauptquartier in Luxemburg und die Niederlage an der Marne. Als die Oberste Heeresleitung in Luxemburg zusammenbrach, verstummten für einige Zeit auch die Heeresberichte. Während des Krieges hat das deutsche Volk niemals die Wahrheit über die Marneschlacht erfahren. Selbst die führenden Reichstagsabgeordneten konnten sich erst spät, unvollständig und auf Umwegen, über die Septemberereignisse an der Westfront orientieren.

      General von Moltke mußte durch einen neuen Generalstabschef ersetzt werden. Reichstag, Presse und Volk hatten keinen Einfluß darauf, wem das Schicksal des deutschen Heeres und damit des deutschen Volkes jetzt anvertraut wurde. Wilhelm II. wählte nach seinem freien Ermessen den bisherigen Kriegsminister von Falkenhayn. General von Falkenhayn war wenigstens physisch seiner Aufgabe gewachsen. Er hätte sich auch als Führer einer einzelnen Armee bewährt, wie er 1916 nach seinem Rücktritt vom Posten des Generalstabschefs in Rumänien gezeigt hat. Aber er war zur Führung des Gesamtheeres ebensowenig befähigt wie Moltke. Dabei hatte das deutsche Heer 1914 eine Reihe von erstklassigen Generälen. Es standen zur Verfügung, um nur einige Namen zu nennen: Ludendorff, Loßberg, Seeckt, Hoffmann und Groener. Aber sie kamen nicht an die Spitze, weil Wilhelm II. sie nicht ernannte. Zwei Jahre lang ist das deutsche Heer unzulänglich geführt worden, und als dann endlich im Sommer 1916 ein hervorragender General, Ludendorff, das wirkliche Oberkommando übernahm, war die Gelegenheit, eine militärische Entscheidung zu erringen, schon verpaßt. In der Freude, endlich einen wirklichen Führer zu haben, gab das deutsche Volk dem General Ludendorff dann auch die oberste politische


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