Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn
Instrumente herangezogen werden kann.
Neben dem Grundton erklingt bei jedem Klang – ob gesungen oder gespielt – musikalisch als zweiter Teilton die Oktave, als dritter die Quinte, als vierter die Oktave, als fünfter die Terz etc., wie in Abb. I.71, beim Geigenton veranschaulicht wird.
Abb. I.76: Geschädigte innere Haarzellen mit teilweisem Abknicken bzw. Untergang der Härchen
Dies kann mit Madde akustisch verdeutlicht werden. Rechts findet sich ein Fenster, welches mit »Source spectrum« überschrieben ist. Die einzelnen Linien dieses Fensters symbolisieren jeweils einen Teilton des Spektrums. Wenn man über den Play-Button den synthetischen Gesangston aktiviert, erklingt zunächst ein Gesamtklang. Man muss sich einige Sekunden lang an ihn gewöhnen, da er etwas »künstlich« klingt. Wählen Sie nun die Tonhöhe aus, indem Sie unten auf der Tastatur mit dem Cursor auf die gewünschte Taste klicken. Wir wählen den Ton g≈200 Hz – den Ton, der erklingt, wenn man die leere G-Saite einer Geige streicht. Schalten Sie bitte den Ton wieder aus, da dieser nach kurzer Zeit störend ist. Wenn Sie nun mit der Maus die einzelnen Teiltöne im Fenster »Source spectrum« in einem bestimmten Bereich nach unten schieben, also die roten Linien »kurz« machen, können Sie die c5-Senke »nachbauen«, die in Abb. I.77 im Klangspektrum zu sehen ist. Beginnen Sie dafür bitte mit dem 9. Teilton, d. h. mit dem neunten Strich, und erzeugen Sie bis zum 15. Teilton eine keilförmige Senke. Der 16. Teilton bleibt dabei die ganze Zeit über unangetastet. Drücken Sie dann erneut den Play-Button des Synthesizers oben links und lauschen Sie dem Klang: Er klingt viel dumpfer als vorher ohne c5-Senke. Besonders deutlich können Sie den Unterschied wahrnehmen, wenn Sie den Button »Flat« rechts oben neben dem »Source spectrum« drücken: Dann springt der Klang wieder auf den normalen Höreindruck ohne c5-Senke um. Auf diese einfache Weise kann man mit eigenen Ohren erleben, in welcher Weise das Klangspektrum im Frühstadium einer lärminduzierten Schwerhörigkeit eingeschränkt ist.
Abb. I.77: Simulation einer c5-Senke im Klangspektrum
Tastsinn
Der Tastsinn ist beim Spielen jedes Instruments unmittelbar beteiligt. Er gibt die Rückmeldung, wie Taste, Saite, Griffbrett, Griffloch oder Klappe getroffen werden. Bei Bläsern informiert er bei der Artikulation über die Berührung der Zunge am Gaumen und an den Zähnen und über den Kontakt der Lippen mit dem Instrument. Der Tastsinn umfasst verschiedene Komponenten der Wahrnehmung wie Berührung, Druck, Vibration und Temperatur. Die Oberflächensensibilität entsteht durch verschiedene Sensoren, die in unterschiedlichen Schichten der Haut angesiedelt sind.
Besonders empfindlich sind wir an den Lippen, der Zungenspitze und an den Fingerkuppen, wo sich jeweils im Abstand von einem halben Quadratmillimeter sensible Sinnesorgane zur Wahrnehmung kleinster Oberflächeneinwirkungen befinden. Die verschiedenen Sinnesorgane liegen im Haut- und Unterhautgewebe und sind auf unterschiedliche Wahrnehmungen spezialisiert. Die sog. Meissner-Tastkörperchen sind Sensoren für Hautberührung und niederfrequente Vibration, die Vater-Pacini-Körperchen für hochfrequente Vibration und die Ruffini-Körperchen für die Wahrnehmung von Druck und Scherkräften. Für den Tastsinn beim Musizieren ist von Bedeutung, wie hoch die räumliche Auflösung von Berührungsreizen ist. So liegt der Abstand zwischen zwei Berührungspunkten, bei dem diese noch als einzelne Reize erkannt werden können, an Zungenspitze, Fingerspitzen und Lippen bei ca. 1 mm.
Kinästhetischer Sinn
Neben der Oberflächensensibilität (vgl. Tastsinn) verfügen wir auch über eine Tiefensensibilität, welche die Kontraktion und Dehnung von Muskeln, den Zug an Sehnen und die Bewegungen in Gelenken erfasst und dem Gehirn mitteilt. Beide Sinnesbereiche werden zusammen als somatosensorische Systeme bezeichnet. Sie ermöglichen insgesamt die Wahrnehmung der Berührungen der Haut, der Stellung der Glieder, der Steuerung von Bewegungen und von Schmerz und Temperatur.
Der Bereich der Sinneswahrnehmung, in dem körpereigene Informationen zur Bewegung im Raum und zur Kraftentfaltung der Muskulatur vermittelt werden, wird als propriozeptive Sensibilität (von lat. proprius, »eigen«, und percipere, »wahrnehmen«) oder auch kinästhetischer Sinn bezeichnet. Die wichtigsten Sinnesorgane der propriozeptiven Sensibilität sind
• die Muskelspindeln in der Skelettmuskulatur und den Muskelsepten,
• die Golgi-Sehnenorgane in Sehnen und Muskelsepten,
• Mechanorezeptoren wie Ruffini-Körperchen in den Gelenkkapseln und Vater-Pacini-Körperchen in Muskelsepten, Knochenhaut und Gelenkkapseln.
Eine Muskelspindel (Abb. I.78) ist etwa 2–10 mm lang und 0,2 mm breit und liegt parallel zu den Muskelfasern im Skelettmuskel. Sie ist umgeben von einer Kapsel, in deren Innerem sich etwa zehn einzelne Muskelfasern (sog. intrafusale Fasern, von lat. intra, »innerhalb« und fusa, »Spindel«) befinden.
Die Muskelspindeln haben mehrere Funktionen. Sie sorgen dafür, dass Bewegungen in ihrer Kraftentfaltung fein reguliert werden und dass Muskelspannung eingestellt und aufrechterhalten werden kann. Gleichzeitig schützen sie den Muskel vor Überdehnung, wofür der Patellarsehnenreflex ein bekanntes Beispiel darstellt. Hier erfolgt durch einen leichten Schlag auf die Patellarsehne unterhalb der Kniescheibe eine plötzliche Dehnung der Muskelspindeln im vierköpfigen Schenkelmuskel und es kommt als Reflexantwort zu einer Kontraktion dieses Muskels mit Streckung im Kniegelenk.
Abb. I.78: Aufbau einer Muskelspindel
Muskelspindeln verfügen nicht nur über sensible (afferente) Nervenverbindungen, welche die Informationen aus der Muskelspindel über das Rückenmark an das Gehirn leiten, sondern sie sind auch mit motorischen (efferenten) Nervenfasern versorgt. Diese motorischen Axone treten an beiden Enden an die intrafusalen Fasern heran (Abb. I.78) und bilden die kontrahierbaren Anteile der Muskelspindel. Um die Mitte der intrafusalen Fasern sind sensorische Axone geschlungen, welche auf Dehnung reagieren und in sensible Nervenfasen übergehen. Wird nun von den motorischen Zentren des Gehirns (Kap. I.1.6) eine bestimmte Länge der motorischen Nervenfasern als Sollwert an die Muskelspindel weitergegeben, so erfolgt durch die kontraktilen Enden der Muskelspindel eine Voreinstellung des mittleren Dehnungsbereichs (Abb. I.78). Dieser mittlere Faserabschnitt fungiert als Messglied, dessen Dehnungsgrad nun mit der Länge der Skelettmuskelfasern verglichen wird. Kommt es beim Vergleich zwischen Soll- und Ist-Wert zu einer Abweichung, erfolgt in den Muskelfasern eine Veränderung hin zum Soll-Wert.
Die Muskelspindeln regulieren demnach in einem komplexen Regelkreis den Muskeltonus. Auch die erhöhte Muskelanspannung bei Lampenfieber kann dadurch erklärt werden, dass es in dieser Situation zu einer verstärkten Vorspannung der Muskelspindeln kommt.
Die Anzahl von Muskelspindeln ist je nach Muskel unterschiedlich. So finden sich in der mimischen Muskulatur und der Muskulatur der Hand etwa 140 Spindeln pro Gramm Muskulatur, während in den großen Rumpfmuskeln nur etwa 1 Spindel pro Gramm Muskulatur vorhanden ist.
Die Golgi-Sehnenorgane liegen in den Sehnen und sind im Unterschied zu den Muskelspindeln nur mit sensorischen Nervenfasern ausgestattet. Die spindelförmigen Rezeptoren erfassen den Dehnungszustand und die Spannung des Muskels.
Ruffini-Körperchen und Vater-Pacini-Körperchen sind Mechanorezeptoren in den Gelenkkapseln, die ebenfalls auf Dehnung reagieren.
Die Leistungen der somatosensorischen Systeme spielen für das Musizieren eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen die Feinabstimmung der Positionen der Finger auf dem Instrument, z. B. auf dem Griffbrett der Geige. Das Gehör, der Tastsinn und das Sehen tragen dazu bei, dass die richtige Stellung des Gelenks eingenommen wird, da Klangvorstellung, Klangwahrnehmung und die dazugehörige Gelenkstellung aufeinander bezogen werden müssen. Auch die genaue Dosierung der eingesetzten Muskelkraft, z. B. beim Tastenanschlag am Klavier, ist auf diese Weise möglich und erlaubt die dynamische Gestaltung beim