Die verbannte Prinzessin. Heinrich Thies

Die verbannte Prinzessin - Heinrich Thies


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wurde.

      Die Braut fühlte sich, als gehe sie ihrer eigenen Hinrichtung entgegen. Doch die Tränen wurden überpudert. Wie weiß gekalkt wirkte Sophie Dorotheas Gesicht auf die wenigen Augenzeugen.

      Zu den Gästen zählte der französische Gesandte René Marquis de Arcy. Nach dem Bericht des Diplomaten fand die Eheschließung nicht etwa in der Schlosskapelle statt, sondern im purpurrot tapezierten Prunksalon der Prinzessin. Und gleich im Anschluss an die Trauung wurde das junge Paar zum Bett geleitet.

      Wörtlich heißt es in dem Bericht, den der französische Gesandte am 4. Dezember 1682 seinem König Ludwig XIV. erstattete:

      »Seit meiner Rückkehr von der großen Wildschweinjagd mit dem Herrn Herzog von Celle hat man an diesem Hof alle Sorgfalt und alle Gedanken angewandt für die Hochzeit der Prinzessin von Celle und dem erstgeborenen Prinzen von Hannover. Die Hochzeit selbst wurde vorgestern ausgeführt, und fast zur gleichen Zeit wurde die Ehe vollzogen. Es geschah ohne irgendeine Zeremonie und fast unbemerkt von der Außenwelt, so wie man es schon immer vermutet hatte. Denn vorgestern Abend, nachdem die Hoheiten von Celle und Hannover wie gewohnt soupiert hatten, zogen sie sich gegen 10 Uhr abends in ihre Gemächer zurück, um sich dann im Appartement der Prinzessin zu versammeln, wo sich ein Priester befand. Die Ehe wurde geschlossen in Gegenwart Ihrer Hoheiten von Celle und Hannover und der Herren Podewils (hannoverscher Heerführer und Mitglied des geheimen Rates) und Chauvet (der die gleichen Ämter in Celle innehatte) und einiger anderer Offiziere aus dem Gefolge, die man insgeheim benachrichtigt hatte, sich dort einzufinden. Endlich endete die Angelegenheit gegen 11 Uhr abends damit, dass man das Brautpaar zu Bett brachte. Gestern fand hier eine Art von kleinem Ballett zusammen mit einer Oper statt, um die Hochzeitsgäste zu erfreuen, und es wird ein ganz schönes Feuerwerk vorbereitet, das man, glaube ich, heute Abend abbrennen wird. Der Prinz von Hannover wird hier noch eine Weile mit seiner Frau, der Prinzessin, bleiben. Der Herzog und die Herzogin von Celle werden sie dann nach Hannover begleiten …«

      Am 19. Dezember 1682 hielten die Jungvermählten Einzug in Hannover. Sie fuhren vor in einer cremefarbenen Staatskutsche, die von sechs Hengsten aus dem Celler Marstall gezogen wurde – eskortiert von einem Regiment der Kavallerie, begleitet von den Eltern Sophie Dorotheas, von Ministern wie dem Grafen Bernstorff, von Hofdamen, Pagen und hohen Beamten. Tausende säumten die Straßen Hannovers, um der Braut zuzujubeln.

      Die unerwartete Herzlichkeit rührte die Erbprinzessin, und sie winkte zurück, entschlossen, das Beste aus dieser Ehe zu machen. Ein wenig Trost fand Sophie Dorothea auch darin, dass ihr persönliches Kammerfräulein, Eleonore von dem Knesebeck, sie nach Hannover begleiten durfte.

      Nach der schlichten Eheschließung in Celle wurde die Hochzeit nun in Hannover in barocker Pracht gefeiert. Überliefert ist das Festgedicht, das der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz, ein guter Freund der Fürstin Sophie, verfasste und selbst vortrug. Es besteht aus 56 Zeilen und rühmt vor allem den hannoverschen Erbprinzen Georg Ludwig – als »würdigen Sohn eines Helden« und als »Neffen des Mars auf Erden«. In den letzten vier Zeilen heißt es:

       »Europa verspricht sich von dieser großen Hochzeit die Früchte der Schönheit, die Auswirkungen des Mutes. Prinz, geliebt von den Himmeln, Euer Schicksal sei so lieblich, dass es die Könige, ja selbst die Götter eifersüchtig machen wird.«

      Die Herzogin Sophie lauschte den Versen des großen Philosophen und Freundes voller Hingebung. Sophie Dorothea dagegen zeigte sich eher gelangweilt. Dabei fehlte es ihr an Bildung nicht. »Ihre reichen geistigen Anlagen, erweitert durch gute Lektüre und angeborene Lebendigkeit gehen bei ihr Hand in Hand mit glücklicher Erfindungsgabe, und der natürliche gute Geschmack, den sie besitzt, ist durch eine sorgfältige Erziehung noch verfeinert und gebildet«, schrieb das französischsprachige Gesellschaftsblatt »Mercure galant« nach ihrer Ankunft in Hannover. »Sie weiß über alles zu sprechen und geht gewandt auf jeden Gegenstand der Unterhaltung ein.« Auch die Schönheit der jungen Erbprinzessin wurde in dem Lobgesang gerühmt: »Sie hat kastanienbraunes Haar, ein niedliches Grübchen auf dem Kinn, einen glatten und schönen Teint und einen sehr schönen Busen.« Hervorgehoben wurde zudem, dass Sophie Dorothea eine »vortreffliche Tänzerin« sei, dass sie Cembalo spiele und den Gesang beherrsche.

      Gleichwohl: Sophie Dorothea tat sich schwer am hannoverschen Hof. Sie bezog neben der Schlosskirche mit ihrem Angetrauten den finsteren Altbau des Schlosses, in dem sie einen kompletten Hofstaat vorfand – mit Kammerherren, Ehrendamen, Pagen und einem äußerst strengen Zeremoniell. Vor allem ihre Schwiegermutter achtete auf Etikette. Sophie Dorothea hatte ständig das Gefühl, etwas falsch zu machen. Bisher war sie es gewohnt gewesen, sich mit ihrer heiteren Art über die festen Regeln des Hoflebens hinwegzusetzen. Aber in Hannover war das unmöglich. Dauernd wurde sie von der Fürstin zurechtgewiesen. Ob sie es sich erlaubte, mit Menschen niederen Ranges zu plaudern oder an der herrschaftlichen Tafel zu gähnen, wenn sich das Mahl über fünf Stunden hinzog, stets war mit einer Zurechtweisung oder zumindest mit einem tadelnden Blick zu rechnen.

      Sophie Dorothea sehnte sich zurück nach Celle, nach dem schönen Schloss mit den kupfergrünen Glockentürmchen, auf denen sich vergoldete Wetterfahnen drehten, nach den kleinen Fachwerkhäusern in dem kleinen Städtchen. Sie vermisste ihr Zimmer, das Delfter Fayencenkabinett, den Blick auf den Schlossgraben.

      Einige Dinge, an denen ihr Herz hing, hatte sie immerhin mitnehmen dürfen: die Puppen, mit denen sie als Kind gespielt hatte, ihre Fayencenhühner. Doch Sophie Dorothea vermisste ihre Eltern, sehnte sich nach der Liebe, die ihr in Celle zuteil geworden war. Bei ihrem Gatten jedenfalls konnte von Zärtlichkeit keine Rede sein. Kalt und verschlossen trat er ihr entgegen. Und sie musste es hinnehmen, dass Georg Ludwig weiterhin seine Mätresse besuchte.

      Kam der Erbprinz dann doch einmal wortlos zu ihr ins Bett, dann war das, was folgte, von Liebe weit entfernt.

      Nichts als Ekel und Hass empfand sie in solchen Momenten für ihren Mann. Mit Bitterkeit musste sie an die Hochzeitsverse des berühmten Philosophen denken: »Die göttliche Schönheit, die Euer Herz unterwarf, wir verdanken sie den Reizen Frankreichs …« Wie verlogen! In Wirklichkeit, davon war sie überzeugt, sah Georg Ludwig sie immer noch als »Bastard«, verabscheute ihr »geziertes Getue«, wie er einmal gesagt hatte, hasste es im Grunde seines Herzens, mir ihr das Bett teilen zu müssen.

      Und er ließ sie es spüren.

      Doch sie wusste, dass sie ihre ehelichen Pflichten erfüllen musste. Und schon einen Monat nach der Hochzeit wurde sie schwanger.

      Immerhin würden ihr bald die nächtlichen »Besuche« ihres Mannes erspart bleiben. Denn Georg Ludwig war entschlossen, dem Ruf des Kaisers zu folgen und in den Krieg nach Ungarn zu ziehen. Bei einem Feldzug gegen die Türken sollte er die hannoverschen Truppen anführen.

       und erbärmlicher Gestank

      Auch außerhalb der Schlossmauern fand Sophie Dorothea nur wenig Gefallen an Hannover. Ein schmieriger Film aus Schmutz, Kot und Unrat überzog Straßen und Plätze und verbreitete einen üblen Gestank, der sich mit den Ausdünstungen von Moder und Fäulnis verband. Von einer herrschaftlichen Residenzstadt hatte Hannover in diesen Februartagen wenig. Nass, kalt und grau waren die engen, winkligen Gassen rund um die Kirche St. Georgi et Jacobi (heute Marktkirche), und dem Schloss an der Leine war immer noch anzusehen, dass es einmal ein Kloster gewesen war.

      Hohe Mauern, Wälle, Bastionen und Gräben umschlossen die Stadt. Der Zugang war nur durch drei Stadttore möglich, die bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen wurden: Aegidientor, Steintor und Leinetor. Hochgestellten Herrschaften öffneten die Torwächter, die ihre Wohnungen über den Toren hatten, selbstverständlich auch nachts.

      Jenseits der Leine schloss sich an die Altstadt die Calenberger Neustadt an, wo reiche Kaufleute und Adlige seit Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ihre Häuser hatten bauen lassen. Hier ließen sich auch Angehörige des Hofstaates und der Regierungsbehörden nieder, für die in der übervölkerten Altstadt kein Platz mehr war. Von den 10 000 Einwohnern Hannovers lebten Ende des siebzehnten Jahrhunderts rund 6500 in der Alt- und 3500 in der Neustadt.

      Der fürstliche Hof beherrschte


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