Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn
Spielens überwacht werden.
• Differenzierung: In der nächsten Phase ist die Bewegungskoordination schon besser und es ist weniger hochkonzentrierte Aufmerksamkeit auf die Einzelheiten notwendig. Die Sinneswahrnehmungen Hören und Sehen sind auf das Wesentliche bezogen. Bewegungsunterschiede werden feiner wahrgenommen und korrigiert. Das Bewegungsgefühl spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Insgesamt bleiben die Abläufe beim Spielen noch unsicher und anfällig für Störungen.
• Stabilisierung: Die Bewegungsabläufe werden jetzt so automatisiert, dass sie ohne bewusste Aufmerksamkeit ablaufen können. Damit ist der Spieler freier, auf andere Aspekte wie das musikalische Zusammenspiel, die musikalische Gestaltung etc. zu achten. Es findet dadurch eine Steigerung der Bewegungsqualität statt, so dass Teilbewegungen zu größeren Einheiten zusammengeführt werden und ein hohes Maß an Ökonomie und Stabilität in der Bewegung erreicht wird. Dies vollzieht sich u. a. auch durch das Bündeln größerer Sinneinheiten (»Chunking«).
• Kontextualisierung: In dieser Phase wird das bisher Geübte im Hinblick auf die Konzertsituation weiter stabilisiert und das Bewegungsgefühl unter Kontextbedingungen verankert. Der Spieler lernt hierbei, die Bewegungsabläufe unter besonderen emotionalen Bedingungen und unvorhersehbaren Anforderungen und Störungen stabil zu halten und gleichzeitig flexibel zu gestalten.
Bewegungslernen findet nicht in regelmäßigen Schritten statt, sondern ist Lernsprüngen und zwischenzeitlichen Stagnationen unterworfen. Wenn das individuelle Leistungsniveau erreicht ist, kann weiteres Üben die Bewegungsleistung nicht mehr steigern.
Stagnationen können damit zusammenhängen, dass die gelernte Bewegung erst in komplexeren Zusammenhängen erfasst und abgelegt werden muss. Dies braucht Zeit.
Lernen durch Spiegelneurone
Seit ihrer Erstbeschreibung durch die Arbeitsgruppe um den italienischen Forscher Giacomo Rizzolatti Anfang der 1990er-Jahre wissen wir, dass Spiegelneurone ermöglichen, uns in andere Menschen hineinzuversetzen, und dass sie zu unserer grundlegenden neurophysiologischen Ausstattung gehören (Rizzolatti und Sinigaglia 2008). Spiegelneurone finden sich u. a. in der prämotorischen Hirnrinde. Sie haben auch für das Bewegungslernen eine große Bedeutung, da sie an der Vorstellung und dem Wiedererkennen von Bewegungen beteiligt sind. Zudem steuern sie das Nachahmen von Bewegungen mit. Dies kann erklären, warum im Anschluss an den Konzertbesuch eines exzellenten Künstlers bei einem erfahrenen Musiker eine Verbesserung des eigenen Spiels eintritt.
1 Als Grundlage für die anatomischen Beschreibungen in diesem Kapitel wurde das Lehrbuch ANATOMIE von Zilles und Tillmann (2010) verwendet. Der interessierte Leser findet hier weiterführende detaillierte Angaben.
2 Als weiterführende Literatur empfehlen wir: Simmel, L.: Tanzmedizin in der Praxis. Anatomie, Prävention, Trainingstipps, Henschel, Leipzig 2014.
3 Eine interessante Darstellung hierzu findet sich bei Wilson, F. R.: Die Hand – Geniestreich der Evolution, Klett-Cotta, Stuttgart 2000.
4 Für weitere Informationen zu Anatomie und Funktion der Hand ist zu empfehlen: Wehr, M., Weinmann, M. (Hg.): Die Hand. Werkzeug des Geistes, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999.
5 Lesern, die sich für weiterführende Erläuterungen der Anatomie und Physiologie dieser Funktionseinheit interessieren, sei für einen Überblick das Buch DIE STIMME (Richter 2014) empfohlen. Zu den einzelnen Muskeln sei auf die Artikel des Anatomen Bernhard Tillmann im LEXIKON DER GESANGSSTIMME (Mecke et al. 2016) hingewiesen
6 Eine ausführliche Darstellung findet sich in: Richter 2014 sowie Mecke et al. 2016.
7 Für nähere Ausführungen empfehlen wir die Monografie: Lapatki, B.: The Facial Musculature. Characterisation at a Motor Unit Level, Danders Series, Bd. 33, Ipskamp, Enschede 2010.
8 Für Leser, die sich über die genauen biologisch-physiologischen Grundlagen der Atmungsvorgänge in der Lunge informieren wollen, sei auf einschlägige Kapitel in Lehrbüchern der Physiologie verwiesen, wie z. B. das Kapitel »Atmung« in: Pape et al. 2014.
9 Diese sind auf der 2013 erschienenen DVD DAS BLASINSTRUMENTENSPIEL: PHYSIOLOGISCHE VORGÄNGE UND EINBLICKE INS KÖRPERINNERE veröffentlicht (Spahn et al. 2013). Die Vorgänge während des Spiels unterschiedlicher Blasinstrumente werden auf dieser DVD in mehr als 130 Filmclips präsentiert. Hierdurch soll allen Bläsern ein umfangreiches und kommentiertes Material zur Verfügung gestellt werden, anhand dessen sie die physiologischen Vorgänge beim Spielen selbst nachvollziehen können.
10 Weiterführend interessierten Lesern sei für die Spezifika der Sängeratmung die Lektüre folgender Publikationen empfohlen: DIE STIVVE (Richter 2014), DIE WISSENSCHAFT VON DER SINGSTIMME (Sundberg 2015) und das LEXIKON DER GESANGSSTIMME (Mecke et al. 2016).
11 Für Leser, die sich über die genauen biologisch-physiologischen Grundlagen der Signalübertragung am synaptischen Spalt informieren wollen, sei auf einschlägige Lehrbücher der Physiologie verwiesen, z. B. das Kapitel »Synaptische Übertragung« in: Pape et al. 2014.
12 Die folgenden Ausführungen lehnen sich an das Kapitel »Hören« im Buch DIE STIMME an (Richter 2014).
13 Für ein vertieftes Verständnis der Hörverarbeitung sei dem interessierten Leser die Monografie von Hellbrück und Ellermeier (2004) oder die kompakte Darstellung von Dirk Mürbe im LEXIKON DER GESANGSSTIMME (Mecke et al. 2016) empfohlen.
14 Die hierfür notwendige Software kann im Internet von der Website www.tolvsan.com (letzter Zugriff: 22.03.2015) kostenfrei heruntergeladen werden. Die Software wurde von Mitgliedern der Arbeitsgruppe Music Acoustics Group um Svante Granqvist an der Königlich Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm entwickelt.
15 Weiterführende Erklärungen zum Thema Funktionseinschränkungen des Sehens bei Musikern finden Sie in: Grehn, F.: Augenheilkunde, in: Spahn, C., Richter, B., Altenmüller, E. (Hg.): MusikerMedizin. Diagnostik, Therapie und Prävention von musikerspezifischen Erkrankungen, Schattauer, Stuttgart 2011, S. 343–360.
16 Für eine weiterführende Darstellung verweisen wir auf: Klöppel, R., Altenmüller, E.: Die Kunst des Musizierens, Schott, Mainz 2013.
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