Die verbannte Prinzessin. Heinrich Thies
Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass sie die Herzen aller Männer Venedigs im Sturm erobert hat. Alla Salute, Principe.«
»Alla Salute, Comte.«
Georg Ludwig beschränkte sich darauf, sein Glas zu erheben. Jede Erwiderung aus seinem Munde hätte peinlich gewirkt in diesem Kreis. Dennoch war er – bei all seiner Unsicherheit – auch stolz, eine Frau zu haben, die so bewundert wurde. Zum Glück bekam er bald Gelegenheit, Fragen zum Krieg zu beantworten, denn der Kampf gegen die Türken war auch für die Nobili von Interesse. Und auf diesem Feld kannte er sich aus wie sonst niemand am Tisch. So erzählte er von seinen siegreich geführten Schlachten im Dienst der Habsburger und gewann nach und nach sein Selbstbewusstsein zurück.
»Bravo, Principe«, prosteten sie ihm zu.
»Bravo, Signor.«
Berauscht vom Wein und der erfreulichen Resonanz auf die Schilderung seiner Heldentaten fühlte er sich ungeheuer stark, als er Sophie Dorothea später in der Nacht in ihrem Gemach aufsuchte. Die Laute der Liebenden mischten sich mit Geigenklängen, die vom Canal Grande ins Zimmer heraufwehten – wehmütige Musik einer Gondelgesellschaft, die das Ende des Karnevals feierte. Doch schnell erschlaffte die Kraft des Liebhabers. Und als die Glocken von Santa Maria Gloriosa dei Frari zur dritten Stunde läuteten, schlief Georg Ludwig schon.
Die nächsten Tage nutzte Sophie Dorothea, um ihrem Mann die Stadt zu zeigen. Besonders wissbegierig war Georg Ludwig jedoch nicht. Er bewunderte zwar die Pracht der Dogenpaläste, aber die amüsanten Geschichten über das Leben in dieser Stadt entlockten ihm nur ein Gähnen. In manchen Momenten reagierte er sogar mit Widerwillen auf die glitzernde Inselwelt. Im Unterschied zu seinem Vater war er viel zu sparsam, um sich diesem Luxus hinzugeben. Auch die Umstellung bereitete ihm Probleme. Der Kanonendonner der Schlachtfelder, die er erst vor wenigen Wochen verlassen hatte, hallte noch in ihm nach. Und wo Sophie Dorothea den würzigen Duft des Meeres einsog, roch er nur den fauligen Moder des brackigen Kanalwassers.
Langsam, ganz allmählich, gelang es aber auch ihm, sich auf Venedig einzustellen. Beeindruckt zeigte er sich vor allem von der prachtvollen Feier im Mai, die wie in jedem Jahr Venedigs Vermählung mit dem Meer symbolisierte. Als der Doge unter fortwährendem Salutschießen auf seinem Prunkschiff den Palast verließ, läuteten alle Glocken der Stadt. Unzählige buntgeschmückte Gondeln schlossen sich dem herrschaftlichen Schiff an, das mit seiner scharlachroten Bedachung und dem goldlackierten Schnitzwerk über der Flotte aufragte.
Georg Ludwig war begeistert. Solche Prachtentfaltung riss auch ihn mit. Doch das Hochgefühl war nicht von Dauer. Georg Ludwig litt darunter, dass Sophie Dorothea nur in den Nächten ihm gehörte; tagsüber und abends musste er sie mit den Exzellenzen der Stadt teilen. Und das gesellschaftliche Leben Venedigs stieß ihn zunehmend ab. Spöttisch berichtete er seiner Mutter in einem Brief von einer Prunkregatta. Ein Wirbelstoß, schrieb er, habe eine Anzahl Gondeln mit Nobili erfasst und umgekippt. Doch keiner sei im Canal Grande »versoffen«. Der Herrgott habe da wohl seine Gerechtigkeit unter Beweis stellen wollen, indem er Leute, die das Feuer verdienten, nicht mit Wasser strafe.
Er berichtete seiner Mutter auch von Sophie Dorothea. Stolz schrieb er ihr, wie der Herzog von Mantua als Gastgeber einer Abendgesellschaft von seiner Frau in den höchsten Tönen geschwärmt habe. Er spöttelte aber auch über lächerliche Verehrer, die mit Sophie Dorothea tanzten wie die Witzfiguren in französischen Lustspielen. Er selbst tanzte nicht so viel mit seiner Frau. Er hatte ja auch nie richtig tanzen gelernt. Nicht das Menuett, das jetzt vom Hofe Ludwigs XIV. aus die Paläste Europas eroberte, sondern der Krieg füllte seine Tage aus. So fiel es ihm schwer, sich mit der gebotenen Leichtigkeit auf dem venezianischen Parkett zu bewegen. Und bei allem Spott über die gepuderten Lebemänner konnte man aus seinen Zeilen an seine Mutter auch eine wachsende Eifersucht herauslesen.
Richtig entfacht aber wurde diese Eifersucht erst durch eine Vertraute aus Hannover, die schon wenige Tage nach ihm in Venedig eingetroffen war: Elisabeth von Platen. Mit scheinbar beiläufigen Bemerkungen über die Beliebtheit Sophie Dorotheas, mit bissigen Scherzen über die Auftritte der Prinzessin bei Maskenbällen und Festmählern schürte sie Georg Ludwigs Argwohn.
Die von galanter Höflichkeit überzuckerte Feindseligkeit gegen die Schwiegertochter des herzoglichen Liebhabers entsprang gärendem Hass. Denn mehr noch als in Hannover litt die mächtige Mätresse hier in Venedig unter dem Gefühl, im Schatten von Sophie Dorothea zu stehen. Selbst nach dem Eintreffen seines Sohnes hofierte Ernst August ja weiter seine Schwiegertochter. Nein, das wollte sie sich nicht bieten lassen!
Und so begann sie, Georg Ludwig Gerüchte über Affären seiner Frau zuzuflüstern – alles im Tonfall der wohlmeinenden älteren Freundin, die dieses Gerede selbstverständlich für haltlos hielt, für völlig haltlos. Aber die Giftpfeile wirkten. Georg Ludwig beobachtete den Lebenswandel seiner Frau mit wachsendem Misstrauen. Besonders wütend stimmte ihn ein Abendempfang, den der Doge Marcantonio Giustinian in seinem Palazzo aus Anlass einer siegreichen Schlacht gegen die Türken auf dem Pelepones veranstaltete.
Eigentlich hätte es ein schöner Abend werden können. Der Glanz der Abendsonne vergoldete die Stadt, Frühlingswinde wehten von der Adria über die Piazza. Und die Musikanten des Dogen taten das ihre, um die Gäste mit ihren Weisen zu verzaubern.
Doch bald schon ärgerte es Georg Ludwig, wie übertrieben herzlich seine Frau diesen albernen Franzosen begrüßte. Hätte es nicht gereicht, dem Lackaffen die Hand zu geben? Musste Sophie Dorothea sich von dem Kerl mit der bläulich schimmernde Perücke auch noch einen Wangenkuss aufdrücken lassen? Was sollte diese Komödie!
Seine Frau indessen schien nichts dabei zu finden. Völlig unbefangen wandte sie sich ihrem Mann zu.
»Georg Ludwig, das ist Marquis Armand de Lassay, ein guter Freund.«
»Sehr erfreut.«
Aber natürlich war er gar nicht erfreut, die Bekanntschaft dieses Kavaliers zu machen. Marquis de Lassay? Hatte die Platen nicht schon einmal diesen Namen erwähnt? Natürlich! Das war doch der Edelmann, dem eine Tändelei mit seiner Frau nachgesagt wurde. Ungeheuerlich! Wie konnte sie es wagen, ihm mit diesem Komödianten mit den so lächerlich spitz zulaufenden Schnallenschuhen unter die Augen zu treten! Und sie machte sich nicht mal die Mühe, ihre Liaison zu verbergen. In seinem Beisein turtelte sie mit dem Marquis herum, scherzte und kicherte mit ihm, dass ihm das Blut stockte vor Empörung. Unerhört!
»Eine reizende Frau.« Georg Ludwig fuhr verstört auf, als ein ihm unbekannter Gast mit einer galanten Drehung des Handgelenks auf Sophie Dorothea zeigte. »Wirklich, eine überaus reizende Gemahlin, man kann Euch nur gratulieren.«
»Tausend Dank.«
Er nickte. Reizend, wirklich sehr reizend, durchfuhr es ihn.
»Eure Gemahlin scheint sich zu amüsieren«, fuhr der Mann fort. »Ihr solltet Euch ein Beispiel daran nehmen.«
Georg Ludwig konnte nur mit Mühe an sich halten. Am liebsten hätte er den Raum verlassen.
»Ich amüsiere mich prächtig«, murmelte er. »Ein wunderbarer Abend, nicht wahr?«
»Wirklich, bezaubernd.«
Er meinte, ein unterdrücktes Lachen bei dem Grafen zu beobachten. Machte man sich etwa schon lustig über ihn? War es schon soweit?
In der Nacht zog Nebel auf. Der graue Dunst umhüllte die Laternen auf den Brücken und Gassen, schluckte das Licht der Paläste. Der Gondoliere stieß sein Boot von der Ufertreppe des Palazzo ab, so dass die Gondel mit dem Prinzenpaar und ihrem kleinen Gefolge lautlos im Nichts versank. Sophie Dorothea stand mit Eleonore an der einen, Georg Ludwig mit seinem Pagen an der anderen Seite des schwankenden Gefährts. Die beiden sprachen während der Fahrt kein Wort, tauchten ab in den Nebel, der ihr Schweigen umhüllte und ihre Gestalt den Blicken des anderen entzog. Gern hätte sich Sophie Dorothea wie früher nach den Abendgesellschaften bei ihrem Schwiegervater angelehnt. Doch der war mit seiner Gräfin in ein anderes Boot gestiegen.
Die Gondolieri riefen sich geheimnisvolle Botschaften zu, um sich in dem Nebel zu orientieren und Zusammenstöße zu vermeiden. Gespenstisch hallte das Echo des schwermütigen Singsangs durch die versunkene