Utopie einer lobbaren Zukunft. Otto Ulrich

Utopie einer lobbaren Zukunft - Otto Ulrich


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sein Denken, Fühlen und Wollen, mithin den Menschen als handelnden Akteur ignorieren, was dem damaligen mechanistischen Menschenbild entspricht. Heute leitet das in die Haltung über, den „Menschen als Maschine“ zu betrachten, um ihn so programmieren zu können.

      In der vorliegenden Untersuchung geht es aber nun um eine Überwindung einer die Gegenwart zutiefst bestimmenden, kulturpessimistisch geprägten Zukunftserwartung. Es wird versucht, der heute von den Eliten fehlgelenkten Leistungsgesellschaft ein Bild von Gesellschaft gegenüberzustellen, das an humanen, sozialen und auch an spirituellen Kriterien ausgerichtet ist.

      Eine weitere Hauptthese der geschichtsphilosophischen Sicht Spenglers ist die Annahme, unsere Zeit sei unfähig, kreativ zu wirken. Was nur deshalb als richtig unterstellt werden kann, weil im mechanistisch gestimmten Prüfschema nur messbare Paradigmen gefunden werden können. Für Ideen, die ihre Substanz jenseits dieses Rasters entfalten – etwa die Heileurhythmie oder die biodynamische Landwirtschaft – ist in dieser Betrachtungsweise kein Platz.

      Womit angedeutet wird, warum die Gegenwart von einer bodenlosen geistigen Orientierungslosigkeit gekennzeichnet ist, die der jungen Generation nur die seelenlose Digitalwelt als Zukunftsversprechen anzubieten weiß – was eine Jahrhundertfalle ist, worüber hier aufzuklären versucht wird. Wohl auch deshalb lässt die kulturpessimistisch geprägte Gegenwart erkennbar keine Funken sprühen, die über die technikverliebte Zeit von 1921 bis 2021 und darüber hinaus fliegen würden. Aus „Künstlicher Intelligenz“ und E-Autos – Speerspitzen der Digitalwelt und angesagte Triebfedern zur Weiterentwicklung der Leistungsgesellschaft – wird sich die Geburt einer neuen und vor allem nachhaltigen Zukunftsgesellschaft kaum ableiten lassen. Und zwar notwendig nicht, weil übersehen wird, dass die digital beschleunigte Leistungsgesellschaft permanent „Kinder“ gebären muss, die sie auffressen und zerreißen – die Energiekrise und das Wachwerden der Verlierer dieser Entwicklung sind Beispiele dafür.

      Könnte es sein, dass sich dies auch deshalb ändern muss, weil die gegenwärtige Corona-Pandemie dazu zwingt, über das gesellschaftliche Zusammenleben neu nachzudenken?

      Wer sich der vermeintlichen Aufbruchszeit der 1920er Jahre aus der Perspektive unserer Zeit, 2021, nähert, dem fällt auf, dass bereits damals, ähnlich wie vor 500 Jahren in der Renaissance, geistige „Samenkörner“ in die Welt gesetzt wurden, die die Zeit bis heute wachsend überstanden haben. Sie versprechen, größer werdend, auf dem Weg nach 2121 wiederum ein ganz neues Großkapitel der menschlichen Geistesgeschichte zu schreiben. Dem würde Spengler wohl nicht widersprechen – einerseits. Dass aber diese Fortschreibung der Geistesgeschichte dann andererseits auf den Menschen als Träger des Geistes (heute können wir sagen, auf den Bürger und die Bürgerin als Träger der Zivilgesellschaft) abhebt, damit könnte er wohl nichts anfangen.

      Zunächst also soll hier versucht werden, aus dem „Strom der Zeit“ von 1921 bis in die Gegenwart bestimmte „Strömungsthemen“ herauszufiltern. Es sind Themen, die ihre Zukunftstauglichkeit dadurch zu erkennen geben, dass sie auf dem Wege in die Gegenwart gezeigt haben, ein Wandlungspotenzial in sich zu haben, um vielleicht auch das Zeitfeld bis 2121 gestalten zu können (was nicht ausschließt, dass ihnen dann doch auf diesem Wege „die Puste“ ausgeht).

      Versucht soll werden, Kontinuitätslinien aus der Zeit von 1921 bis 2021 als geschichtswirksame Trends zu identifizieren. Themen also, die versprechen, eine Jahrhundert-Kraft zu haben, geeignet, die Zeit bis 2121 zu prägen, zu formen, gar zu bestimmen. Gesucht werden also geistige Potenziale, von denen, so sie gefunden werden, erwartbar ist, dass sie nicht stecken bleiben. Neben den Ideen zum Umgang mit dem Atommüll, der Energiekrise und den Folgen der Digitalisierung gilt es auch und besonders nichttechnische Impulse und Ideen zu suchen, die Grundlage einer Zukunftsgesellschaft werden könnten – wobei insbesondere Hermann Hesse und Rudolf Steiner in den Blick kommen werden.

      Erkennbar ist etwas, was Spengler aber wohl noch nicht gesehen und nicht gemeint haben kann: dass technische Visionen aufsteigen, blühen und verschwinden, dass sie kaum Nachhaltigkeit entfalten können, weil sie allein davon geprägt sind, dem kapitalistischen Grundtrieb einer Wachstumsgesellschaft weiter Futter zu geben. Moralische, gar spirituelle Ansprüche, Auflagen, Forderungen an technologische Machbarkeitsvisionen – etwa in der Gentechnik, der Atomtechnik, der Künstlichen Intelligenz – haben ihre einstmals starke Kraft der Ausstrahlung und der bestimmenden Beeinflussung technischer Ideen weitgehend verloren, zumindest eingebüßt. Der heutige Ruf nach „sozialverträglicher Technikgestaltung“ ist Folge davon, dass „kapitalistische Technikentwicklung“ zum Motor der Leitungsgesellschaft gehört und damit in erster Linie nicht demokratischen Zielen dienen kann.

      Welche Themen nun könnten geeignet sein, vom „Jahrhundert-Blick“ wahrgenommen zu werden? Themen haben Chancen hier als „Strömungsthemen“ aufgenommen zu werden, wenn von ihnen erkennbar gesellschaftsverändernde Wirkungen ausgehen. Umgekehrt geht es hier weniger um „Nebenthemen“ oder zielgruppengebundene „Aufregerthemen“, die durchaus hohe emotionale Bedeutung bekommen können. Sie können wohl auch „durchgängig“ sein wie das Thema Rassismus, die Themen Unrecht/Gerechtigkeit, Ausbeutung, Hunger/Armut/Reichtum – all dies kann durchaus Signatur des Wandels sein, aber richtungslos bleiben.

      Auch altmoderne Themen – etwa die katholische Kirche, einstmals eine mächtige Gesellschaftsgestalterin – kommen in diesem Jahrhundert-Blick nicht mehr vor. Der Jahrhundert-Blick möchte der allgemeinen Orientierungslosigkeit und der scheinbaren Zukunftsleere eine inhaltlich unterfütternde Perspektive geben, also in Anspruch nehmen, dass das Bild von einem „Wiederaufstieg des Abendlandes“ mit Substanz füllbar ist – wenn sich die Perspektive des Blickes dreht, wenn, wie hier, aus der Perspektive des Jahres 2121 in die Gegenwart des Jahres 2021 geschaut wird.

      So wird hier gleichzeitig versucht, dem Gedanken von einem „Doppelstrom der Zeit“ (Rudolf Steiner) zu folgen, also den Blick von der Vergangenheit des Jahres 1921 in die Gegenwart und dann aus der Zukunft des Jahres 2121 in die Gegenwart von 2021 zu lenken.

      Der Weg in die Zukunft ist durchaus schon vorgezeichnet, er entspringt nicht aus dem Nichts, er hat eine lange, mindestens eine schon hundertjährige Vorgeschichte. Die Themen, die unterwegs sind, haben nur dann Chancen, die Zukunft zu gestalten, wenn der Mensch als Akteur die Gestaltung dieser Zukunft aktiv betreibt – ein Anspruch, den Spengler so wohl nicht teilen kann, kommt doch der Mensch als handelndes Subjekt bei ihm überhaupt nicht vor.

      Birgt also, so soll gefragt werden, die Vergangenheit der letzten 100 Jahre ein Ideengut, dass, entfaltet und menschengemäß gestaltet, (mindestens) die folgenden 100 Jahre prägen kann? Gesucht wird eine am Lebendigen orientierte, nicht vorrangig technisch bestimmte Vision, die eine Gesellschaft hervorbringen könnte, in der die Natur und der menschliche Umgang mit der Natur eine lebendige Verpflichtung ist – um damit eine Alternative zur „Tyrannei der Leistungsgesellschaft“ zumindest formulierbar zu machen.

      Das schließt wohl ein – dies lehrt das Jahr 2020 –, dass auch die Sesshaftigkeit von Viren und unser Verhältnis zu Tieren dabei mit bedacht werden muss. Eine Fragestellung, die in der Mechanik eines „Unterganges des Abendlandes“ methodisch keinen Platz hat, aber die Chance öffnet, eine „lobbare Zukunft“ mindestens durch Anknüpfung an ökologische, humane und demokratische Ideen mit zukunftstauglichen Inhalten füllen zu können.

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