Die verbannte Prinzessin. Heinrich Thies
So war es nicht verwunderlich, dass Philipp Christophs Mutter dem Herzog von Celle 1665 die Patenschaft für ihren kleinen Sohn antrug. Wie sich zeigte, vergeblich.
Philipp, so sein Rufname, wuchs mit seinem älteren Bruder Karl Johann und seinen Schwestern Maria Aurora und Amalie Wilhelmine auf dem Schloss Agathenburg in der Nähe von Stade und auf einem Königsmarck-Anwesen in Eppendorf bei Hamburg auf. Trotz seiner schwedischen Staatsbürgerschaft sprach er Schwedisch nur schlecht. Seine Muttersprache war Deutsch.
Im Alter von acht Jahren verlor er seinen Vater. Der General fiel in der Nähe von Bonn in einer Schlacht gegen die Franzosen. Fortan nahm seine Mutter ihn unter ihre Fittiche. Um schon frühzeitig eine gute Partie für ihre Söhne anzubahnen, bereiste Maria Christine mit ihnen etliche deutsche Fürstenhöfe. Unter anderem kam sie an den Hof des Herzogs von Celle. So lernte Philipp Sophie Dorothea schon als Kind kennen. Doch deren Eltern hatten an einer Vertiefung der Beziehung kein Interesse. Denn die Königsmarcks waren zwar reich, aber nicht fürstlich genug.
Die frühe Brautschau fand ein Ende, als Philipp im Alter von 15 Jahren mit seinem Bruder nach England geschickt wurde, um sich zum Krieger, Kavalier und Mann von Welt ausbilden zu lassen. Er schrieb sich unter anderem an der Universität Oxford ein und lernte Englisch und Latein. Und bereits im Alter von 15 Jahren wurde er zum Doktor der Medizin ernannt – eine Ehre, von der er allerdings keinen Gebrauch machte. Er interessierte sich mehr für das Kriegshandwerk. Doch erst einmal erhielt er in dem international renommierten Erziehungsinstitut von Monsieur Foubert in London gesellschaftlichen Schliff. Hier lernte er Reiten, Fechten, Tanzen und Französisch. Und außerhalb des Erziehungsinstituts ließ der junge Königsmarck die Puppen tanzen – legte sich einen Vorrat edler Parfüms und Puderdöschen an, kleidete sich bei den nobelsten Schneidern ein, besuchte Bälle und Soupers, versuchte sein Glück an Spieltischen und leistete sich eine wachsende Dienerschaft. Obwohl sein Jahresbudget gar nicht so knapp bemessen war, sah er sich bald gezwungen, Schulden zu machen. Empört teilte er seiner Mutter in Stade mit, dass es völlig unmöglich sei, mit 2500 Talern im Jahr in London ein auch nur annähernd standesgemäßes Leben zu führen; 1000 englische Pfund (umgerechnet 6666 Taler) seien das Mindeste. Doch schon damals drohten etliche Geldquellen des Hauses Königsmarck zu versiegen. Der junge schwedische König Karl XI. hatte nämlich damit begonnen, die Güter wieder einzukassieren, die seine Vorgängerin an Kriegshelden und andere Reichsgrößen verschenkt hatte. Die so genannte Domänenreduktion betraf auch die Anwesen der Königsmarcks.
Doch Philipp, der in einem luxuriös gepolsterten Nest aufgewachsen war, sah keine Veranlassung, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Die Ermahnungen seiner Mutter empfand er als Zumutung. Auch sein älterer Bruder Karl Johann unternahm nichts, um ihn auf den Pfad der Tugend und Bescheidenheit zu führen. Im Gegenteil. Der Bruder geriet unter den dringenden Verdacht, einen Mord angestiftet zu haben. Nur mit großer Mühe gelang es dem Glücksritter, sich dem Galgen zu entziehen.
Da ihm daraufhin in England der Boden zu heiß wurde, siedelte er mit Bruder Philipp nach Paris über, einer Weltstadt, deren Lustbarkeiten selbstverständlich ebenfalls ihren Preis hatten. So verschlechterte sich die Vermögenslage der Königsmarcks weiter. Philipp stritt erneut mit seiner Mutter um die Höhe seines »Taschengelds«, und vermutlich plante er schon damals, sich durch eine vorteilhafte Heirat neue Geldquellen zu erschließen. Tatsächlich verlobte er sich 1688 mit der Tochter des reichen Grafen Rantzau. Zuvor jedoch führte ihn seine Abenteuerlust aufs Schlachtfeld. Wie andere junge Edelleute seiner Zeit schloss sich auch Philipp 1684 den Truppen des Kaisers an, die in Ungarn und Griechenland gegen die Türken kämpften. Anfangs begleitete er »Türkenlouis«, diente Prinz Ludwig Wilhelm von Baden als Adjutant.
Und der junge Graf legte sich mächtig ins Zeug, stand seinen Mann zwischen schnaubenden Rössern und blutigen Speeren, kämpfte in mannshohem Gebüsch mit gezücktem Degen in der Hand. Und nachdem er sich bewährt hatte, durfte er bald ein kaiserliches Kürassierregiment kommandieren. Unter dem Oberbefehl des schwedischen Feldmarschalls Nils Bielke nahm er in dieser Funktion auch an der Eroberung von Ofen und der Schlacht bei Mohács teil. Dabei blieb er zwar unverletzt, infizierte sich aber mit einer Form der Malaria.
Als im Jahre 1688 das Regiment Bielkes aufgelöst wurde, kehrte er in seine norddeutsche Heimat zurück. Und nachdem er sich in Hannover als Kriegsheld mit Kavaliersqualitäten eingeführt hatte, unterbreitete ihm Herzog Ernst August das Angebot, in seine Dienste einzutreten. Philipp war sofort einverstanden.
Im Mai 1689 war es so weit. Ernst August übertrug dem 21-jährigen Königsmarck das Kommando über seine beiden Kompanien der Schlossgarde, aus denen später das Garderegiment zu Fuß hervorgehen sollte. Als Oberst nahm Königsmarck mit dieser Elitetruppe noch im gleichen Jahr am Feldzug gegen die Franzosen am Mittelrhein teil. Beim Sturm auf Mainz wurde er am 6. September am Oberschenkel verwundet, kurze Zeit später stand er aber schon wieder an der Front, diesmal in Flandern.
Im November 1689 verließ Philipp Christoph mit seiner Truppe das Feldlager, kehrte nach Hannover zurück und ließ sich in der Calenberger Neustadt nieder. Und schon bald zog er in die Altstadt und mietete hier ein Fachwerkhaus mit drei Stockwerken in der Osterstraße. Im Erdgeschoss befanden sich sechs, im ersten Stock acht Zimmer. Er beschäftigte 29 Bedienstete und hielt auf seinen Gütern insgesamt 52 Pferde und Maultiere.
Gemessen an diesem Tross von Domestiken, den Ställen voller Pferde, dem Haus voll kostbarer Möbel, Wandbehänge, Gemälde und Silberbestecke nahm sich sein Soldatengehalt bescheiden aus. Doch der Oberst kam schließlich aus reichem Hause, und nach dem Tod seines Bruders und der Erlangung seiner Volljährigkeit wurde Philipp zum Familienoberhaupt – seine Mutter starb 1691. Trotz der Domänenreduktion bezog er immerhin noch 6850 Taler allein aus seinen schwedischen Gütern, und die Einnahmen aus anderen Besitzungen kamen noch hinzu. Doch das Geld reichte nicht. Zum einen hatte er jährlich 4600 Taler an seine Schwestern und andere Familienangehörige abzuführen, zum andern waren manche Güter hoch verschuldet. Zudem zeigte sich der schwedische König weiterhin bestrebt, Güter in den Besitz der Krone zurückzuführen, sodass er befürchten musste, seine Ländereien im Amt Wollin und in Estland genauso zu verlieren wie zuvor seine Güter in Bederkesa oder im schwedischen Westerwik.
Doch der junge Grandseigneur blieb gelassen. Obwohl er bei dem Hofjuden Lefman Berens bereits tief in der Kreide stand, spielte er weiterhin mit hohen Einsätzen. Und er verlor Tausende von Talern in einer einzigen lustigen Lagernacht. Nein, er war einfach nicht bereit, sich den Kopf über Geld zu zerbrechen. Das Knausern überließ er anderen.
Die Briefe
Spätestens mit jenem Maskenball des Jahres 1690 trat eine Frau in sein Leben, die ebenfalls ihr Glück außerhalb der vorgegebenen Bahnen suchte. Seit jenem Menuett versuchte er alles, der Prinzessin nahe zu sein. Bei fast allen Festen sah man die beiden in diesem Frühjahr zusammen. Das blieb nicht unbemerkt. Und wieder war es Fürstin Sophie, die sich genötigt sah, ihre Schwiegertochter auf die Unschicklichkeit ihres Tuns hinzuweisen.
So trafen sich die Verliebten heimlich, und sie schrieben einander Briefe. Als Mittlerin fungierte dabei Eleonore von dem Knesebeck, Sophie Dorotheas Hofdame. Die »Confidente«, die Verbündete, wie sie in den Briefen genannt wird, brachte Sophie Dorotheas Briefe an Königsmarck auf den Weg und nahm die Königsmarck-Briefe in Empfang, die aus Sicherheitsgründen nicht an die Prinzessin, sondern an sie adressiert waren.
Auch für den Fall, dass die Briefe abgefangen und in die Hände von Außenstehenden geraten sollten, sorgten die Verliebten vor. Unter anderem dachten sie sich Decknamen aus. Sophie Dorothea nannte sich Hermione, Silvie oder Coeur gauche (frei übersetzt Herzdame), Königsmarck war Chaevalier (Kavalier) oder Tircis, seine Geliebte sprach er als »Prinzess« oder einfach »Pr.« an.
Viele Decknamen ließen durchblicken, was die Briefeschreiber von den Betreffenden hielten. Sophie Dorotheas Gemahl Georg Ludwig war »Incommode« (Störenfried) oder »Reformeur«, die Platen wurde mal als »Perspective« (Fernrohr), mal als »la Grosse« (dicke Berta) bezeichnet. Spöttisch nannten die Liebenden Fürst Ernst August »Don Diego«, Feldmarschall Podewils »Bonhomme« (Biedermann). Die Herzogin von Celle, die den beiden bisweilen unerwünschte Ratschläge erteilte, wurde zur »Pédagogue« (Erzieherin).
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