Die Alpen. Werner Bätzing

Die Alpen - Werner Bätzing


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man auf spielerische Weise ein intuitives Verständnis des Mensch-Umwelt-Verhältnisses mit seinen heutigen Möglichkeiten und Problemen.

      Der Anspruch dieses Bildbandes ist es, mittels der Auswahl von aussagekräftigen Bilder und einer bestimmten Bildfolge, ergänzt durch kurze Erläuterungen, die aktuelle Situation der Alpen versteh- und erfahrbar zu machen. Am Anfang dieses Buches wird geklärt, welche Alpenbilder wir – meist unbewusst – im Kopf haben und wie diese unsere Wahrnehmung der Alpen prägen (Kapitel 1). Dann werden die Landschaften der Alpen im Naturzustand dargestellt (Kapitel 2). Um den heutigen Wandel verstehen zu können, werden dann die traditionellen Kulturlandschaften vorgestellt (Kapitel 3). In Kapitel 4 wird die Modernisierung der Alpen, gegliedert nach zentralen Themenbereichen, gezeigt. Und zum Schluss bilanziert Kapitel 5 die heutige Situation und fragt nach einer Zukunft für die Alpen, bei der sie ein dezentraler Lebens- und Wirtschaftsraum mit Respekt vor der Natur bleiben bzw. wieder werden können.

      Jedes Kapitel beginnt mit einem doppelseitigen Luftbild und einer einseitigen Texteinführung ins Thema, und dann folgen jeweils 6 – 7 Abschnitte. Dabei behandelt jede Doppelseite immer ein eigenes Unterthema; dominierend sind auf jeder Doppelseite stets die Bilder, die zurückhaltend in den Bildlegenden kommentiert und durch kürzere Hintergrundtexte ergänzt werden.

      Die Bilder, die hier präsentiert werden, stammen aus sehr unterschiedlichen, teilweise auch aus sehr unbekannten Alpenregionen und sollen Lust machen, die Vielfalt der Alpen aktiv zu entdecken.

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      6 Das Oberengadin (hier von Muottas Muragl aus gesehen) ist eine der ältesten und berühmtesten Tourismusregionen der Alpen. Deshalb sind die Tourismusorte St. Moritz (Bildmitte) und Celerina (rechts am Rand) sehr stark gewachsen und sehr stark zersiedelt (August 2008).

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      7 Ein zentrales Charakteristikum der Alpen ist der kleinräumige Wechsel von zwar steilen, aber nutzungsgeeigneten Hängen und nutzungsfeindlichen Fels- und Gletschergebieten, so wie hier im Bereich des Mühlbach- und des Kapruner Tales (Glocknergruppe in den Hohen Tauern). Die höchsten Berge sind von links nach rechts der Hohe Tenn, 3368 m, das Wiesbachhorn, 3564 m, das Kitzsteinhorn, 3203 m (mit Seilbahn erschlossen), und die Klockerin, 3425 m (November 2006).

      Wenn das Wort „Alpen“ fällt, entstehen bei allen Menschen in Europa sofort bestimmte Bilder im Kopf. Diese Bilder werden automatisch für mehr oder weniger realitätsnah angesehen, denn Bilder lügen ja nicht. Aber so einfach ist es nicht.

      Betrachtet man mit etwas Abstand die Bilder, die von den Alpen in den letzten 400 Jahren gemacht wurden, dann stellt man schnell fest, dass sie sich sehr stark voneinander unterscheiden: In den einzelnen Epochen werden nicht nur sehr unterschiedliche Motive bevorzugt, sondern diese sind auch mit einer sehr unterschiedlichen Wahrnehmung dessen, was die Alpen eigentlich sind, verbunden. Deshalb bilden Alpenbilder keineswegs „die“ Realität der Alpen ab, sondern sie sind Ausdruck von ganz bestimmten, zeitgebundenen Wahrnehmungen der Alpen.

      Etwas vereinfachend kann man in der europäischen Geschichte drei große Alpenbilder voneinander unterscheiden: Die schrecklich-bedrohlichen Alpen (Motiv: sehr steile Felswände/Gipfel mit sehr kleinen Menschen), die schrecklich-schönen Alpen (vorn ländliche Idylle, hinten Felsen/Eismassen) und die Alpen als Freizeitpark (im Zentrum ein Sportler in wagemutiger Aktion, im Hintergrund Berge). Diese drei Alpenbilder werden in den drei Abschnitten dieses Kapitels näher vorgestellt.

      1. Das älteste Alpenbild wird bereits in der Zeit des Römischen Reiches entwickelt und nimmt die Alpen als „montes horribiles“, als schreckliche, bedrohliche und furchterregende Berge wahr, in denen Menschen eher wie Tiere, also ohne Kultur leben.

      Dieses Bild wird immer wieder erneuert, und es prägt die europäische Wahrnehmung der Alpen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein.

      2. Dann ändert es sich fundamental: Im Rahmen von Aufklärung, Aufblühen von Naturwissenschaft, Technik und Industrieller Revolution verliert die Gesellschaft ihre Angst vor der Natur. Damit werden aus den schrecklichen die schrecklich-schönen Berge: Sie lösen Nervenkitzel, Spannung und sportliche Herausforderung, aber keine wirkliche Gefahr mehr aus. Und die Bewohner der Alpen werden als „glückliche Wilde“ gesehen, die ihr einfaches Leben auf idyllische Weise im Einklang mit der Natur leben. Damit können die Alpen zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte als „schöne Landschaft“ ästhetisch genossen werden, und dies ist die mentale Voraussetzung für den Tourismus, der wenig später entsteht.

      Beide Alpenbilder sehen den Menschen als total abhängig von Natur; der Unterschied besteht nur darin, dass diese Abhängigkeit zuerst negativ (Bedrohung), dann positiv (Idylle) gesehen wird.

      3. Diese Sichtweise ändert sich erst mit dem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft: An die Stelle der zu bestaunenden schönen Alpen tritt ihre direkte, unmittelbare Nutzung zur Erzeugung von außergewöhnlichen körperlichen Sensationen, wie sie beim Alpinskilauf, Mountainbiking oder anderen Aktivsportarten auftreten. Hierbei stehen die eigenen Körperempfindungen im Mittelpunkt, und die Landschaft wird zur Kulisse – die Alpen werden zum Sportgerät und Freizeitpark. Damit steht der Mensch jetzt erstmals über den Alpen und kann sie grenzenlos für seine Freizeitzwecke verändern und nutzen.

      Diese drei Alpenbilder sind heute oft gleichzeitig anzutreffen und prägen auch unsere ganz persönlichen Alpenwahrnehmungen mehr oder weniger stark. Damit sind zentrale Bewertungen dessen, was „die Alpen“ sind oder was sie sein sollen, verbunden – sind sie unkontrollierbare Wildnis oder harmonische Idylle oder grenzenlos nutzbarer Freizeitpark? Ohne diese normativen Grundlagen anzusprechen, die in diesen Alpenbildern enthalten sind, kann man nicht über die Alpen sprechen. Deshalb steht diese Thematik ganz bewusst am Beginn dieses Buches.

      Der Leser und Betrachter wird deshalb eingeladen, sich an dieser Stelle und bei den folgenden Kapiteln immer wieder zu fragen, mit welchem Alpenbild im Hinterkopf er diese Bilder und Texte wahrnimmt und bewertet. Damit ist keineswegs die Absicht verbunden, die vertrauten Bilder zu zerstören, sondern das Bewusstwerden der damit verbundenen Werte und Normen bereichert das Erleben der Alpen und erleichtert die zahlreichen, wichtigen Diskussionen um ihre Zukunft.

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      8 Auch hier stehen sich nutzungsfeindliche und nutzungsgeeignete Gebiete auf kleinräumige Weise gegenüber: Der breite, gletscherbedeckte Gipfel des Wildstrubels, 3243 m (Berner Alpen), und die weichen Hänge des Saanenlandes (September 2006). Diese Situation wird in den drei klassischen Alpenbildern jeweils sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet.

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      9 Blick vom Monte Matto, 3088 m, in die zentralen Seealpen bei hochsommerlicher Quellbewölkung; ein plötzliches Sommergewitter ist hier jederzeit möglich (August 1983).

      Die schrecklichen Alpen

      Die Alpen sind – mit Ausnahme der kleinen Pyrenäen – das einzige Hochgebirge in Europa, und vergleichbare Gebirge gibt es nur noch an den äußersten Peripherien Europas (Kaukasus, Nordskandinavien, Island). Gleichzeitig liegen die Alpen im Zentrum Europas mitten zwischen fruchtbaren und sehr früh besiedelten Regionen, deren Bewohner die fernen und irreal erscheinenden schnee- und eisbedeckten Berge fast täglich vor Augen haben. Deswegen spielt diese fremde Landschaft in der europäischen Kulturgeschichte schon früh eine herausgehobene Rolle.

      Die Alpen wirken mit ihrem steilen Relief und der langen Dauer der Schneedecke auf die Bewohner des Umlandes spontan feindlich und bedrohlich. Römische Schriftsteller entwickeln daraus dann kurz nach Christi Geburt in Städten der Po-Ebene das Bild der Alpen als „montes horribiles“, der schrecklichen Berge, und machen daraus einen literarischen Topos, der ganz Europa bis ins 18. Jahrhundert


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