Reds. Dietrich Schulze-Marmeling
Der Klubsekretär, Fabrikmanager Major William Sudell, machte keinen Hehl daraus, dass man Spieler importiert und diese mit Arbeitsplätzen versorgt hatte. Auf der Suche nach Verstärkungen war der umtriebige Sudell vor allem in Schottland fündig geworden, wo er u. a. den Torjäger Jimmy Ross rekrutierte.
Sudell war ein entschiedener Befürworter des Professionalismus und behauptete, er habe zum Wohle des Spiels gehandelt. Denn ohne die Verstärkung mit „Gastarbeitern“ wäre es seinem Klub nicht möglich gewesen, mit den mächtigen Blackburn Rovers zu konkurrieren. Preston North End wurde disqualifiziert und für ein Jahr vom FA-Cup ausgeschlossen. Zwei weiteren „proletarischen“ Klubs – Burnley und Great Lever aus Bolton – erging es ebenso.
Im Oktober 1884 trafen sich in Manchester die Vertreter von 31 Vereinen, darunter die meisten Topadressen Lancashires sowie Aston Villa, Walsall Swifts und Sunderland. Als Befürworter des Profitums drohten sie mit dem Auszug aus der FA und der Gründung einer eigenen British Football Association. Neun Monate später lenkte der Verband ein und gestattete das Berufsspielertum, wenngleich zunächst nur in restriktiver Form. Wenn man die Entwicklung des professionellen Fußballs schon nicht verhindern konnte, so wollte man sie wenigstens kontrollieren. Also verordnete die FA eine Gehaltsobergrenze für Profis.
Am 2. März 1888 lud der Geschäftsmann William McGregor die Klubs Bolton Wanderers, Blackburn Rovers, Preston North End, West Bromwich Albion und Aston Villa ins Anderton’s Hotel in der Londoner Fleet Street ein. Am Vorabend des FA-Cup-Endspiels wollte McGregor über die Gründung einer nationalen Fußball-Liga diskutieren. Denn allein auf Basis des FA-Cups und weiterer regionaler Pokalwettbewerbe ließ sich eine Saison nicht finanziell planen. Bei frühzeitigem Ausscheiden war das Pflichtspielprogramm schnell beendet. Was noch blieb, waren Freundschaftsspiele, die aber bisweilen den Pokalverpflichtungen eines der Teams zum Opfer fielen. Freundschaftsspiele litten ohnehin unter ihrer Unverbindlichkeit, und so wurden Begegnungen schon mal wegen schlechten Wetters, Transportproblemen oder einfach, weil der eine oder andere Leistungsträger verletzt war, abgeblasen. Manchmal trafen die Absagen so kurzfristig ein, dass die fußballinteressierte Öffentlichkeit erst im Stadion davon erfuhr.
Die nach London eingeladenen Klubs wurden von McGregor gebeten, sich über die Zukunft einer solchen Liga Gedanken zu machen. Er wollte, „dass sich zehn oder zwölf der prominentesten Vereine in England zusammenfinden, um in jeder Saison Heim- und Auswärtsspiele gegeneinander auszutragen“. Die anvisierte Vereinigung sollte Association Football Union heißen.
McGregor und seine Mitstreiter wurden durch die Entwicklung in den USA ermutigt, wo die Professionalisierung des Sports früher begonnen hatte. Die USA waren gewissermaßen das Geburtsland des Profisports, der sich dort nicht mit dem ideologischen Ballast einer aristokratischen Sporttradition herumschlagen musste. Im Winter 1876 wurde die National League of Professional Baseball Clubs ins Leben gerufen, die weltweit erste Profiliga und das erste Sportunternehmen der Welt. Anders als bei der späteren englischen Football League ging es bei der Baseball-Liga nicht nur um die Organisation und Finanzierung eines professionellen Spielbetriebs, sondern – wie bei sonstigen Unternehmen des Wirtschaftslebens – um das Erwirtschaften von Gewinnen.
Da die Klubs im Süden Englands an McGregors Projekt kein Interesse zeigten, musste ein zweites Treffen her, das nun in Manchester stattfand. Am 17. April 1888 wurde im Royal Hotel in Manchester die weltweit erste nationale und professionelle Fußballliga aus der Taufe gehoben.
McGregors Namensvorschlag „Association Football Union“ wurde allerdings verworfen, denn eine „Football Union“ gab es bereits beim konkurrierenden Rugby, wo sich 1871 die Rugby Football Union gegründet hatte. Stattdessen einigte man sich auf den Namen „The Football League“. McGregor wollte zunächst auch schottische und walisische Vereine einbeziehen, weshalb man auf die Länderbezeichnung „English“ verzichtete.
Die Legalisierung des Professionalismus und die Gründung der Liga veränderte die englische Fußballlandkarte nachhaltig. Die zwölf Gründungsmitglieder kamen mit Preston North End, Aston Villa, Wolverhampton Wanderers, Blackburn Rovers, Bolton Wanderers, West Bromwich Albion, Accrington3, Burnley, Derby County, Notts County, Stoke (ab 1926 Stoke City) und dem Liverpooler Klub FC Everton ausnahmslos aus den Arbeiter- und Industriestädten des Nordens und der Midlands, die durch die Eisenbahn miteinander verbunden waren.
EINWURF
Lancashire und der Profifußball
Mit der Verkürzung der Arbeitszeit, der Einführung des freien Samstags und der Erhöhung der Löhne begann die Eroberung des Fußballs durch die Industriearbeiterschaft, schon bald triumphierten „Arbeiterteams“ in den Wettbewerben und zogen große Zuschauermassen an. Die Grafschaft Lancashire entwickelte sich zur Wiege des Professionalismus, und noch heute hat der Nordwesten Englands die höchste Konzentration an Profiklubs in Europa. In der Saison 2018/19 spielten in den vier englischen Profiligen:
•Premier League (5):
FC Liverpool, FC Everton, Manchester United, Manchester City, FC Burnley.
•Football League Championship (3):
Blackburn Rovers, Bolton Wanderers, Wigan Athletic.
•Football League One (3):
FC Blackpool, Accrington Stanley, AFC Rochdale.
•Football League Two (3):
Macclesffteld Town, FC Bury, Tranmere Rovers.
Von den bislang 120 englischen Fußballmeisterschaften wurden 57 von Klubs aus Lancashire gewonnen: Manchester United (20), FC Liverpool (18), FC Everton (9), Manchester City (6), Blackburn Rovers (2), FC Burnley (2).
Die soziale Entwicklung Englands hatte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts relativ friedlich vollzogen – dank der privilegierten Stellung im Welthandel und in der Weltindustrie. Um 1850 arbeitete die große Masse der Fabrikarbeiter noch täglich zwischen 15 und 16 Stunden. Um 1870 betrug die Arbeitszeit in der Textilindustrie 10,5 Stunden am Tag und 60 Stunden wöchentlich bei freiem Samstagnachmittag. Die Löhne der Facharbeiter, die um 1870 etwa 30 Prozent der Industriearbeiterschaft ausmachten, stiegen zwischen 1850 und 1865 real um etwa 15 Prozent. Anschließend kam es zu einem allgemeinen Anwachsen der Reallöhne um ein Drittel. Im Zeitraum 1850 bis 1914 verdoppelten sie sich sogar annähernd.
Diese Verbesserung der Lebensbedingungen – mehr freie Zeit und höhere Einkommen – gab der Arbeiterschaftdie Gelegenheit, sich dem Fußball zuzuwenden. Sie betrat damit ein Spielfeld, das bis dahin von ganz anderen sozialen Kreisen exklusiv besetzt wurde. Denn auch in seinem „Mutterland“ waren die Anfänge des Fußballs zunächst bürgerlich-elitär. Beim FC Sheffield, gegründet am 24. Oktober 1857 und heute der älteste noch existierende Fußballverein der Welt, waren 1858 elf der 29 Vereinsmitglieder Fabrikanten. Bis Ende der 1860er Jahre rekrutierten sich englische Fußballklubs fast ausschließlich aus ehemaligen Public-School-Teams, also aus Zöglingen exklusiver Privatschulen. Entsprechend war eine große Zahl der frühen Klubs im Südosten des Landes beheimatet, während im englischen Norden die Vereinsdichte deutlich geringer ausfiel.
Das änderte sich nun grundlegend. Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Fußball in England die hauptsächliche Freizeitbeschäftigung der Arbeiter, deren Anteil an der beschäftigten Bevölkerung auf 80 Prozent gewachsen war.
FC Everton
Die Wiege des FC Everton war die 1865 gegründete Kirchengemeinde St. Domingo Methodist Church, was keineswegs ungewöhnlich war. 1885 unterhielten 25 der 112 Liverpooler Fußballklubs Verbindungen zu kirchlichen Einrichtungen, in Birmingham waren es 83 von 344.
1877 wurde Ben Swift Chambers (1845–1901) Pfarrer in der St. Domingo Methodist New Connexion Chapel in der Breckfield Road North. Chambers war ein Aktivist der „Band of Hope“-Bewegung, einer Temperenzler-Organisation für Jugendliche aus der Arbeiterschaft, und ein Anhänger von „Muscular Christianity“, einer philosophischen Bewegung, die Mitte des 19. Jahrhunderts in England ihren Ursprung hatte und sich durch den Glauben an die patriotische Pflicht, die moralische und physische Schönheit von Sportlichkeit, Disziplin, Selbstaufopferung und Männlichkeit auszeichnete. Im viktorianischen Zeitalter war „Muscular Christianity“ eine Methode zur