Nirgends scheint der Mond so hell wie über Berlin. Группа авторов

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ihrer Blutsfremdheit willen bekämpft oder sich im Kampf unchristlicher Mittel bedient. Die katholische Kirche hat darum von jeher den Antisemitismus als solchen verworfen. Es gibt übrigens auch Juden, die in edler Weise zur Selbstkritik aufrufen und den Antisemitismus am wirksamsten dadurch zu überwinden suchen, dass sie keinen Anlass zu judenfeindlicher Haltung geben.«13

      Die Ambivalenz, mit der das katholische Deutschland dem Judentum begegnete, wird auch durch einen Vorgang auf höchster politischer Ebene illustriert. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens versuchte 1931 wiederholt, den Reichskanzler Brüning zu einer Verurteilung der wachsenden antisemitischen Hetze zu bewegen. Brüning ist diesem dringenden Wunsch niemals nachgekommen – vermutlich auch deswegen nicht, weil er die Nationalsozialisten für eine Unterstützung seiner Politik, ja nach Möglichkeit als Koalitionspartner des Zentrums gewinnen und daher nicht vor den Kopf stoßen wollte. Brüning hat damit in der ›Judenfrage‹ sehr viel mehr taktiert als Reichspräsident Hindenburg, der sich im November 1932 beim Reichsbund jüdischer Frontsoldaten schriftlich bedankte, als dieser ihm, um nationalsozialistischen Verleumdungen entgegenzutreten, ein Gedenkbuch mit den Namen jüdischer Kriegsgefallener überreichen ließ.

      Die evangelischen Kirchenleitungen schwiegen zum Antisemitismus auch noch, als die Nationalsozialisten bereits die stärkste Partei waren. Diese Haltung konnte offiziell mit der parteipolitischen Neutralität der Kirche begründet werden. Der tiefere Grund war ein anderer: Viele, zumal lutherische Kirchenführer hatten gegen einen gemäßigten Antisemitismus gar nichts einzuwenden. Politisch konservativ, sympathisierten sie meist mit der Deutschnationalen Volkspartei, der Erbin der konservativen Parteien des Kaiserreiches, die sich in ihrem Programm und ihrer Wahlpropaganda ganz offen zum Antisemitismus bekannte.

      Die Judenfeindschaft der DNVP war ähnlich instrumentell wie jene, die der von großagrarischen Interessen dominierte Bund der Landwirte im Kaiserreich gepflegt hatte: Mithilfe antisemitischer Parolen sollten städtische und ländliche Mittelschichten vor den Wagen der konservativen Machtelite gespannt werden. Antisemitismus war, so gesehen, ein Stück dessen, was Hans Rosenberg die »Pseudodemokratisierung der Rittergutsbesitzerklasse« genannt hat.14 Mit den Großagrariern an einem Strang zog der äußerste rechte Flügel der Schwerindustrie, der in der DNVP ebenfalls stark vertreten war. Die Förderung, die der führende deutschnationale Politiker Alfred Hugenberg, bis 1925 Vorsitzender des Bergbaulichen Vereins und des Zechenverbandes, dem radikal antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund angedeihen ließ, entsprang einem ähnlichen taktischen Kalkül wie Thyssens und Kirdorfs frühe Unterstützung für die NSDAP: Um die Massen nach rechts zu ziehen, war Antisemitismus ein willkommenes Mittel.

      Typisch für die Großindustrie war diese taktische Linie jedoch nicht. Das Gros hielt, bis 1932 jedenfalls, das Spiel mit dem Antisemitismus für zu riskant, weil es Kräfte freizusetzen drohte, die sich eines Tages auch gegen die bürgerliche Ordnung wenden konnten. Die klassische Unternehmerpartei der Weimarer Republik, Stresemanns Deutsche Volkspartei, hielt sich von offen antisemitischen Parolen in der Regel fern. Auf der anderen Seite wandte sie sich auch nicht gegen die grassierende Judenfeindschaft. Die DVP wollte es sich weder mit den deutschen Juden noch mit den Judenhassern verderben und ignorierte daher den Antisemitismus tunlichst – eine Haltung, die auch die ihr nahestehende Presse, darunter die Freiburger Zeitung, die Vorläuferin der heutigen Badischen Zeitung, an den Tag legte. Die linksliberale DDP, von einem kleineren Teil des Unternehmerlagers und vom jüdischen Bürgertum unterstützt, verteidigte als einzige bürgerliche Partei konsequent die staatsbürgerlichen Rechte der deutschen Juden. Freilich wurde sie seit 1930 immer mehr zur ›quantité négligeable‹. Bei den beiden Reichstagswahlen von 1932 erhielt sie jeweils nur noch ein Prozent der Stimmen. Jüngere Juden, die bislang die DDP (oder die Deutsche Staatspartei, wie sie sich seit 1930 nannte) gewählt hatten, gaben nun vorzugsweise der SPD die Stimme; ältere, vor allem gläubige Juden unterstützten eher das Zentrum.

      Aus welchen Schichten kam nun der harte Kern der Antisemiten? Unter den Mitgliedern des 1919 von den Alldeutschen gegründeten Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes – der größten antisemitischen Vereinigung, die bei ihrem Verbot 1922 180.000 Mitglieder zählte – finden wir Angestellte und Beamte, besonders Lehrer, gefolgt von Angehörigen des selbstständigen Mittelstandes wie Kaufleuten, Kleinunternehmern und Handwerkern. Im Bundesvorstand und in den Führerschaften der Ortsgruppen sind dieselben Gruppen vertreten, außerdem bemerkenswert viele freiberufliche Akademiker, darunter namentlich Ärzte und Rechtsanwälte.

      Angestellte und Angehörige des gewerblichen Mittelstandes in den Reihen einer antisemitischen Organisation zu finden, überrascht nicht. Kleine Gewerbetreibende und Kaufmannsgehilfen hatten neben den Bauern schon im späten 19. Jahrhundert die Massenbasis der judenfeindlichen Bewegung gebildet. Antisemitismus und Nationalismus halfen ihnen dabei, sich abzuheben vom internationalen Proletariat – der Klasse, in die sie nicht absinken wollten. Gleichzeitig konnten in die Kampagne gegen die Juden auch die vagen antikapitalistischen Ressentiments dieser Gruppen einfließen. Der Jude, so hieß es in der antisemitischen Propaganda, stehe nicht nur hinter dem internationalen Marxismus, sondern auch hinter dem internationalen Börsenkapital; er ziehe die Fäden der ›roten‹ und der ›goldenen Internationale‹.

      Der Niedergang der Antisemitenparteien, eine Folge innerer Zwistigkeiten, mangelnder Effektivität und, nicht zuletzt, des konjunkturellen Aufschwungs seit Mitte der 1890er-Jahre, hatte das politische Gewicht der Judenfeindschaft gemindert, ihr aber nicht den Boden entzogen. Organisationen wie der Bund der Landwirte, der Alldeutsche Verband und die Deutsch-Konservative Partei hielten antijüdische Ressentiments bewusst am Leben. Als während des Krieges Deutschlands Siegesaussichten schwanden, setzte eine verstärkte antisemitische Agitation von rechts ein. Die soziale Zusammensetzung der Mitgliedschaft des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes deutet darauf hin, dass die traditionellen Trägerschichten des Antisemitismus auch nach 1918 den Hauptteil der Massenbasis stellten.

      Aber kann man von der Soziologie der organisierten Antisemiten auf die Mentalität ganzer sozialer Schichten schließen? Auf der einen Seite besteht kein Zweifel, dass gerade in den ersten fünf Jahren der Weimarer Republik Aversionen gegen das vermeintlich ›jüdische Berlin‹ in der deutschen Provinz weit verbreitet waren. Bauern und Handwerker, Kleinhändler, Angestellte und Beamte hatten antisemitische Vorurteile, wenn sie sie vor 1918 hatten, in der unmittelbaren Nachkriegszeit gewiss nicht verloren.

      Auf der anderen Seite hatte das Scheitern der Antisemitenparteien Spuren hinterlassen. Radikale Judenfeindschaft konnte nicht mehr als Bürgschaft einer wirksamen mittelstandsfreundlichen Politik gelten. Nach dem Krisenjahr 1923 schwand dann allmählich auch jene Angst vor sozialen Umwälzungen, an welche die Antisemiten bis dahin so erfolgreich appelliert hatten. Die Währungsverhältnisse stabilisierten sich; die Sozialdemokratie saß im Reich vom November 1923 bis zum Mai 1928 auf den Bänken der Opposition; Deutschland wurde rein bürgerlich, zeitweilig unter Beteiligung der Deutschnationalen, regiert. Im Frühjahr 1924 schrieb die Nordwestdeutsche Handwerks-Zeitung, ein weit rechts stehendes Blatt, über die Deutschvölkische Freiheitspartei, die sich 1922 von den Deutschnationalen getrennt und mit den Nationalsozialisten verbündet hatte, die »Belastung der Partei mit einem fanatischen Antisemitismus« sei »jedenfalls nicht geeignet, die Hoffnung auf sachliche Arbeit zu begründen.« Solche Kritik berühre aber nicht die völkische Bewegung. »Man kann nämlich gut völkisch sein und doch einer der bisherigen bürgerlichen Parteien angehören.«15

      Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband, 1893 als betont antisemitische Organisation kaufmännischer Angestellter gegründet, legte in der Weimarer Republik ebenfalls Wert auf Distanz zum ›Radau-Antisemitismus‹. An seine Stelle setzte er eine sublimere Form von Antisemitismus: die Abwehr des angeblich übertriebenen jüdischen Einflusses auf das kulturelle Leben in Deutschland. Eine vielgelesene, dem Verband nahestehende Zeitschrift, das von Wilhelm Stapel redigierte Deutsche Volkstum, gehörte zu den wichtigsten Sprachrohren dieser Spielart von Judengegnerschaft. Bei Handwerkern und Angestellten gab es also fortdauernde Animositäten gegenüber den Juden, aber von einem quantitativ wachsenden und qualitativ sich radikalisierenden Judenhass kann man nicht sprechen. Seit 1924 lässt sich vielmehr allgemein ein allmähliches Abebben des radikalen Antisemitismus beobachten. Darauf deutet auch die Tatsache, dass die miteinander verbündeten


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