Der König und sein Spiel. Dietrich Schulze-Marmeling

Der König und sein Spiel - Dietrich Schulze-Marmeling


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3:2 gewann. Es folgten zwei torreiche Remis: 1912 in Zwolle (5:5) und 1914 in Amsterdam (4:4).

      Die erste Nachkriegsbegegnung am 10. Mai 1923 in Hamburg endete torlos. Erst am 21. April 1924 bzw. beim siebten Aufeinandertreffen durften die Deutschen ihren ersten Sieg über den kleinen Nachbarn feiern. In Amsterdam gewann die DFB-Elf durch ein Tor des Fürthers Karl Auer mit 1:0.

      Als sich auch auf dem Kontinent der Professionalismus durchsetzte, gerieten die Niederlande mehr und mehr ins Hintertreffen, bis sie auf den Status einer bestenfalls zweitklassigen Fußballnation gesunken waren. Allerdings schaffte diese Situation auch Freiräume für Experimente und Lernprozesse.

      „Urväter“ des „holländischen Spiels“: Jimmy Hogan…

      Dordrecht ist eine knapp 120.000 Einwohner zählende Stadt und Gemeinde in der niederländischen Provinz Südholland. Um die Stadt herum teilt sich der Rheinarm Beneden Merwede in den Kanal Noord, die Oude Maas und den Dordtse Kil. Schon 1220 erhielt Dordrecht seine Stadtrechte und ist damit die älteste Stadt im ehemaligen Holland. Am 15. Juli 1572 war Dordrecht Ausgangspunkt des niederländischen Unabhängigkeitskampfes, als im Gebäude „Het Hof“ Repräsentanten der meisten Stände der Niederlande zusammenkamen, Wilhelm von Oranien zu ihrem Führer kürten und ihre Unabhängigkeit von Spanien erklärten.

      338 Jahre später ist Dordrecht Ausgangspunkt des niederländischen Passspiels.

      1910 bemüht sich der 1883 gegründete FC Dordrecht um einen englischen Lehrmeister. Es bewirbt sich der 28-jährige Jimmy Hogan, Sohn eines irisch-katholischen Fabrikarbeiters aus Nelson in der bereits erwähnten Grafschaft Lancashire. Hogan kennt Dordrecht. Ein Jahr zuvor hat sein Klub, Swindon Town, eine Kontinentaltour unternommen und dabei auch in Dordrecht vorgespielt. Der Ex-Profi Hogan ist ein Novize im Trainergewerbe und verfügt über keinerlei Übungsleiter-Erfahrungen. Doch der FC Dordrecht ist nur Hogans erste Station auf dem Kontinent, dessen Fußball er nun wesentlich beeinflussen wird. (Hogan ist nicht die einzige Trainerlegende, die beim FC Dordrecht arbeitet. Der Klub ist 1939 bis 1942 die letzte Station des Ungarn Arpád Weisz, der 1930 34-jährig Inter Mailand zur Landesmeisterschaft geführt hat und bis heute der jüngste Meistertrainer in der Geschichte der Serie A ist. Im August 1942 wird der Jude Weisz von den deutschen Besatzern verhaftet und ins Durchgangslager Westerbork verschleppt. Wenige Wochen später wird Weisz nach Auschwitz deportiert und dort im Januar 1944 ermordet.)

      Schon in Dordrecht zeigt sich, wofür Jimmy Hogan später Berühmtheit erlangen wird. Der Trainer legt allerhöchsten Wert auf Ballkontrolle und Passgenauigkeit. Er ist zwar Engländer, aber kein Vertreter der englischen Fußballphilosophie. Vielmehr neigt Hogan, wie viele andere englische Entwicklungshelfer auf dem Kontinent, eher zur schottischen Schule. Schottland ist das Geburtsland des Kurzpassspiels, was auch mit den dortigen Boden- und Wetterverhältnissen zu tun hat.

      Bald wird der niederländische Verband auf Hogan aufmerksam und verpflichtet ihn für das bereits erwähnte Länderspiel gegen die Deutschen in Kleve. Fußballgeschichte schreibt Jimmy Hogan allerdings vor allem in Budapest und Wien. In Budapest betreut er MTK (1916-18, 1925-28), das zeitweise beste Team auf dem Kontinent. 1932/33 unterstützt er Hugo Meisl vor Spielen des österreichischen „Wunderteams“ gegen England und Schottland. In Deutschland, wo man ihn vor dem Ersten Weltkrieg als Verbandstrainer verpflichten wollte, trainiert er vier Jahre den Dresdner SC.

      Hogan zählt heute zu den wichtigsten Pionieren des kontinental-europäischen Fußballstils. Gusztáv Sebes, der Trainer des ungarischen „Wunderteams“ der Jahre 1950 bis 1954, erzählt später: „Er brachte uns alles bei, was wir über Fußball wissen müssen.“

      …und Jack Reynolds

      1912 betritt Hogans Landsmann Jack Reynolds den Kontinent. Als Spieler trat der 1881 in Manchester geborene Reynolds vornehmlich für Vereine aus dem industriellen Norden Englands vor den Ball: Manchester City, Burton United, Grimsby Town, Sheffield Wednesday, AFC Rochdale. Reynolds war nur ein mittelmäßiger Kicker, seine beste Saison erlebte er 1904/05 beim Zweitdivisionär Grimsby.

      1912 wird Reynolds Trainer des FC St. Gallen, der am 19. April 1879 gegründet wurde und möglicherweise der älteste Fußballklub auf dem Kontinent ist. 1914 verlässt der Engländer die Ostschweiz, um die deutsche Nationalelf zu trainieren, aber der Erste Weltkrieg macht diesem Ansinnen einen Strich durch die Rechnung. Reynolds flieht in die Niederlande, wo er 1915 Ajax Amsterdam übernimmt.

      Ajax war gewissermaßen zweimal gegründet worden. Am 5. Oktober 1893 riefen Schüler der an der Weteringschans liegenden Hogere Burgerschool (Höhere Bürgerschule = Gymnasium) in einem Café am Amstelveenseweg einen Fußballverein ins Leben, den sie zunächst „Union“ tauften. 1894 wurde Union in Foot-Ball Club Ajax umbenannt, nach dem griechischen Heerführer der Troja-Sage.

      Dem Klub, der auf einem kleinen Feld am Ende von Overtoom, außerhalb der Stadtgrenze, spielte, war jedoch nur eine kurze Existenz beschieden. 1896 führte ein interner Streit zum Austritt der meisten Mitglieder, und der Klub fiel auseinander.

      Am 18. März 1900 wurde der Amsterdamsche Football Club Ajax im Kaffeehaus „Oost-Indie“ neu gegründet.

      Bei Ajax beerbt Jack Reynolds nun den Iren John Kirwan, einen früheren Internationalen, der zunächst Gaelic Football gespielt und 1894 mit der Auswahl der Grafschaft Dublin die All-Ireland-Championship gewonnen hat. Anschließend wechselte Kirwan zum Fußball und holte mit den Tottenham Hotspurs 1901 den FA-Cup. 1910 zog der Ire in die Niederlande und wurde dort erster bezahlter Trainer von Ajax, das er bereits nach einer Saison in die 1. Liga führte. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte Kirwan zurück nach London, später trainierte er noch den A.S. Livorno in Italien.

      Nachfolger Jack Reynolds bleibt von 1915 bis 1947 in Amsterdam, mit kurzen Unterbrechungen: 1919 trainiert er kurzzeitig die Elftal, 1925-28 Blauw-Wit Amsterdam, den „jüdischen“ Klub aus dem Süden der Hauptstadt. Unter Reynolds avanciert das zunächst unbedeutende Ajax zu einer der führenden Adressen des niederländischen Fußballs, gewinnt 1918 seinen ersten niederländischen Meistertitel und erlebt in den 1930ern seine erste goldene Ära. Das Team wird fünfmal Meister: 1931, 1932, 1934, 1937, 1939.

      Den Zweiten Weltkrieg verbringt Reynolds u. a. in einem Gefangenenlager im oberschlesischen Örtchen Tost, danach kehrt er zurück zu Ajax, wo er mit seinen Ideen u. a. den Spieler Rinus Michels beeinflusst. 1947 führt Reynolds Ajax ein letztes Mal zur Meisterschaft, es ist seine achte mit dem Klub. Der Engländer dient Ajax insgesamt 27 Jahre und bleibt auch nach dem Ende seiner Trainerkarriere in Amsterdam, wo er 1962 im Alter von 81 Jahren stirbt.

      Reynolds gilt als der eigentliche Erfinder des Ajax-Stils bzw. des „Fußball total“, den Rinus Michels dann ab Mitte der 1960er weiterentwickelt. Denn Reynolds ist der Erste, der Ajax eine auf guter Technik basierende offensive Spielphilosophie einimpft: „Für mich ist und bleibt der Angriff die beste Verteidigung.“

      Die Übereinstimmungen zwischen Reynolds und Michels sind frappierend. Beide waren Disziplinfanatiker und legten allergrößten Wert auf das Trainieren der Technik. Bereits Reynolds lässt extrem viel mit dem Ball arbeiten. Außerdem erkennt er die Bedeutung einer systematischen Nachwuchsarbeit. Jugend und 1. Mannschaft werden in Hinblick auf Taktik und Technik miteinander verzahnt, sämtliche Ajax-Teams verfolgen dieselbe Philosophie und kicken im selben System. Damit dies garantiert ist, verbringt Reynolds gewöhnlich täglich 14 Stunden auf der Ajax-Anlage.

      In seiner Heimat hätte Reynolds kaum reüssieren können. In England, wo bereits 1888 mit der Football League die erste nationale Fußballliga der Welt angepfiffen wurde, stand die Arbeit des Trainers schon viel zu stark unter kurzfristigem Erfolgsdruck. „Den Sieg organisieren“, hatte Herbert Chapman, der Erfinder des W-M-Systems, die Vorgabe formuliert.

      Derartige Ligastrukturen existierten in den Niederlanden noch nicht. Jonathan Wilson, Taktik-Experte und „Guardian“-Kolumnist: „Insbesondere britische Trainer wagten hier Experimente, die man in ihrer Heimat als hoffnungslos idealistisch verworfen hätte.“

      Vic Buckingham

      Dies


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