Kultur unterm Hakenkreuz. Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz - Michael Kater


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gepriesen. Und man mag ihr verzeihen, dass sie 1935 vom Berliner Opernhaus an die anspruchsvollere Staatsoper wechselte; schließlich war die Tochter eines Theaterintendanten auch die Schwester des Reichsjugendführers Baldur von Schirach. Unter Musikern hatte sie sich allerdings weniger als Sängerin denn als NS-Aktivistin einen Namen gemacht, eifrig damit beschäftigt, seit ihrem Debüt am Opernhaus 1930 dort eine NS-Betriebsorganisation aufzubauen. Unterstützung fand sie bei ihrem Liebhaber Gerhard Hüsch (geb. 1901), der, ein ausgezeichneter Bariton, bereits 1934 vom Opernhaus an die Staatsoper gewechselt war und sich danach als Interpret von NS-Liedern wie »Das Hakenkreuz« und »Deutschland erwache!« hervortat.239

      Zum Inbegriff einer kompromittierten Künstlerin wurde die Pianistin Elly Ney. Das 1882 geborene Wunderkind hatte 1901 den Mendelssohn-Preis gewonnen und bis 1930, vor allem auf Konzerttouren in den USA, Karriere gemacht. Doch entwickelte sie, wie Stadelmann, eine Abneigung gegen jüdische Kollegen, die auf Erfahrungen mit ihrem Lehrer Isodor Seiss zurückging. An dessen Geruch schon habe sie »das Artfremde« erkannt. Als sie Anfang 1933 gebeten wurde, in Hamburg bei einem Konzert für den jungen Rudolf Serkin einzuspringen, der als Jude bereits Auftrittsverbot hatte, betrachtete sie das als Beleidigung. Sie wurde Mitglied diverser NS-Organisationen und trat besonders gern bei der HJ auf, wo sie erst gewundene ideologische Einführungsvorträge hielt und dann hauptsächlich Beethoven spielte. Den Zenit ihrer Laufbahn hatte die temperamentvolle Frau mit dem beethovenähnlichen Haarschopf allerdings längst überschritten; sie wurde hauptsächlich wegen ihrer Treue zum Regime unterstützt.240

      Ob Musiker nun dem Regime nahestanden oder nicht, sie gaben nur die Musik wieder, die für sie geschrieben worden war, und die war nicht politisch gefärbt. Bei den Komponisten sieht das etwas anders aus. Unter den Jüngeren, den um die Jahrhundertwende Geborenen, neigten die einigermaßen Prominenten nach 1933 in ihrem musikalischen Schaffen zu Abenteuerlust wie auch zu Anpassungseifer an das neue Regime. Eine Gruppe umfasst Komponisten, deren Musik zwar innovativ, aber nicht so bedeutungsvoll war, dass sie nach 1945 in Erinnerung geblieben wäre. Eine zweite Gruppe war in dieser Hinsicht erfolgreicher, wenngleich nur drei Namen hier Erwähnung finden können, da auch sie mittlerweile fast vergessen sind. Die Ausnahme bildet Carl Orff, der durch eine einzige Komposition auf Opernbühnen und in Konzerthallen bis heute präsent ist.

      Zu ersten Gruppe gehört Hugo Distler, der als 25-Jähriger im Mai 1933 in die NSDAP eintrat und 1937 Lehrer an der Hochschule für Musik in Stuttgart wurde. Er war, wie Hindemith Ende der zwanziger Jahre, begeistert von neobarocken Kompositionsformen, experimentierte mit Pentatonik und Ganzton-Leitern. Das brachte ihn an die Grenzen konventioneller Harmonik, auch wenn er die Zweite Wiener Schule (mit ihrem Hauptvertreter Arnold Schönberg) als »naturwidrig« bezeichnete. Er hoffte auf eine Erneuerung der protestantischen Kirchenmusik. Zu diesem Zweck arrangierte er sich – ausgerechnet – (wie andere Komponisten in dieser Gruppe) mit dem Nationalsozialismus. Er sprach von der »Größe der vaterländischen Ereignisse« seit 1933, unterrichtete begeistert HJ-Mitglieder und war als Gastdirigent für Robert Leys NS-Betriebsorganisation (NSBO) in der Deutschen Arbeitsfront tätig – dieselbe Truppe, für die sich auch Schirach und Hirsch ins Zeug gelegt hatten. Außerdem komponierte er feierliche Gesänge zum Gedenken an Hitlers Machtergreifung und schrieb Lieder für HJ-Liederbücher.241

      Distlers älterer Kollege Johann Nepomuk David bekannte sich offen zu Einflüssen der Zweiten Wiener Schule sowie von Ravel und Strawinsky. Er gab ebenfalls Unterricht für die HJ und schrieb ein Stück, das auf einem Ausspruch Hitlers beruhte. Es sollte »Hingabe« an das Volk ausdrücken und wurde von ihm auf dem Campus seines Konservatoriums uraufgeführt.242 Beeindruckt von der strengen Struktur eines älteren musikalischen Genres suchte Ernst Pepping, geboren 1901, nach neuen Formen zwischen postromantischer Tonalität und Moderne. »Beide, Kunst wie Politik der Gegenwart, sind vom gleichen Willen beseelt«, verkündete er: »Sammlung der zerstreuten Teile, Bildung einer neuen Gemeinschaft«.243

      Am ehesten erinnert man sich aus dieser Gruppe vielleicht an Wolfgang Fortner, wenn auch nur als Lehrer des berühmten Avantgarde-Komponisten Hans Werner Henze. Fortner, geboren 1907, war ein Wunderkind. Anfangs von Bach beeindruckt, wandte er sich neugierig dem Studium von Strawinsky und dem Zwölftonkomponisten Anton Webern zu. Als Lehrer in Heidelberg leitete er regelmäßig das HJ-Orchester, während er sich mit Schönbergs Zwölftonreihe erst nach 1945 ernsthaft auseinandersetzte.244

      Die zweite Gruppe umfasst bekanntere Namen; hier sind vor allem Rudolf Wagner-Régeny, Werner Egk und Carl Orff zu nennen. Wagner-Régeny, Jahrgang 1903, in seinem Musikschaffen im Wesentlichen traditionell, sah seine erste Oper, Der Günstling, 1935 dank kräftiger Unterstützung durch Rosenbergs NSKG uraufgeführt. Danach akzeptierte er ein offizielles Angebot, für Shakespeares Sommernachtstraum eine Partitur zu komponieren, welche Mendelssohn-Bartholdys »jüdische« Begleitmusik ersetzen sollte. 1941 ging er von Berlin nach Wien, wo er zum Schützling des mittlerweile zum dortigen Gauleiter avancierten Baldur von Schirach wurde. In gewisser Weise war Wagner-Régeny allerdings Modernist – weniger in seinem eigenen musikalischen Schaffen als in der Übernahme von Librettos und Bühnenarbeiten Caspar Nehers (eines Freundes von Bertolt Brecht und Kurt Weill). Seine Versuche, sich den Nazis anzudienen, fanden ihren Höhepunkt in der Oper Das Opfer von 1941, nach einem Text von Eberhard Wolfgang Möller. Die Handlung: Eine »arische« Frau namens Agnetha geht aufgrund von »Rassenschande« in den Tod, um so dem Schicksal zu entrinnen, Mutter eines »Bastards« zu werden.245

      Seinerzeit bekannter als Wagner-Régeny war Werner Egk, der vor 1933 deutlich hörbar von Schönberg, dem Avantgarde-Dirigenten Hermann Scherchen und besonders Strawinsky beeinflusst war. Aus diesem Grund war sein Verhältnis zu den NS-Kulturverwaltern während der ersten Jahre des Regimes, als er in München arbeitete, angespannt. Doch dann wurde 1935 seine Oper Die Zaubergeige uraufgeführt, ein pointiert anti-intellektuelles Werk, das dem Land den Vorzug vor der Stadt gab; der Wucherer Guldensack ist leicht als verabscheuungswürdiger Jude zu erkennen. Egk erntete nun viel Beifall und einen zweifelhaften Geldpreis für ein Orchesterballett, das 1936 anlässlich der Olympischen Spiele in Berlin aufgeführt wurde. 1939 erhielt er anlässlich der Reichsmusiktage in Düsseldorf einen weiteren Preis für die Oper Peer Gynt, die auch Hitler gefiel. Ob Egk nun überzeugter NS-Anhänger war oder nicht: Sein größtes Zugeständnis an das Regime machte er, als er 1941 die Leitung der Fachschaft Komponisten in der RMK übernahm. Nun verurteilte er ganz offiziell »die Zeit der Atonalität«, obwohl er selbst einen kantigen – wenn auch nicht zwölftonigen – Musikstil pflegte, über dessen Schwerfälligkeit Kollegen sich bisweilen mokierten.246

      Carl Orff, wie Hindemith 1895 geboren, war eine Zeit lang Egks Lehrer. Auch Orff hatte sich von Scherchen und Strawinsky beeindrucken lassen und kurzfristig mit Brecht zusammengearbeitet. Der Beschäftigung mit Strawinsky verdankte Orff sein ausgeprägtes Empfinden für Rhythmus, das denn auch in seiner ersten substanziellen Komposition, den Carmina Burana (1937), zum Tragen kam. Sie sollte sein einziges Meisterwerk bleiben und ihm, vielleicht nicht zufällig, den Ruf eintragen, der einzige Komponist im Dritten Reich gewesen zu sein, dessen Musik, so der Musikologe Richard Taruskin von der Universität Berkeley, »im internationalen Repertoire überlebt hat«. 1997 fand im Guggenheim-Museum eine internationale Konferenz statt, an der ich teilnahm. Dort erklärte Taruskin, er habe »kein Problem damit, die Carmina Burana als Nazi-Musik zu bezeichnen«.247 Diese Äußerung verwies einmal mehr auf das bereits angesprochene komplexe Problem, das Wesen des Nationalsozialismus in der Musik zu bestimmen. Im strengen Sinne bestand Orffs »Modernismus«, was sein Hauptwerk wie auch einiges Folgende betrifft, nicht aus Elementen, die die Nationalsozialisten ablehnten – wie Zwölftonigkeit oder Jazz (verminderte Noten) –, sondern aus Charakteristika, die in nationalsozialistischen Seh- und Hörgewohnheiten ihren Widerhall fanden und zudem propagandistisch nutzbar waren. Orffs Musik war von sinnlicher, physischer Direktheit, geprägt von Ostinato-Rhythmen, melodischer Sparsamkeit, rudimentärer Diatonik, Wiederholung und Monophonie. Sie sollte als Quell neuer Volksmusik und einfach zu spielender Hausmusik dienen. All das glich einer im Wesentlichen nationalsozialistischen Ästhetik, die sich in der NS-Musik ebenso finden ließ wie in Literatur oder Malerei. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Orff – spät, aber nicht zu spät – vom Regime für seine Arbeit reich entlohnt wurde, zunächst mit einem Geldpreis für seine Musik zum Mittsommernachtstraum (1939), von 1942 an mit einer üppigen Pfründe des Gauleiters von Schirach.248

      Praktisch


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