Umgelegt in Chicago - Bluternte 1929: Kriminalroman. Alfred Bekker
Vorhängekette verhinderte, dass die Tür durch den Fußtritt, der dann folgte, zur Seite flog.
„Hier Lieutenant Quincer! Machen Sie auf, Boulder!“
Ich atmete tief durch. „Konfuzius sagt: Eile mit Weile!“
„Woher haben Sie denn den Schwachsinn, Boulder?“
„Ich hatte mal einen chinesischen Klienten...“
Ich nahm die Kette weg. Lieutenant James Quincer trat mit zwei weiteren Polizisten ein.
Quincer war blond, Ende dreißig und etwa 1,75 m groß. Das breite Grinsen saß so schief wie sein Hut. Leider brachte es mein Job mit sich, dass ich diesem unsympathischen Kerl mit dem Gemüt eines Schlachters immer wieder über den Weg lief. Seiner Meinung nach gehörten Leute wie ich nicht auf die Straße. Ich redete mir immer ein, dass es der pure Neid auf jemanden war, der nicht vor irgendwelchen Vorgesetzten zu katzbuckeln brauchte, was ihn zu einem Arschloch erster Klasse machte.
Aber wahrscheinlich war es etwas Persönliches.
Oder meine roten Haare. Aber das spielte eigentlich keine Rolle.
Ich nahm mir jedes Mal aufs Neue vor, Lieutenant Quincer hinzunehmen wie schlechtes Wetter.
Es gelang mir nie.
„Kommen Sie mit, Boulder und stellen Sie keine unnützen Fragen!“
„Was liegt vor? Geht’s noch mal um die Schießerei im Diner? Ich dachte, dazu wäre alles gesagt.“
„Halten Sie einfach die Klappe und kommen Sie mit.“
„Bin ich verhaftet?“
„Wenn Sie sich nicht beeilen, hole ich das nach. Captain Chesterfield wartet auf Sie in der Morgue.“
In meinem Hirn arbeitete es fieberhaft. Mit Chesterfield, Quincers Dienstvorgesetzten, verstand ich mich wesentlich besser. Wenn sich der Leiter der Mordkommission mit mir in der Leichenhalle treffen wollte, konnte das nur heißen, dass es jemanden erwischt hatte, von dem er annahm, dass ich ihn kannte.
Ich zog also Weste, Jackett und Mantel über und meinte: „Mein Wagen steht eine Straße weiter.“
„Sie kommen mit uns“, bestimmte Quincer und ließ dabei an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
„Der Privatdetektiv als natürlicher Feind des Polizisten – wer hat Ihnen nur diesen Floh ins Ohr gesetzt, Quincer?“
„Wenn Typen wie Sie uns nicht dauernd ins Handwerk pfuschen würden, könnten wir unseren Job wenigstens richtig machen!“
Ich lächelte dünn. „Und wenn Typen wie Sie Ihren Job richtig machen würden, würde niemand Leuten wir mir Aufträge geben!“
Quincer lief rot an.
Er ballte die Faust und holte aus. Einer seiner beiden Kollegen hielt ihn mit Mühe zurück. Seine Nasenflügel bebten.
„Nur zu!“, sagte ich. „Gewalt gegen unbescholtene Bürger macht sich immer schlecht in den Personalakten – und Chesterfield würde Sie vierteilen, weil das auf seine Abteilung zurückfällt.“
Quincer atmete tief durch und befreite den Arm, den sein Kollege wie in einem Schraubstock gehalten hatte. „Glück gehabt, Boulder!“
„Wer sich so schlecht beherrschen kann, fliegt früher oder später raus, Quincer! Lassen Sie es sich gesagt sein!“
„Sie müssen es ja wissen, Boulder!“, grunzte er und spielte damit auf die Tatsache an, dass ich auch mal Cop gewesen war.
Ich sah ihn an, verzog ironisch die Mundwinkel und trieb es auf die Spitze, indem ich sagte: „Ich habe seit Joe Bonadores Tod immer noch keinen neuen Partner. Wäre das nichts für Sie?“
Quincer trat gegen einen Stuhl. Dann drehte er sich um und ging durch die Tür.
„Übertreiben Sie es nicht!“, meinte einer der beiden Kerle, die mit ihm gekommen waren.
„Wer sind Sie?“, fragte ich. „Ich habe Sie noch nie gesehen!
„Lieutenant Ray Garnett. Ich bin neu in der Abteilung.“
4
Ich wurde von den Polizisten zu einem Ford eskortiert und musste auf der Rückbank Platz nehmen. Garnett saß neben mir.
Quincer saß vorne rechts und fluchte die ganze Fahrt über leise vor sich hin.
Captain Chesterfield erwartete uns in der Morgue.
Die ganze Zeit über kreisten meiner Gedanken nur um eine Frage: Wen hatte es erwischt? Ich machte mich auf eine schlimme Neuigkeit gefasst.
Man führte mich in einen Raum, der von einem süßlichen Geruch erfüllt war. Ein Geruch, den man nicht vergisst. Selbst ein Blinder hätte gewusst, dass er sich in der städtischen Leichenhalle befand.
Nicht ganz das richtige Ziel für Sonntagsausflüge, aber dafür sehr viel sicherer als die Uferpromenaden, wo man sich in einem freien Schussfeld befand.
Captain Chesterfield erwartete uns an einer Bahre. Ein menschlicher Körper hob sich unter einem weißen Tuch ab.
„Wie geht’s, Boulder?“
„Bescheiden.“
„Ich hoffe, Sie haben was gegessen!“
„Danke der Nachfrage!“
Feinfühligkeit war nicht unbedingt die stärkste Disziplin des Police Captain. Er zog das weiße Tuch zur Seite.
Ich sah eine aufgedunsene Wasserleiche, weiß wie die Wand und von Fischen angefressen. Tang hatte sich in ihren Haaren verfangen.
Sie trug einen braunen Wintermantel, der sich voll Wasser gesogen hatte.
Die blaugrünen Augen starrten mich kalt an.
Es hatte sich noch nicht einmal jemand die Mühe gemacht, ihr die Augenlider herunterzudrücken.
„Kennen Sie die Lady, Boulder?“, fragte Chesterfield.
„Wie kommen Sie darauf?“
„In ihrer Manteltasche steckte eine Visitenkarte von Ihnen.“
„Sie wissen doch, dass ich die massenweise unter das Volk bringe, Captain!“ Ich hatte irgendwie ein Gefühl, dass es besser war, sich aus dieser Sache herauszuhalten. Wenn möglich.
„Boulder, das hier ist kein Spaß mehr. War sie Ihre Klientin?“
„Nein, dazu ist es nicht wirklich gekommen.“
„Was soll das heißen?“
„Sie nannte sich Jessica Rampell und suchte eine unauffällige Mitfahrgelegenheit nach Kanada.“
„Ein Platz auf einem Schmugglerschiff?“
„Ich gebe zu, dass ihr etwas Ähnliches vorschwebte.“
„Und? Haben Sie ihr das besorgt?“
„Natürlich nicht. Sie wissen doch, dass ich mich peinlich genau an die Gesetze halte.“
Chesterfield